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Joern Scheipers und David Kosock (v.l.n.r.)

Jenseits des Erwartbaren

David Kosock und Joern Scheipers haben 2018 Studio Vaust gegründet und bieten ein Portfolio in den Bereichen Design und Architektur, das so umfangreich wie eigenwillig ist. Was sie an Steinen fasziniert und welchen Vorteil ein ungerader Lebenslauf haben kann, sagt uns David Kosock im Interview.
07.06.2022

Anna Moldenhauer: David, was schätzt ihr am Experiment?

David Kosock: Das wir experimentell arbeiten, hängt mit unseren interdisziplinären Lebensläufen zusammen: Jörn hat Architektur studiert. Ich bin Schneider, habe im Modedesign gearbeitet, dazu als Schauspieler, in der Werbung und hatte einen Nachtclub mit Freunden. Jeder Schritt war ein neues Experiment. Wir verstehen uns nicht als Künstler, sondern als Gestalter. Wir teilen eine Ästhetik und ein großes Interesse für Kunst. Daraus haben wir ein Feld modelliert, in dem wir uns bewegen möchten. Wir schätzen künstlerische Arbeitsweisen und möchten mehr als nur Problemlösungen anbieten. Statt einfach eine Leuchte in den Raum zu stellen, überlegen wir zum Beispiel welche Emotion mit welcher Beleuchtung in diesem Teil des Raumes erzeugt werden kann. In meiner Zeit in der Werbung war für mich auch die kreative und strategische Markenentwicklung ein wichtiges Thema. All diese Einflüsse kommen bei Vaust zusammen. Daher ist unsere experimentelle Arbeitsweise ein sehr natürlicher Prozess.

Ihr kreiert Interior- und Objectdesigns und schafft Markenidentitäten. Wo liegen für euch die Vorteile, aus vielen Wissensfeldern schöpfen zu können?

David Kosock: Ich glaube das wichtigste daran ist das Gesamtverständnis. Zu wissen, wie die Dinge im Grundsatz funktionieren und sich aus anderen Bereichen jeweils Inspirationen zu holen. Beim Silodenken entgeht einem viel. Man kann natürlich eine tiefere Expertise aufbauen, wenn man sich nur auf eine Sache konzentriert. Wenn man sich breit aufstellt, erhält man aber ein größeres Verständnis für Kultur und das ist in unserer Arbeit superwichtig. Das jeweils benötigte Spezialwissen können wir stattdessen mit den entsprechenden ExpertInnen hinzuholen. Für die Projekte ist es sehr hilfreich viele Blickwinkel zu verstehen – von Architektur über Kunst bis zur Popkultur. Es ist unsere Aufgabe den Gesamtkosmos zu schärfen und Interdisziplinarität ist für die Art wie wir konzeptuell arbeiten ein großer Mehrwert.

Eure Ästhetik ist reduziert und zeigt mitunter brutalistische Ansätze. Ihr wählt vorzugsweise harte, kalte Materialien aus, wie zahlreiche Steine für das Poke Restaurant "Jigi" in Berlin. Was fasziniert euch an diesen?

David Kosock: Trotz der reduzierten Materialsprache versuchen wir ein Spannungsfeld herzustellen. Generell mögen wir kalte, metallische, harte Oberflächen und versuchen diese in warme Kontexte zu bringen. Es gibt kaum etwas kontrastreicheres zu einer verspiegelten, verchromten Oberfläche als eine natürliche Steinstruktur. Wenn man sie nebeneinander collagiert, entsteht immer etwas Spannendes. Zudem fasziniert uns, dass jeder Stein ein Unikat ist. Stein bildet das Fundament unserer Erde, es gibt ihn an fast jedem Ort dieser Welt und es ist kaum messbar, wie alt sie sind und wie lange sie es noch geben wird. Stein ist der Urtyp des Natürlichen und kontrastiert deshalb sehr gut mit allem Künstlichen.

In seiner Wirkung hat Stein auch etwas sehr Archaisches, ehrliches.

David Kosock: Ja, das Material ist absolut. Da muss man auch ein großes Kompliment aussprechen an unsere KundInnen, für die wir das "Jigi" in Berlin gestalten durften. Es ist nicht unser erstes Restaurantprojekt, aber normalerweise wünschen sich die GastronomInnen für den Umsatz viele Stühle im Raum. Wir hatten die Möglichkeit konzeptuell anders zu arbeiten: Zum einen haben wir in der Gestaltung auf pandemische Themen reagiert und die Küche wie ein Labor verglast. Zum anderen haben wir eine Sitzsituation geschaffen, die nicht verändert werden kann. Die Tische aus Beton wurden im Restaurant per Hand gegossen und die Hocker wiegen pro Stück 250 Kilo – dafür mussten wir extra eine Statik erstellen! Diese Szenerie hat etwas endgültiges und wirkt ganz anders als ein stapelbarer Holzstuhl, den man sich auch in den eigenen vier Wänden vorstellen könnte. Einen Kunden zu haben, der versteht, dass diese Szenerie die Gäste emotionalisiert, ist viel Wert.

Sitzsteine, kaltweißes Licht, keine Textilien – Komfort ist nicht das erste, das einem in euren Settings in den Sinn kommt. Inwieweit denkt ihr die Bedürfnisse des Menschen mit?

David Kosock: Wir denken viel über den Menschen im Raum nach. Ich glaube aber, dass wir das auf eine andere Weise tun. Wir gehen von unserem persönlichen Blickwinkel aus. Als wir beispielsweise den Concept Store für die Realtale Group in Stuttgart entworfen haben, haben wir bewusst darauf geachtet, dass sich dieser nicht wie ein komfortables Ladenlokal anfühlt, wo ich schnell die Kasse finde und von Hinweisschildern geleitet werde. So kann man Retail natürlich auch ausformulieren, aber das ist nicht der richtige Ansatz für uns. Unsere KundenInnen wollten einen Meilenstein setzen, etwas Neues wagen: einen multifunktionalen Showroom, eine Bühne für das Produkt. Retail bedeutet in den Städten bis auf wenige Ausnahmen oft Massenbedienung, Regale voller Güter, alles sehr funktional. Wir überlegen stattdessen, wie man es schaffen kann, dass jemand in den Raum kommt und sofort ein Gefühl entsteht – das man den Eindruck bekommt, das Produkt muss etwas Besonderes sein, wenn man ihm einen Altar aus Edelstahl widmet und einen Spot darauf richtet. Wenn man ein gutes Museum besucht, sind die BesucherInnen ja auch im Zentrum der Betrachtung des Kurators. Vielleicht versuchen wir uns eher daran zu orientieren, als in einem Restaurant als erstes zu überlegen, wo das schmutzige Tablett hinkommt. Die Kernfrage ist: Was ist wichtiger? Das ein Sofa in einem Laden, in dem ich mich vielleicht 15 Minuten aufhalte, gemütlich ist, oder dass dieser an sich schon so eindrucksvoll ist, dass ich anderen davon erzähle?

Interessant finde ich, wie ihr eure Objekte kombiniert. Diese sind so skulptural, dass sie jeweils für sich stehen könnten. Trotzdem wirkt das Gesamtbild harmonisch. Wie erreicht ihr das?

David Kosock: Das ist eine gute Frage. Wann es stimmig ist, entscheiden wir zu 95 Prozent aus dem Bauch heraus. Wir wollten kein Architekturbüro gründen und Hotels hochziehen, sondern beschäftigen uns beide gerne mit Räumen und ihrer Wirkung. Wir können keine Räume betreten, ohne dass wir uns fragen: Was könnte man hier realisieren? Die schönsten Momente im Projekt sind die Initialzündungen. Viel von dem, was man im ersten Moment als Bauchgefühl entwickelt hat, ist später die Grundlage für das Feinjustieren. Dazu kommt: Wer mit uns arbeiten möchte, kennt unsere Ästhetik und hat sich diese für das Projekt gezielt ausgesucht. Daher geht es in der Regel relativ schnell, dass wir einen gemeinsamen kreativen Moment entwickeln.

Überlegt ihr vor dem Start welche Emotionen ihr beim den BetrachterInnen erwecken möchtet oder bestimmt der Raum die Konzeption?

David Kosock: Ich glaube das passiert gleichzeitig: Mal haben wir Projekte mit einer Historie, die wir weiterdenken dürfen, bei anderen sind es Neubauten, in die man erst eine Emotion hineinbringen muss. Ich glaube es ist kein Entweder/ Oder. Wenn der Mensch den Raum betritt, entwickelt sich sofort ein Dialog.

Für mich sind eure Interior Designs auch eine Art White Cube, da sie die BetrachterInnen nicht überlasten, sondern eine klare Fläche bieten für eigene Gedanken und Interpretationen. Ist dieser Effekt gewollt?

David Kosock: Spannend ist es doch, wenn die BetrachterInnen eines Raumes Dinge selbst entdecken können. Wir recherchieren für unsere Projekte viel, um jenseits der Klischees und des Erwartbaren bleiben zu können. Für das Poke Restaurant "Jigi" haben wir so in Erfahrung bringen können, dass das Poke Gericht einst von hawaiianischen Fischern kreiert wurde. In unserem Projekt wollten wir diesem Aspekt Tribut zollen und nicht den SurferInnen, die das Gericht seither in Beachbars mit Surfbrettern an den Wänden inszeniert haben. Wir haben dann ein Foto von 1925 gefunden, auf dem ein Fischer auf einem Stein sitzend abgebildet ist. Das war für das Interior Design eine Initialzündung. Diese Geschichte steht nicht auf der Speisekarte, aber die Gäste können sie anhand des Fotos entdecken, das an der Wand hängt.

Die Steine für das Restaurant "Jigi" habt ihr einzeln ausgewählt. Wie war das bei eurer Waschbetonserie "Total Exposure"?

David Kosock: Die Ästhetik von Waschbeton spricht uns beide an und zudem gestaltet kaum jemand mit dem Werkstoff, da er sich nicht gerade großer Beliebtheit erfreut. Wir wollten daraus Interieur-Skulpturen formen, die den Werkstoff von draußen nach drinnen übersetzen und dem Material eine neue Finesse zu geben, die nicht aussieht als hätte man es vom Parkplatz in die Wohnung geschoben. Dabei haben wir vollkommen unterschätzt, welche Komplexität das mit sich bringt. Ein Werkstoff, der aus der Industrie kommt und aus dem Brückenpfeiler gegossen werden – damit filigran in kleinen Stückzahlen zu arbeiten ist keine einfache Aufgabe. Wir wurden auch erstmal ausgelacht, als wir damit an die Betonunternehmen herangetreten sind. Es hat dann ein Jahr Entwicklungszeit gebraucht, um Formen zu schaffen, die wir mit einer eigenen Waschbetonrezeptur gießen konnten. Um sicherzustellen, dass wir so filigran wie möglich werden können, brauchten wir Steine, die ein gewisses Maß nicht überschreiten durften und wir wollten für die Ästhetik nicht den gängigen Donaukies nehmen. Nach langer Suche haben wir eine kleine italienische Manufaktur gefunden, die für uns ein rundes Korn aus Marmor herstellt und dieses so siebt, dass wir ein ganz feines Maß bekommen. Die Zusammensetzung beinhaltet nur Rosso Verona, einen italienischen Kies, und Botticino Marmor.

Teilt ihr euch die Aufgaben jeweils auf oder geht ihr jeden Schritt gemeinsam?

David Kosock: Wir teilen uns die Aufgaben auf. Die architektonische Expertise und das gesamte Zeichnen liegt ganz klar bei Jörn, bei mir sind es eher strukturelle Aufgaben. Beim Konzeptmoment bewegen wir uns gemeinsam. In den Leistungsphasen der Architektur haben wir uns als Designstudio irgendwo zwischen eins und vier positioniert, in denen das maximale Augenmaß auf dem Konzept liegt. Das ist natürlich ein wenig so, als würde man sich nur die Sahne und die Kirschen von der Torte nehmen, aber es ermöglicht uns, in kurzen Intervallen zu arbeiten. Und eben nicht in ein Projekt einzusteigen, das einige Monate kreativ ist und dann über Jahre nur operativ. Das würden wir nicht wollen.

Woran arbeitet ihr gerade?

David Kosock: Die beiden wichtigsten Projekte, an denen wir aktuell arbeiten, sind eine Altbauwohnung in Düsseldorf, die wir kernsaniert haben, und ein Gutshof in der Nähe von Essen, ein Hektar Land mit drei riesigen Gebäudeteilen. Bei Letzterem handelt es sich um eine bewohnbare Fläche von über 1000 Quadratmetern, wo wir mit vielen FachplanerInnen zusammenarbeiten – das ist eine große Herausforderung. Was wir gerne noch realisieren würden, ist ein Projekt in einem neoklassizistischen Gebäude in Paris, in dem wir völlig frei entwerfen können, wie etwa ein Boutiquehotel mit kleiner Bar, einem Restaurant und zehn bis zwölf Zimmern. Das wäre ein Traum für uns.