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Denise Scott Brown, 1978

Blickpunkt: Architektinnen – Denise Scott Brown

In unserer Serie "Blickpunkt: Architektinnen" stellen wir Ihnen in regelmäßiger Folge das Werk von Architektinnen vor – wie das von Denise Scott Brown, deren Arbeit erst in den letzten Jahren eine angemessene Würdigung erfährt und aufgrund systemischer Ungerechtigkeit lange im Schatten ihres Mannes Robert Venturi lag.
von David Kasparek | 28.02.2023

Als Johannes Rau, 2006 verstorbener Politiker und von 1999 bis 2004 Bundespräsident, rund um die Diskussionen der Benennung des damals noch nicht fertiggestellten Stadions in Gelsenkirchen-Schalke gefragt wurde, ob derlei Sportstätten inzwischen nicht auch einmal nach Frauen benannt werden sollten, antwortete er mit zwei Gegenfragen: "Und wie soll dann bitte so ein Stadion heißen? Vielleicht Ernst-Kuzorra-seine-Frau-ihr-Stadion?" Die Lacher der, wie meist im Fußballkontext, überwiegend männlich besetzten Presserunde hatte er damit auf seiner Seite. Klar wurde aber auch, wie wenig ernst selbst ein auf politischem Parkett versierter Mann wie der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident das Thema nahm.

Vielen war Denise Scott Brown jahrelang nur als "Frau von Robert Venturi" bekannt. 1991 wurde Venturi mit dem Pritzker-Preis bedacht, der wohl wichtigsten Auszeichnung der westlichen Architekturwelt, und seine Büropartnerin Denise Scott Brown wurde damals wie folgt für das gemeinsame Werk benannt: "Denise Scott Brown ist seit 30 Jahren seine Mitarbeiterin bei der Entwicklung der Architekturtheorie und der Entwürfe. Die beiden sind seit 24 Jahren verheiratet." Den Preis bekam Venturi alleine, zugestanden hätte er ihnen beiden. Angeblich, so die Verantwortlichen damals, sehe die Satzung keine Verleihung an ein Team vor. Zehn Jahre später ließen sich diese konstituierenden Einschränkungen freilich leicht ändern, als mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron sehr wohl zwei gleichberechtigte Partner ausgezeichnet wurden – nur eben zwei Männer.

Las Vegas Beschilderung, 1966

Drei Kontinente, eine Karriere

Am 3. Oktober 1931 kommt die inzwischen so bekannte Architektin, Stadtplanerin und Theoretikerin als Denise Lakofski im heutigen Sambia zur Welt. 1948 nimmt sie ihr Studium an der Witwatersrand-Universität im südafrikanischen Johannesburg auf und lernt dort Robert Scott Brown kennen und lieben. Denise siedelt nach Europa über, wo sie 1955 ihr Diplom an der legendären Architectural Association School of Architecture ablegt und im gleichen Jahr Robert Scott Brown heiratet. Die beiden reisen durch Europa, arbeiten an verschiedenen Orten und wechseln 1958 erneut den Kontinent. Sie ziehen nach Philadelphia in den USA, wo Denise einen Master-Abschluss in Architektur und Stadtplanung an der University of Pennsylvania anstrebt.

Obschon ihr Ehemann nur ein Jahr nach Ankunft in den USA bei einem Autounfall zu Tode kommt, erlangt Denise Scott Brown 1960 den Abschluss in Stadtplanung und beginnt als Dozentin an der Universität zu arbeiten. Während einer Fakultätssitzung trifft sie erstmals den Architekten Robert Venturi, der als Fellow Professor an der Universität lehrt. Die beiden geben einige Seminare gemeinsam, ehe Scott Brown Philadelphia verlässt, um in den Folgejahren an den renommierten Hochschulen in Kalifornien zu unterrichten: Berkeley und UCLA. In dieser Zeit entsteht ihr Interesse für die Städte des Südwestens der USA: für Los Angeles mit seiner riesenhaften Ausdehnung und für die Wüstenstadt Las Vegas mit seinen Casinos und Hotels. Sie lädt Venturi zu Gastkritiken in ihre Seminare an der UCLA ein, 1966 zu einer gemeinsamen Reise nach Las Vegas – Venturi hatte gerade sein Epoche-machendes Buch "Complexity and Contradiction in Architecture" veröffentlicht.

Für die beiden eine äußerst ereignisreiche Zeit: im Juli 1967 heiraten sie, Denise zieht noch im gleichen Jahr zurück nach Philadelphia, um in Roberts Büro Venturi and Rauch einzusteigen, wo sie 1969 zur verantwortlichen Partnerin wird. Im Jahr darauf nimmt Scott Brown ihre Lehrtätigkeit wieder auf, dieses Mal in Yale, wo sie gemeinsam mit Venturi ihre Eindrücke der Las-Vegas-Reise weiter vertieft und bearbeitet. Das Ergebnis ist – neben einer Vielzahl eindrücklicher Fotos und Collagen – das gemeinsam mit Steven Izenour verfasste Buch "Learning From Las Vegas: the Forgotten Symbolism of Architectural Form". Die Veröffentlichung lässt sich als Fortschreibung von Venturis 1966er-Buch lesen und ist eine finale Absage an einen elitären Architekturgeschmack, der sich aus einer orthodoxen Auffassung der architektonischen Moderne speist. Ohne ihre Überlegungen von der "Ente" und dem "dekorierten Schuppen" wäre die Entwicklung der postmodernen Architektur, in der Form, wie wir sie erlebt haben, nicht denkbar. Die damals gängigen Regeln für Entwurf zu hinterfragen, die Wichtigkeit von Analyse, die Fragwürdigkeit von Begriffen wie "Schönheit" und "Hässlichkeit" sowie ihre zeitliche Kontextualisierung, die Zusammenhänge von Architektur, Alltag und der sozialen Verantwortung, all das prägt die Arbeit des Paares schon hier und wird Generationen von ArchitektInnen beeinflussen.

Los Angeles, 1967

Learning from Las Vegas: FFF studios

In ihre Analysen des jeweiligen Ortes beziehen sie die Tagesabläufe der Bevölkerung mit ein, betrachten, wer sich wann an welchen Orten aufhält, und ziehen daraus Rückschlüsse für ihren Entwurf. In den späten 1960er-Jahren ein bemerkenswerter Akt. Ihren systematischen Planungsansatz nennen sie "FFF studios", in dem Form, Kräfte (engl. Forces) und Funktion das städtische Umfeld bestimmen und bei seiner Definition helfen. Beim Wettbewerb "Berlin Tomorrow" kommt diese Methode ebenso zum Tragen wie bei den stadtplanerischen Auseinandersetzungen für das Bryn Mawr College oder den Campus des Dartmouth College. Es folgen eine Vielzahl von Masterplänen an verschiedenen Orten im In- und Ausland, dazu diverse Gebäude, die in die Architekturgeschichte eingehen. Für die Hotelkette Nikko verschmelzen sie fernöstliche Motive mit westlichen, mit dem Sainsbury-Flügel der National Gallery in London setzen sie Maßstäbe postmoderner Architektur. Aber auch im Kleinen kommen die Ideen von Denise Scott Brown und Robert Venturi räumlich zur Geltung: Bereits 1969 entsteht das feine Haus in Barnegat Light am Strand von Long Beach Island. Wunderbar vereint es die räumliche Komplexität und die formalen Überraschungen, die das Architektenpaar immer wieder theoretisch formuliert und praktisch auf unterschiedlichen Maßstabsebenen umsetzt. Im Laufe der Zeit verleihen zwölf Institutionen Denise Scott Brown die Ehrendoktorwürde, 2016 würdigt der Amerikanische Architektenverband AIA sie gemeinsam mit Ehemann Robert Venturi mit seiner Goldmedaille, im Jahr darauf wird Denise Scott Brown mit dem Jane-Drew-Award ausgezeichnet, den ausschließlich Frauen erhalten. Eine Vielzahl von Preisen und Auszeichnung addiert sich zu dieser Liste.

Im September 2018 aber stirbt Bob, wie sie ihren sechs Jahre älteren Ehemann liebevoll nennt, im Alter von 93 Jahren. Nur wenige Wochen danach eröffnet noch im gleichen Jahr die erste, nur ihr gewidmete Ausstellung "Downtown Denise Scott Brown" im Architektur Zentrum Wien. Der wunderbare, im Stil eines Reiseführers gehaltene Katalog zeigt sie einmal mehr aufrecht und selbstbewusst vor die Leuchtschilder Las Vegas‘ collagiert. Das Grußwort zur Schau in Wien schickt sie 87-jährig per Video aus ihrem Zuhause und zeigt sie agil und optimistisch. Im vergangenen Jahr schließlich würdigt Frida Grahn die Arbeit Scott Browns anlässlich des 50-jährigen Publikationsjubiläums von "Learning from Las Vegas" mit dem schönen Buch "Denise Scott Brown In Other Eyes. Portraits of an Architect", das im Rahmen der Bauwelt Fundamente vorgelegt wurde.

Kanal von Venedig, 1956

Robert Venturi selbst schrieb einmal: "Denise Scott Brown ist für mich eine inspirierende und gleichberechtigte Partnerin". Und Scott Brown nannte sein Buch "Complexity and Contradiction in Architecture" wiederum so relevant und einflussreich, dass er allein dafür und schon Jahre vor 1991 den Pritzkerpreis verdient hätte. Obschon sich von unterschiedlicher Seite lautstark für eine nachträgliche Würdigung auch ihres Beitrags am gemeinsamen Werk eingesetzt wurde – unter anderem mit einer Vielzahl von Artikeln, Aufrufen und einer viralen Online-Petition – bleibt Denise Scott Brown der Pritzker-Preis bis heute verwehrt. Sie könne ohnehin nicht mehr gut reisen, konstatiert die stets aktiv gebliebene Architektin vor nicht allzu langer Zeit und schloss: "Sie schulden mir keinen Pritzker-Preis, aber eine 'Pritzker-Zurechnungs-Zeremonie‘. Lasst der Idee von gemeinschaftlicher Kreativität ihre Ehre erweisen." Das Gemeinschaftliche in ihrer Arbeit wird sie dabei nie müde zu betonen. Denn, so Denise Scott Brown: "Kommunikation ist ein Teil der Funktion in der Architektur."

Denise Scott Brown
In Other Eyes
Portraits of an Architect

Published by: Frida Grahn, 2022
Volume 176 of the Bauwelt Fundamente series
256 Seiten
Language: Englisch
Illustrationen: 100
ISBN: 978-3-0356-2624-7
36 Euro

Video Message of Denise Scott Brown for the opening of "Downtown Denise Scott Brown", Az W