Blickpunkt: Architektinnen – Karen Eisenloffel
Karen Eisenloffel wurde in Mansfield, Ohio, als Tochter österreichischer Auswanderer geboren. Sie erfuhr eine starke Prägung im Elternhaus; der Vater war Bauingenieur, die Mutter Kartografin. An der State University in Columbus, Ohio, studierte sie Architektur und wechselte dann doch hinüber zum Bauingenieurswesen, weil sie nicht nur das architektonische Denken, sondern auch die Welt der mathematischen Berechnungen interessierte. Sie sieht viele Parallelen der beiden Berufsgruppen: Aufgabenstellung, Problemlösung, formale Ausprägung, Realisierung. Nur das Image sei nicht auf gleichem Niveau.
Chicago war die erste Station ihres Berufslebens, wo sie schwerpunktmäßig Holzbauprojekte bearbeitete. Einer der damals zahlreichen deutschen Architekten in der amerikanischen Architekturmetropole wurde ihr Partner. Gemeinsam verfolgten sie tief bewegt die deutsche Wiedervereinigung und beschlossen, auch wegen der abflauenden Konjunktur in den Staaten, nach Europa zu gehen, zunächst in die Schweiz. Bei der Tätigkeit dort entwickelte sich der zweite Schwerpunkt ihrer Arbeit, das Bauen im Bestand. Spannender schien jedoch die Szene in Berlin, wo sie ab 1992 als Projektleiterin im Büro Fink unter anderem für die Neubauten in der Friedrichstraße verantwortlich war. Es war eine Zeit mit vielen Herausforderungen, weil so viele Menschen aus aller Welt zusammenkamen und koordiniert sein wollten. 1995 startete ihre Hochschulkarriere an der Hochschule der Künste (heute UdK) als Wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Gerhard Pichler, bei dem sie auch ins Büro eintrat.
Die Selbstständigkeit kam unverhofft. Als in Dresden der Bau der Waldschlösschenbrücke ausgeschrieben wurde, bei dem auch Newcomer eine Wild Card beantragen konnten, tat sie sich mit dem Kollegen Achim Sattler zusammen und gründete das Büro EiSat. Zum Wettbewerb traten sie gemeinsam mit den Architekten Thomas Kolb und Henry Ripke an – und gewannen letztlich das Verfahren gegen namhafte Konkurrenz. In dieser Zeit bezog die Arbeitsgemeinschaft auch ein gemeinsames Büro in Kreuzberg. Dass die Planung der Brücke die UNESCO-Kommission 2009 dazu bewog, Dresden den Titel der "Weltkulturerbestätte" abzuerkennen, war nach deren Fertigstellung 2013 kaum mehr nachzuvollziehen. Von einer dem Verfahren zugrundeliegenden falschen Kartierung war die Rede, und vielleicht waren die düsteren Computersimulationen, die das Planungsteam zur Veranschaulichung des Projekts veröffentlicht hatte, ein wenig ungeschickt und unattraktiv ausgefallen. Die Befürchtungen, das weit vor der historischen Altstadt liegende Bauwerk sei zu klobig und würde das harmonische Bild der Flusslandschaft und das Stadtpanorama beeinträchtigen, haben sich jedenfalls nicht bewahrheitet und die DresdnerInnen begrüßten den neuen Flussübergang einhellig.
Im Jahr 2000 wurde Karen Eisenloffel zur Professorin für Tragwerkslehre und Tragkonstruktion an die BTU Cottbus berufen, wo sie nicht nur Ingenieurstudierende betreut, sondern auch jene der Architektur und der Stadt- und Regionalplanung. Professorinnen sind in diesem Metier an den deutschen Hochschulen eher selten. Immerhin, eine Männerdomäne ist der Umgang mit Konstruktionsprogrammen und Materialeigenschaften, die Beschäftigung mit Lastfällen und Tragverhalten, mit Energiebilanzen und Raumakustik nicht mehr. "Dann musst du aber irgendwann auf die Baustelle…", hatte ihr Vater ihren Berufswunsch kommentiert. Frauen auf der Baustelle, das war damals eine ungewohnte Vorstellung, die sich mittlerweile zur Normalität entwickelt hat. Gerade beim Bauen im Bestand, ist die Baustellenpräsenz schon in der Planungsphase, aber auch während des Baus unerlässlich und Bauhelm und Sicherheitsschuhe liegen ständig im Kofferraum. Beispielsweise bei einem Projekt wie der Wiederbelebung der ehemaligen Großwäscherei in Berlin Spindlersfeld, einem seit der Wende 1989 leerstehenden Backsteinbaugeviert aus dem Jahr 1871 zu einem Wohnungsbau mit 600 Wohnungen. Schon die Bestandserfassung, bevor die ArchitektInnen aktiv werden konnten, mit Vermessungen und Materialproben und Beurteilungen der Tragwerke und der Bauzustände war intensive Ingenieurarbeit. Welche Wünsche der ArchitektInnen verwirklicht werden konnten, bestimmten die IngenieurInnen, ebenso wie die Baumaßnahmen schließlich realisiert werden sollten, bis hin zum Design vieler konstruktiver sichtbarer Bauteile. In solchen Fällen ist es für Karen Eisenloffel von Vorteil, dass sie als gelernte Architektin mit den BaukünstlerInnen eine Sprache sprechen kann.
Beim Bauen im Bestand wirken BauingenieurInnen oft im Verborgenen und anders als Architekturschaffende können sie oft nicht mit attraktiven Fotos signifikanter Tragwerke und dramatischer Konstruktionen aufwarten. Immerhin haben EiSat mit dem Erstlingswerk, der Waldschlösschenbrücke, eine solche Arbeit vorzuweisen und auch andere Bauten haben es auf die Titelseiten der Fachblätter und in die Tageszeitungen geschafft. "Gondwanaland" zum Beispiel, die Tropenlandschaft im Leipziger Zoo mit der spektakulären Kuppelüberdachung von EiSat. Benannt nach dem Urkontinent der Erdfrühzeit, präsentiert das Regenwald-Erlebniscenter Flora und Fauna aus drei Kontinenten. Überdacht wird das Biotop von einer im Grundriss sphärischen Stabwerkskuppel aus Dreieckselementen mit einer Spannweite von 160 Metern. Der Bau sollte eine markante Form im Stadtraum bilden und mit der äußeren Gestalt seiner besonderen Nutzung entsprechen (mit Obermeyer Albis-Bauplan und Henchion Reuter Architekten). Ebenfalls mit Henchion Reuter realisierten EiSat eine signifikante Fußgängerbrücke im südbadischen Lahr. Ein eleganter Stahlbogen reckt sich in die Höhe, an dem der schwungvoll gebogene Brückensteg mit dünnen Stahlseilen abgespannt ist. Eine materiell äußerst reduzierte Konstruktion, deren Kraftflüsse jedermann eingängig sind. Man meint, die Drähte wie Seiten im Wind schwingen zu hören.
Offensichtlich und unverkleidet kann man das Tragwerk wie seine Funktion und somit auch die Arbeit der TragwerksplanerInnen zudem bei einem Bauwerk im fernen Anatolien beobachten, das 2019 mit dem Rudolf-Finsterwalder Ingenieurbaupreis ausgezeichnet wurde. Man könnte sagen, dass es sich um "Bauen im Bestand" handelt, denn das Stahldach der Ausgrabungsstätte am Göbekli Tepe schützt den ältesten bekannte Ritualbau der Menschheit, ein Stelenfeld aus der Zeit 10.000 bis 8.000 vor Christus (mit kleyer.koblitz.letzel.freivogel Architekten). Bei dem filigranen Seilnetzkonstrukt kam es darauf an, den archäologischen Untergrund so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, und so balanciert das 39 x 45 Meter messende Dach auf nur neun Gründungspunkten. Den besonderen Anforderungen an Transportierbarkeit und schnelle Montage wurden die IngenieurInnen mit dem ultraleichten Seilnetz-Membrandach gerecht. Mit seiner an Stapelchips erinnernden dynamischen Form fügt sich das Dach in die hügelige Landschaft.
Wie packt man eine neue Aufstockung mit Schwimmbad auf einen betagten Eisenbetonskelettbau aus dem Jahr 1928? Diese Frage stellte sich den IngenieurInnen beim Umbau des ehemaligen "Kreditwarenhauses Jonaß" in ein Apartmenthotel mit Club an der Torstraße in Berlin. In Zusammenarbeit mit JSK SIAT ArchitektInnen war das gesamte Programm zu absolvieren: Fundamentertüchtigung, Betonsanierung, Umbau und Ergänzungen, Neuordnung der Gebäudeaussteifung et cetera. An Komplexität der Planungs- und Realisierungsaufgabe war kein Mangel und mit Routinestatikberechnungen war dem nicht beizukommen.
Ein Großprojekt bei einem Bauwerk aus derselben Zeit realisierten EiSat in Eisenloffels Universitätsstadt Cottbus. Das ehemalige Dieselkraftwerk, idyllisch im Goethepark am Rand der Innenstadt gelegen, ist ein wunderbarer expressionistischer Backsteinbau, den Kraftwerksarchitekt Werner Issel in Anklängen an das Formenrepertoire Hans Poelzigs 1927/28 gebaut hatte. 1959 wurde es stillgelegt und steht seit 1975 unter Denkmalschutz. Anderhalten Architekten planten 2003 bis 2008 den Umbau zum "Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst – Dieselkraftwerk Cottbus". Die Herausforderung für das Team lag in der Diskrepanz zwischen dem maroden Zustand der historischen Bausubstanz und den hohen Anforderungen der Museumsleute an die Sicherheit, Belichtung und Klimatisierung der Ausstellungsräume. "Haus-im-Haus-Prinzip" hieß die Lösung. In die Kraftwerkshallen wurden eigenständige Baukörper gestellt, die keine Lasten in den Altbau eintragen und die nach den Bedürfnissen des Museums unterteilt und eingerichtet werden konnten. Drumherum konnte ebenso ungestört das historische Mauerwerk saniert, gesichert und mit seiner architektonischen Pracht, aber auch den Spuren seiner Geschichte zum Sprechen gebracht werden.
Denkmalpflege ist nicht nur Arbeit für Architekturschaffende und IngenieurInnen. Das Dieselkraftwerk zeigt, dass es oft auch der besonderen Expertise bedarf, um zu überzeugenden Lösungen zu gelangen. Der Bauingenieurfachbereich der BTU Cottbus hat einen Schwerpunkt auf bautechnische Denkmalpflege. Karen Eisenloffel hat ihren Anteil daran. Ob der Umbau einer Großmarkthatte von 1962 zum Kindermuseum des Jüdischen Museums in Berlin, ob die Umwidmung der Feuerwache Berlin-Schöneweide in eine Bibliothek, Denkmalpflege gehören zu ihren Lieblingsprojekten, aber das Büro ist ebenso mit Neubauaufgaben betraut bis hin zur Deutschen Botschaft in Bamako (Mali) oder zu Hochhäusern am Berlin Osthafen oder den Swiss Tower in Dubai.






























