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Wenn man die Dinge nicht ausprobieren kann, ist dieser Abstand wirklich gefährlich – Teil 1
25.02.2011
Paola Antonelli, Foto © Robin Holland, Montage © Dimitrios Tsatsas, Stylepark

Jochen Stöckmann: Das Museum of Modern Art in New York kennt man als Kunstmuseum. Wie schaffen Sie es, in dieser Umgebung den Gebrauchswert von Design, von ganz alltäglichen Produkten zu zeigen?

Paola Antonelli: Eines der größten Probleme von Designmuseen ist, dass ein Museum üblicherweise Abstand schafft zwischen Besuchern und ausgestellten Objekten. Deshalb muss man sich einiger Tricks bedienen, um den Besucher zumindest spüren zu lassen, wie es ist, mit den Dingen umzugehen. In einigen Fällen sind sie vertraut mit den Designobjekten, zeigen darauf und sagen etwa „Den Toaster kenne ich, der funktioniert nicht besonders gut!" Sie wissen schon, der Braun-Toaster. Jeder sagt, dass er nicht besonders praktisch ist, aber er ist eben sehr schön. In der Ausstellung „work spheres" hatten wir hingegen Auftragsarbeiten von Designern, weil das Publikum Objekte benutzen oder sie zumindest in ihrem Gebrauch verstehen sollte, schließlich ging es um die Frage, wie Menschen arbeiten. Das war 1999, zu einer Zeit, als Technologie zwar begann, Teil unseres Lebens zu werden, die meisten ihr aber noch sehr ablehnend gegenüberstanden. Und die Technik war ja wirklich noch nicht ausgereift. Erinnern wir uns: Man dachte, unterwegs arbeiten zu können - aber dann fehlte immer irgendein Adapter oder der Server antwortete nicht. Das war für uns der Moment, darüber zu reden, was Design bewerkstelligen könnte, um diese Situation zu verbessern, um die neue Technik nicht nur zu nutzen, sondern auch zu genießen.

Es waren also neben bereits existierenden Produkten auch sechs Auftragsarbeiten in der Ausstellung, zum Beispiel die Einzelkabine: Wie lässt sich dieser abgeteilte Arbeitsplatz im Büro erträglicher gestalten? In diesem Fall war der Designer Naoto Fukasawa gefragt - Japaner sind ja gewohnt, in sehr kleinen Räumen zu leben. Mit OLED, damals eine sehr innovative Technologie, installierte er Bildschirmflächen an der Decke, sodass jeder seinen individuellen Himmel gestalten konnte. Sie haben vielleicht einen Freund, der die Aufnahme eines Sonnenuntergangs in Hawaii schickt oder Wien im Morgenlicht; das Motiv hat man dann über sich als bewegtes Bild, als würde ein leichter Wind wehen.

Ein weiteres Thema war das Arbeiten zuhause. Damals fürchteten ja viele, dass dabei Beruf und Familienleben durcheinander geraten könnten. Es gab da seltsame Theorien, etwa, dass eine Zeitschaltung den Computer pünktlich um neun Uhr abends runterfahren müsse und man ihn bis zum nächsten Morgen nicht wieder anwerfen dürfte. Oder man sollte sich vor Arbeitsbeginn umziehen. Dazu beauftragte ich Hella Jongerius, und sie sagte - gewitzt wie immer: die Leute wissen selber, wann sie arbeiten und wann nicht. Also gestaltete sie gegen alle Verhaltensmaßregeln sehr schöne Objekte und Haushaltsgeräte, die sowohl bei der Arbeit als auch im Alltagsleben benutzt werden können. Sie hat vorhergesehen, was sich dann tatsächlich entwickelte, was es bedeutet, mit Technologie zu arbeiten.

Die Arbeit mit Computern, die Digitalisierung, führt zum Verlust konkreter Erfahrungen aus erster Hand. Als „user" sehen und begreifen die Menschen kaum noch, was in den Black Boxes vor sich geht. Designer können nun versuchen, diese verschwundenen „Inhalte" auf der Oberfläche zu visualisieren oder sie dekorieren die Geräte - in jedem Fall bleibt das Problem, wie man mit dem zunehmenden abstrakten Charakter der Arbeit umgeht.

Antonelli: Das sehe ich prinzipiell anders. Mit der zunehmenden Verbreitung von Computertechnologien haben junge Designer und Ingenieure das Handwerk wiederentdeckt. Ich bemerke das bei Möbeldesignern, Hella Jongerius zählt dazu, aber auch Demakersvan oder Patrick Jouin - da gibt es viele, die computergesteuerte Technologien nutzen, sich aber auch darauf verstehen, Dinge von Hand herzustellen. Denn je avancierter Technik und Materialien werden, desto wichtiger ist es, zuerst einmal im direkten Zugriff mit der Hand zu experimentieren.

Daneben existiert das Phänomen des Hackings, der Hacker - und all jener, die sich mit „physical computing" beschäftigen, also mit der Auswirkung von Software oder Internet auf die reale Welt, etwa im „Make Magazin". Ich bemerke immer mehr Menschen, die sich auf diese Weise „handgreiflich" mit Computern, Objekten oder auch dem Programmieren von Software beschäftigen. Eines der vielen Probleme mit Plattformen wie iPad oder iPhone ist ja, dass es geschlossene Systeme sind. Demgegenüber genießen es viele, mit „open source" zu arbeiten, sie warten auf das Android Tablet. Anfangs war vieles an den neuen Technologien schleierhaft, schwer zu verstehen und sehr abstrakt. Aber heute ist es sehr stofflich geworden, etwas, mit dem sich arbeiten lässt. Es ist wohl nur noch eine bestimmte Generation, die sich von der Technik einschüchtern lässt, sie nach eingefahrenen Methoden benutzt und nicht als bearbeitbares Material.

Nicht als formbares Material, sondern als eher dekorative Objekte behandeln Designer in letzter Zeit Computer oder auch Mobiltelefone: die Geräte werden geadelt durch schwarzglänzenden Klavierlack, sehen aus wie edle Produkte japanischen Kunsthandwerks.

Antonelli: Das ändert sich bereits wieder. Einer der bekanntesten japanischen Designer, Tokujin Yoshioka, hat gerade ein Mobiltelefon mit durchsichtigen Plastikschalen herausgebracht. Man sieht alles im Innern. Das ist schon komisch, genau das Gegenteil der Black Box. Aber die Ästhetik dreht sich zu sehr um das Innere. Ich möchte zwar keine schwarze Kiste, aber etwas undurchsichtiger dürfte es schon sein.

Aber der Blick auf das Innenleben bleibt eine Aufgabe der Designer: gute Bedienungsanleitungen sind eine Herausforderung.

Antonelli: Die nächste Ausstellung, an der ich arbeite, heißt „Talk to me". Da geht es um die Kommunikation zwischen Mensch und Objekt. Wir werden da ein Projekt vom Royal College of Art zeigen; diese Designer haben die Gebrauchsanleitung in ein Mobiltelefon integriert, für Benutzer mit wenig Verständnis für Technik. Das Mobiltelefon befindet sich anfangs in einem Buch, beim Aufblättern wird dann schrittweise erklärt, was zu tun ist. Auf der ersten Seite ist die SIM-Card, mit der zweiten Seite öffnet man die Abdeckung und legt den Chip ein. Das ist von einer erstaunlichen Klarheit. Aber Sie haben vielleicht selber bemerkt, dass die Menschen komplizierte Benutzeroberflächen leid sind. Die Rebellion gegen Fernsteuerung beginnt sich auszuzahlen, denn dadurch wird ein iPad oder iPhone mit seinem sehr einfachen Interface zur Errungenschaft avancierter Technologie. Diese Technologie kann also auch dazu beitragen, Dinge einfacher und klarer verständlich zu machen.

Wenn es darum geht, diese Technologie im MoMA auszustellen, worin unterscheidet sich dann die Präsentation von Design und Bildender Kunst? Wo gibt es Anknüpfungspunkte oder Gelegenheiten, mit den anderen Abteilungen zusammenzuarbeiten?

Antonelli: Das MoMA hat sieben Abteilungen, wir hängen alle voneinander ab. Da gibt es Malerei und Skulptur, Zeichnungen, Kunstdrucke und illustrierte Bücher, dann Fotografie, Film, Medien und Performance und Architektur und Design, wir arbeiten viel zusammen. Nahtlos, wenn es um Malerei und Zeichnung geht, oder auch um Fotografie. Die beiden Departments mit den größten Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit sind Film und Architektur sowie Design, insbesondere Design. Warum Film? Weil Filme im Kinosaal gezeigt werden müssen. In der Umgebung einer Ausstellung, einer Galerie, kann sich niemand so in Filme vertiefen, wie sie es verdienen. Design, neben Skulpturen gezeigt, wird förmlich aufgesogen, das ist sehr vertrackt. Ich habe mich vor Jahren an einer Ausstellung versucht, in der wir Design und Skulptur zusammengebracht haben mit Dingen wie dem Filzanzug von Beuys oder dem „Feltri"-Sessel von Gaetano Pesce. Das geht aber nicht, weil Designobjekte nur noch wie Skulpturen wahrgenommen werden. Und wenn der Besucher die Dinge nicht ausprobieren kann, ist dieser Abstand wirklich gefährlich.

Designobjekte sollen also nicht - oder nicht nur - wie Skulpturen betrachtet werden. Was sind dann die Kriterien beim Ankauf für die Sammlung des MoMA, wenn nicht Schönheit oder formale Qualitäten? Ist kommerzieller Erfolg ein Kriterium?

Antonelli: Erfolg am Markt kann nicht schaden; das ist auch ein Kriterium. Wenn ein Designerstück Erfolg hat, resultiert das aus dem Zusammenwirken vieler Faktoren. Entscheidend sind die Absichten des Designers. Hat er auf das breite Publikum gezielt, dann ist Erfolg am Markt ein Kriterium. Der Erfolg spielt aber keine Rolle, wenn es sich um ein Experiment handelt, wenn es darum geht, eine neue Technologie auszuprobieren. Wichtig ist die Anfangsidee. Wir müssen also herausfinden, was der Designer beabsichtigte - und daraufhin sein Endprodukt betrachten. Wirkt der Ursprungsgedanke noch weiter, ist er trotz aller Kompromisse lebendig geblieben, denen jedes Designobjekt unterworfen ist? War er oder sie in der Lage die Einheit der Grundkonzeption beizubehalten, erfüllt das Objekt diesen Plan? Ist es eine Bereicherung unserer Lebenswelt? Wenn ein Designer sich Nachhaltigkeit zum Ziel gesetzt hat, wenn er Millionen von Käufern erreichen wollte oder ein nichttoxisches Produkt auf den Markt bringen wollte - dann werde ich genau hinschauen, ob sich all das bewahrheitet hat. Wenn aber ein Designer sagt, das alles schert mich nicht, ich teste jetzt dieses neue Material auf seinen toxischen Gehalt oder probiere, ob man darauf sitzen kann oder nicht - dann ist das alles, worauf ich zu achten habe.

Demzufolge müssen Sie eine Menge an empirischen Studien treiben und zudem recherchieren, welche Absichten der jeweilige Designer verfolgte?

Antonelli: Das ist nicht so schwer. Die erfolgreichsten Produkte sind Objekte, an denen sich die Ursprungsidee ablesen und zurückverfolgen lässt.

Wenn ich in der Designgeschichte zurückgehe, gab es da Objekte die eine neue Richtung, einen Paradigmenwechsel nicht nur symbolisieren, sondern regelrecht demonstrieren?

Antonelli: Da gibt es viele! Oft verbunden mit neuen Technologien, denn Designer sind nun einmal diejenigen, die avancierte Techniken in ihren Objekten anwenden. Zuerst fällt mir da der Walkman ein. Zum zweiten das World Wide Web, als dafür eine Benutzeroberfläche geschaffen wurde. Das iPhone, auf jeden Fall der iPod. Auch der erste Macintosh 128K von 1984. Motorolas Star TAC, das erste Klapphandy. Das erste Transistor-Fernsehgerät von Sony. Aber schauen wir auch in die Geschichte, ich bin doch sehr zeitgenössisch: Der „Sacco", ein Sitzsack - das war ein großartiger Paradigmenwechsel - wie vielleicht auch der Panton-Stuhl. Dazu der Stahlrohr-Sessel „Wassily" von Marcel Breuer. Solches Design ist die Verkörperung des Fortschritts. Und einige Objekte geben einen Schub in die Zukunft, wie ein Trampolin.

Wenn es gilt, diese Sprünge in eine neue Ära darzustellen, was bereitet größere Probleme, die Boeing 747 oder die Erfindung des Internet?

Antonelli: Auf jeden Fall die Boeing 747, aber der Aufbau des World Wide Web ist nicht einfach. Kürzlich haben wir begonnen Dinge zu sammeln, die keine Objekte im herkömmlichen Sinne sind. Wir versuchen Benutzeroberflächen zu sammeln oder Visualisierungen. Das erste Objekt dieser Art war John Maedas „reactive books" mit CDs. Die sind schon sehr alt und benötigen ebenso alte Macs, um sie zeigen zu können. Sie sind interaktiv, aber man muss dafür erst einmal die alten Tastaturen auftreiben. Das World Wide Web lässt sich auf manche Art präsentieren, aber wir hätten gerne die ersten graphischen Benutzeroberflächen, die Xerox im Jahr 1981 entwickelt hat. Ein Kollege war dort, im kalifornischen Palo Alto, und hat mit den Fachleuten geredet. Sie haben nichts aufbewahrt, weder die alten Computer noch die Software. Wie sollen wir es also zeigen, mit Fotos und Videos? Kann man überhaupt eine Website sammeln? Eigentlich nicht, denn wenn eine Seite aus dem Internet entnommen wird, ist sie tot. Das ähnelt dann dem Ausstopfen toter Tiere. Es ist paradox: sehr schwierig zu sammeln und ganz einfach auszustellen war das @-Zeichen. Ich schlug es für die MoMA-Sammlung vor und es hat mich sieben Monate gekostet, meine Kollegen zu überzeugen - es brauchte dann nur Sekunden, um es an die Museumswand zu bringen. Das war ein Beispiel für etwas, das einfach zu präsentieren ist, für dessen konzeptuelle Umsetzung es aber viel Engagement braucht. Das meiste an neuer Technologie erweist sich im Museum als kompliziert, da muss man entscheiden, ob es interaktiv präsentiert werden soll oder als Video. Das beschert uns viele Diskussionen.

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Paola Antonelli, Foto © Robin Holland, Montage © Dimitrios Tsatsas, Stylepark