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Kit und Philipp von Dalwig

Raum für Möglichkeiten

Philipp von Dalwig führt zusammen mit seiner Lebenspartnerin Kit das Architekturbüro vonDALWIG Architecture in New York mit einer Dependance in Mainz. Im Interview erläutert uns der gebürtige Deutsche die spezifische Bürophilosophie, typische Aufgabenfelder und was die Magie des Big Apple für ArchitektInnen ausmacht.
27.06.2025

Alexander Russ: Wie bist du von Deutschland in die USA gekommen?

Philipp von Dalwig: Ich habe in Kaiserslautern und Barcelona Architektur studiert. Danach war ich Ende der 1990er für zwei Jahre bei Baumschlager Eberle Architekten in Österreich. Als ich dort angefangen habe, bestand das Büro aus etwa acht Leuten. Während meiner Zeit ist es auf 60 bis 70 MitarbeiterInnen angewachsen. Das internationale Arbeitsumfeld bei Baumschlager Eberle und meine Studienzeit in Barcelona haben mich dazu inspiriert, einen Master im Ausland zu machen. Den habe ich an der Columbia University in New York mit einem DAAD-Stipendium absolviert und danach dort unterrichtet. Gleichzeitig lernte ich während des Master-Studiums meine Lebens- und Büropartnerin Kit kennen. Sie wurde in Hongkong geboren, kam als Kind in die USA und ist auf Hawaii aufgewachsen. Danach hat sie in Seattle für Olson Kundig Architects gearbeitet, bevor sie nach New York gezogen ist.

Wie kam es zur Bürogründung?

Philipp von Dalwig: Kit war ganz klassisch in einem Architekturbüro tätig. Bei mir lief das ein bisschen anders. Nach meiner Zeit an der Columbia University habe ich erst mal vier bis fünf Jahre in einer Werbeagentur gearbeitet. Das war extrem wichtig für mich. Zum einen, weil ich viele Leute kennengelernt habe und mich in New York vernetzen konnte. Zum anderen, weil das ein interdisziplinäres Arbeitsumfeld war. Ich habe mich dort unter anderem mit Branding, Produktdesign und Designstrategie beschäftigt. Dadurch hat sich meine Vorstellung von Architektur geweitet. Zur selben Zeit gab es die ersten Architekturprojekte.

Welche Projekte waren das?

Philipp von Dalwig: Das waren meist Wohnungsumbauten für die ArbeitskollegInnen aus der Werbeagentur. 2005 gründeten Kit und ich dann unser Architekturbüro, das in den letzten 20 Jahren von zwei auf etwa acht bis zehn Leute gewachsen ist. Kit und ich teilen uns die Projekte auf, aber wir tauschen uns natürlich regelmäßig darüber aus. Wir sind auch viel im Kunstbereich unterwegs und haben KünstlerInnen als BauherrInnen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich wahnsinnig gerne Architekt in New York bin: Hier gibt es unglaublich spannende Leute.

Kannst du uns ein bisschen mehr über eure Anfangszeit erzählen?

Philipp von Dalwig: Neben der Sanierung von Apartments haben wir zu Beginn viele Retailprojekte gemacht, wie etwa Modegeschäfte oder Coffeeshops. Oft waren das Flagshipstores, wo es darum ging, die DNA der jeweiligen Marke und ihre Produktphilosophie zu analysieren, weiterzuentwickeln und architektonisch umzusetzen. Dazu zählten unter anderem auch Aufgaben wie die Standortsuche, weil wir zusammen mit den BauherrInnen überlegt haben, in welchem Stadtteil man das Geschäft am besten eröffnet. 2007 sind wir dann von Manhattan nach Clinton Hill in Brooklyn gezogen, wo wir heute noch ansässig sind. Der Ort hat uns ziemlich beeinflusst.

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Inwiefern?

Philipp von Dalwig: Mit der Renaissance von Brooklyn und seinen bekannten Brownstones, die als Reihenhäuser im frühen 18. bis zum 19. Jahrhundert gebaut wurden, sind auch Familien aus Manhattan auf der Suche nach größerem Wohnraum nach Brooklyn gezogen. Das hat uns neue Aufgabenfelder beschert. Viele BauherrInnen lebten zuvor in Lofts und waren sehr architekturaffin, was die Zusammenarbeit enorm erleichtert hat. Gleichzeitig wollten sie die Großzügigkeit, die ein Loft mit seinen offenen Flächen und großen Fenstern nun mal hat, in ihrem neuen Wohnumfeld wiederfinden. Das war dann die Herausforderung: ein eher dunkles und verwinkeltes Reihenhaus in Brooklyn in ein großzügiges und lichtdurchflutetes Zuhause zu verwandeln.

Kannst du uns mehr über die Gebäudetypologie erzählen?

Philipp von Dalwig: Die Häuser sind Teil einer Blockstruktur, die sich aus parzellenartigen Grundstücken zusammensetzt. Diese sind von beiden Seiten bebaut und dazwischen befindet sich der Garten. Weil das Ganze nur von zwei Seiten belichtet werden kann, liegt das Treppenhaus oft in der Mitte des Gebäudes und ist entsprechend dunkel. Die BauherrInnen wollen aber offene und lichtdurchflutete Räume, deren Nutzungen fließend ineinander übergehen.

Wie habt ihr das gelöst?

Philipp von Dalwig: Oft haben wir die Häuser nach oben oder in den Garten hinaus erweitert, um mehr Wohnraum zu schaffen. Unser eigenes Wohnhaus ist ein gutes Beispiel. Neben einer Aufstockung kam hier ein Lichthof dazu, der als Trennung zwischen dem Wohnzimmer und dem Gäste- beziehungsweise Arbeitszimmer funktioniert. Ansonsten ist alles sehr offen. Weitere Elemente sind großzügige Oberlichter und eine Dachterrasse. Aus den energetischen Anforderungen an die Gebäude ergeben sich zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten. Ein Beispiel ist ein gerade fertiggestelltes Einfamilienhaus in Greenpoint, Brooklyn. Der Dachaufbau besteht hier aus mehreren Geometrien, die um einen Lichthof angeordnet sind. Die unterschiedlichen Proportionen der Aufbauten spiegeln zum einen die Anforderungen des darunterliegenden Wohnprogramms wider. Zum anderen optimiert die Geometrie der Dachneigungen den Einstrahlwinkel für die integrierten Solarpanels. Das Ergebnis sind interessante Innenräume, die durch den zentralen Hof räumlich in Verbindung stehen und lichtdurchflutet sind.

Wie geht ihr gestalterisch an diese Projekte heran?

Philipp von Dalwig: Wir haben keine bestimmte oder sich wiederholende Formensprache. Stattdessen arbeiten wir mit einer einfachen Komplexität, bei dem die Raumbildung und Materialien bewusst reduziert werden. Das schafft eine klare und ruhige Atmosphäre. Die Gestaltung ist zwar durch bestimmte Details und Proportionen geprägt. Es gibt aber keine übermäßigen Verzierungen oder komplexe Formen. Ein Beispiel ist die Verwendung freistehender Elemente. Sie ermöglichen es, Räume funktional zu definieren, ohne sie vom Rest des Wohnraums zu isolieren. Dabei kann es sich um Treppen, Einbaumöbel, freistehende Räume wie Boxen und Patios oder Einschnitte in die Gebäudehülle handeln. Diese Elemente können sich durch das gesamte Gebäude ziehen und so zu einer kohärenten Gestaltung beitragen. Gleichzeitig erzeugen sie fließende Übergänge. So kann eine offene und flexible Raumgestaltung entstehen, die eine harmonische Verbindung zwischen den einzelnen Bereichen schafft.

Welche Rolle spielt die Materialität?

Philipp von Dalwig: Die Materialität trägt zur neuen Identität der Häuser bei. Wir entwerfen das Innere in der Regel selbst. Es gibt also keinen separaten Innenarchitekten. Das gibt uns die Möglichkeit, eine holistische Architektur zu schaffen. Hinzu kommt, dass wir viel im Bestand arbeiten. Deshalb geht es meist darum, das Vorhandene ins Gesamtkonzept zu integrieren. Das kann zum Beispiel ein schöner alter Parkett- oder Steinfußboden mit einer spezifischen Farbigkeit und Textur sein, an den wir die neue Materialität anpassen. Das Spektrum reicht hier von schlichten industriellen Materialien über handgefertigte Terrazzo-Böden bis hin zu speziellen, veredelten Betonmischungen. Oft kommt auch eine spezifische Haptik dazu, wie ein bestimmter Putz an den Wänden. So lassen sich Schnittstellen zwischen dem Mobiliar und den architektonischen Elementen wie Boden, Wand und Decke erzeugen.

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Ihr seid auch im Bürobau tätig.

Philipp von Dalwig: Wir haben kürzlich ein Projekt abgeschlossen, das die Schnittstelle zwischen Büro, Kunstgalerie und Eventspace einnimmt. Das Ganze befindet sich im Penn 1 (1 Penn Plaza) in Midtown Manhattan. Das ist ein Hochhaus aus dem Jahr 1972, das von Kahn & Jacobs entworfen wurde. Die Fassade wurde kürzlich von MdeAS saniert. Es liegt direkt bei der Penn Station, einem riesigen Zug- und Busbahnhof. Die Aufgabe bestand darin, Räumlichkeiten zu gestalten, die sowohl als Eventspace genutzt werden können als auch an Meetings unterschiedlicher Größen mit bis zu 40 Personen anpassbar sind. Gleichzeitig sollten die Räume flexible Arbeitsplätze bieten – vom Büroraum über Hot Desks bis hin zur Lounge. Der Bauherr ist ein Logistikunternehmen, das Veranstaltungen wie die Formel 1, Tennisturniere oder Galerien und Kunstmessen unterstützt. Während des Ausbaus haben wir unsere Kontakte zur Kunstwelt genutzt, um Kunstwerke in das architektonische Konzept zu integrieren. Diese können nun in Wechselausstellungen käuflich erworben werden.

Kannst du beschreiben, wie das räumlich funktioniert?

Philipp von Dalwig: Das Raumkonzept besteht aus mehreren freistehenden Objekten mit unterschiedlichen Geometrien, sogenannten Private Offices, die das Büro in verschiedene Bereiche unterteilen. Auch hier fließen die Übergänge zwischen den räumlichen Zonierungen, um die größere Struktur des Büros in den Vordergrund zu stellen. Im Event- und Lounge-Bereich kann das Mobiliar durch einen angeschlossenen Lagerraum flexibel zwischen bequemen Sofas und Vortragstischen ausgetauscht werden. Die sogenannten Hot Desks sind für alle MitarbeiterInnen verfügbar. Gespräche, die eine ruhige Umgebung erfordern, finden in der angrenzenden Telefonbox statt. Die freistehenden Büroräume sind durch Glaswände einsehbar, aber akustisch getrennt. Alle Bereiche sind miteinander verbunden. Trotzdem behalten sie ihre eigene Funktion und ihren Charakter.

Gibt es noch weitere Projekt im Bürobereich?

Philipp von Dalwig: Etwas ähnliches wie im Penn 1 haben wir für ein anderes Logistikunternehmen im Kunstbereich gemacht. Hier besteht das Konzept aus mehreren umschließenden Raumschichten, die jeweils die Arbeitsplätze und einen Ausstellungsbereich im Zentrum umfassen. Ein weiteres Projekt sind die Büroräume für eine Modelagentur mit 180-Grad-Blick auf den New Yorker Hafen. Sie befinden sich in einem Hochhaus an der Spitze von Manhattan. Dort ging es sehr stark um die Frage, wie sich ein ausgewogenes Verhältnis aus kommunikativen Zonen und Rückzugsbereichen für ein konzentriertes Arbeiten schaffen lassen. Wir haben das Ganze dann durch ein zentrales Rückgrat gegliedert, das als möblierte Wand linear durch den Raum verläuft. Es schafft verschiedene Zonen für Konferenzräume und Arbeitsbereiche. Hinzu kommen eine Lounge und eine Bibliothek.

Wie sieht es auf dem Markt für Büroimmobilien in New York gerade aus? Herrscht hier wegen des Homeoffice immer noch ein großer Leerstand?

Philipp von Dalwig: Momentan gibt es eine kleine Renaissance im Bürobau. Das ist dringend nötig, weil die Städte sonst hohe Steuereinnahmen verlieren und die Innenstädte veröden. Das hat man zum Beispiel in San Francisco in den letzten Jahren gesehen. Gleichzeitig zeigt sich immer mehr, dass die Produktivität durch die Arbeit im Homeoffice zurückgeht, weshalb die großen Unternehmen jetzt gegensteuern. Gerade wenn es um den Erfahrungsaustausch geht, spielt der physische Raum eine wichtige Rolle. Aber auch kleinere Unternehmen merken, dass sie eigene Räumlichkeiten brauchen, wo sich alle treffen können. Das ist besonders wichtig, wenn nicht alle Mitarbeiter in New York arbeiten, sondern auf die USA verteilt sind.

Kannst du uns zum Schluss noch einen Einblick geben, wie es ist, in New York als Architekt zu arbeiten?

Philipp von Dalwig: Ein kleines bisschen ist das hier immer noch wie im Wilden Westen. Natürlich gibt es in New York Bauvorschriften, aber gleichzeitig ist alles sehr möglichkeitsgetrieben. Das durchdringt alle gesellschaftlichen Bereiche und dementsprechend auch das Bauen. Vieles wird pragmatisch geregelt, zum Beispiel in dem man sich mit den Nachbarn abstimmt. Und was ich toll finde: Grundsätzlich gibt es in New York einen gewissen Vertrauensvorschuss von den BauherrInnen. Man muss also nicht ein Rathaus gebaut haben, um ein Rathaus bauen zu dürfen. Stattdessen muss man rüberbringen, dass man der Aufgabe gewachsen ist und das Ganze tatkräftig und mit Verantwortungsbewusstsein umsetzen kann.