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Schottische Arche

Schottlands neues Architektur-Highlight hat das Zeug zum Mekka für die "Designcrowd": Am 15. September 2018 hat das Designmuseum V&A Dundee in einem Bau des japanischen Star-Architekten Kengo Kuma eröffnet.
von Franziska Horn | 10.10.2018

Im Hafen von Dundee liegt ein historisches Schiff vor Anker, das Geschichte geschrieben hat: Der Dreimaster "RSS Discovery" brachte 1901 Ernest Shackleton und Robert Falcon Scott auf ihrer berühmten Expedition in die Antarktis. Die Buglinie des Schiffs korrespondiert mit den diagonalen, auskragenden Linien des kühnen Baus in seiner direkten Nachbarschaft – dem neuen V&A Dundee, der ersten Dependance des Victoria & Albert-Museums außerhalb Londons. Die zwei Baukörper, die der japanische Architekt Kengo Kuma entworfen hat, wachsen wie umgedrehte Pyramiden empor und verbinden sich in der Höhe zu einem homogenen Ganzen. Kuma hat 2.500 vorgefertigte Betonpanele verwendet, die er waagrecht an den auskragenden Außenmauern des Baus anbrachte. Sie strukturieren die Fassade, lassen den Bau durchlässig erscheinen und nehmen ihm alles Massive und Monumentale. Dreieinhalb Jahre Bauzeit benötigte der 80,11 Millionen Pfund (ca. 90 Millionen Euro) teure Bau. Er ist Teil eines Erneuerungsprogramms, das die Docklands und die Waterfront von Dundee transformieren soll.

Das Lamellen-Motiv der Außenhülle setzt Kuma konsequent im Innenbereich fort: Wie Schindeln reihen sich hunderte Tafeln aus Eiche über die Wände empor, wobei das Holz dem mit Tageslicht gefüllten Innenhof eine heimelige Atmosphäre zu geben vermag. "Ein Wohnzimmer" so nennt es sein Erbauer, gemacht, um sich heimisch zu fühlen – vielleicht sogar geborgen in seinen Ecken und Nischen, aus denen sich immer neue Perspektiven in die Weite der Halle ergeben. Eine beinah freischwebend wirkende Treppe zieht sich ins obere Stockwerk, wo sich die Ausstellungsbereiche befinden, darunter die "Scottish Design Galleries", die 300 ausgewählte Beispiele schottischen Designs, allen voran eine Zimmereinrichtung Charles Rennie Mackintoshs, zeigen. 

Ob Kuma Angst hat, dass sich mit diesem jüngsten Werk der Bilbao-Effekt wiederholt, dass also die Hülle wichtiger als ihr Inhalt werden könnte? Im persönlichen Gespräch sagt er dazu: "Ich habe ja keine Skulptur um ihrer selbst willen geschaffen. Sondern eine Art Wohnzimmer, einen Begegnungsort, der mehr Plattform als Selbstzweck ist". Bei der Ausschreibung 2010 hatte der Entwurf von Kengo Kuma & Associates starke Konkurrenten wie Snøhetta, REX, Sutherland Hussey Architects, Steven Holl oder Delugan Meissl aus dem Feld geschlagen. Wie ist das gelungen? "Weil ich eine Art Brücke angeboten habe, eine Verbindung zwischen Altstadt und Wasser, das ja historisch bedeutungsvoll ist für Dundee", sagt der Meister bescheiden. Hätte er für seine Heimat, die Küstenstadt Yokohama, einen ähnlichen Entwurf erarbeitet? "Wohl nicht", sagt Kuma, "denn hier in Schottland sind die Konditionen rauher und strenger". Daher habe er, der meist mit Materialien wie Holz, Stahl und Glas baut, ausnahmsweise widerstandsfähigen Beton eingesetzt. Bei Elementen wie dem freistehenden Aufzugsschacht im Inneren ist er sich dagegen treu geblieben: Dessen Verkleidung besteht aus mit Draht verflochtenen Metallstäben, die optisch durchlässig und beispielhaft für Kumas virtuoses Spiel mit Strukturen und Texturen sind. Noch ein Beispiel sind die Böden aus 300 Millionen Jahre altem irischem nachtblauen Kalkstein. Beinahe in jeder Platte sind filigrane Fossilien eingeschlossen.

2014 wurde Dundee als erste britische Stadt überhaupt von der UNESCO zur "City of Design" erklärt: 1876 wurde das Aspirin hier erfunden, 1835 die erste elektrische Glühlampe, später berühmte Comics, noch später bekannte Videospiele. Das V&A Dundee soll zukünftig als kreatives Flaggschiff der viertgrößten Stadt Schottlands und als Plattform und Schlepper für neue Ideen fungieren. Das Wall Street Journal zählt Dundee bereits zu den "five hottest destinations". Und das sicher nicht des Klimas wegen.