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Kö-Bogen II in Düsseldorf von Ingenhoven Architects

NACHHALTIGKEIT
Grün ist eine bunte Farbe

Die Ausstellung "Einfach Grün – Greening the City" im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main beschäftigt sich mit der Begrünung von Gebäuden. Wir sprachen mit Kuratorin Hilde Strobl über das Zusammenspiel von Natur und Architektur.
von Alexander Russ | 02.02.2021

Trotz Corona ist die Klimakrise nach wie vor allgegenwärtig. Das Bauen wird in diesem Zusammenhang oft als Katalysator genannt. Aber kann Architektur auch etwas gegen die Klimakrise tun? Dieser Frage geht die Ausstellung "Einfach Grün – Greening the City" im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main nach. Dort wird zum Beispiel untersucht, wie horizontale oder vertikale Gebäudehüllen das Stadtklima verbessern können, indem sie die urbane Hitzebildung reduzieren, die Feinstaubbildung vermindern und den städtischen Lärmpegel senken. Dabei zeigt die Ausstellung auch finanzielle Förderungsmöglichkeiten und politische Rahmenbedingen auf, die zu einer höheren Lebensqualität der gebauten Umwelt beitragen können.

Alexander Russ: Frau Strobl, was ist das Konzept der Ausstellung?

Hilde Strobl: Da muss ich zunächst mit der Zielgruppe beginnen. Die Ausstellung richtet sich an interessierte Bürger und gibt Antworten darauf, wie ich Gebäude und Orte grüner machen kann. Dabei betrachten wir sowohl den Bestand als auch Neubauten. Wir haben als Vorbereitung mit einem Fragenkatalog gearbeitet, um herauszufinden, welche Argumente oder Ressentiments es für oder gegen die Begrünung von Gebäuden gibt. Zusätzlich haben wir vor etwa einem halben Jahr einen "Call-for-Projects" ausgeschrieben. Dort wollen wir Projekte zeigen, die verdeutlichen sollen, wie einfach die Begrünung eines Gebäudes sein kann – sei es ein Urban Farming-Projekt auf einem Flachdach oder eine begrünte Dachterrasse. Zudem gibt es sogenannte "Best-Practice"-Projekte als architektonische Leuchttürme.

Was waren die Auswahlkriterien für die "Best-Practice"-Projekte?

Hilde Strobl: Wir wollten zeigen, dass die Begrünung eines Gebäudes nicht nur in tropischen Klimazonen funktioniert. In diesem Zusammenhang wird immer wieder – auch in unserer Ausstellung – auf Beispiele von Vo Trong Nghia Architects in Vietnam oder WOHA in Singapur verwiesen. Auch in Europa und Deutschland gibt es Grünbauten, die wunderbar demonstrieren, was hier möglich ist. Dem diente auch die Zusammenarbeit mit Rudi Scheuermann von Arup, einem Experten für nachhaltige und energieeffiziente Gebäudehüllen. Der Kö-Bogen II in Düsseldorf von Ingenhoven Architects zum Beispiel oder eine Fassadenbegrünung von Barkow Leibinger in Freiburg. Das Grün an Gebäuden funktioniert umso besser, je spezifischer die Methode der Begrünung und die jeweilige Bepflanzung an das jeweilige Klima und die örtlichen sowie baulichen Bedingungen angepasst wurde. Das Ziel ist, verschiedene Anwendungsarten aufzurufen. Sie sind mehr oder weniger aufwändig und auch für die Umwelt unterschiedlich wirksam.

Baumhaus in Darmstadt von Ot Hoffmann

Sie zeigen aber nicht nur aktuelle Projekte, sondern auch ältere Gebäude, wie das sogenannte "Baumhaus" in Darmstadt aus der Ära des Brutalismus. Was hat es damit auf sich?

Hilde Strobl: Der Architekt Ot Hoffmann experimentierte schon in den 1970er-Jahren mit Pflanzen am eigenen Haus und mit den damit verbundenen technischen und baustofflichen Herausforderungen. Er konnte auf keine bewährten Techniken zurückgreifen. Als Untergrund für die Pflanzbeete der großen Terrassen und vor allem der beiden oberen Dachterrassen nutzte er wasserundurchlässigen WU-Beton ohne weitere Abdichtungen. Vliese dienten als Wurzelschutz. Hoffmann hatte mit seinem Baumhaus, seinem eigenen Atelierhaus, aber nicht nur einen Betonbau inklusive einer grünen Insel geschaffen. Das Haus sollte auch den Auftakt oder eine Art Brückenkopf für eine städtebauliche Umgestaltung sein, die die Darmstädter Innenstadt mit dem Herrngarten verbinden sollte. Es blieb allerdings bei Hoffmanns Eigeninitiative des Baumhauses, das mittlerweile unter Denkmalschutz steht. Damals rief nicht nur der Beton, sondern vor allem der Wildwuchs auf den Dächern Kritik hervor, denn Hoffmann verfolgte ein gegenteiliges Konzept zum Kö-Bogen II: Er schuf die Rahmenbedingungen für Pflanzen wie Erde, Wasser und Nährstoffe und säte und setzte den Grundstock. Alles weitere überlies er dann aber dem Kreislauf der Natur.

Sie haben einen Fragenkatalog erwähnt, mit dem Sie herausfinden wollten, welche Argumente oder Ressentiments es für oder gegen die Begrünung von Gebäuden gibt. Wie stehen Architekten zu dem Thema?

Hilde Strobl: Das Thema wird in der Architektenschaft sehr unterschiedlich diskutiert. Die Argumente dagegen richten sich vor allem gegen die Begrünung von Fassaden. Das hat damit zu tun, dass Pflanzen sich verändern, während der Architekt und sein Bauherr ja eigentlich wissen wollen, wie das Gebäude am Ende und auch nach mehreren Jahren aussieht. Außerdem wird die Begrünung eines Gebäudes von manchen Architekten als kontraproduktiv zum eigenen Schaffen gesehen, da sie die von ihnen entworfene Form verunklart. Dabei muss das gar nicht der Fall sein. Wir zeigen in der Ausstellung zum Beispiel eine Kindertagestätte in Frankfurt von Christoph Mäckler. Das Gebäude, das mittlerweile komplett zugewachsen ist, hat eine klar definierte Form, die sich aus mehreren Satteldachhäuschen zusammensetzt. Die Pflanzen zerstören diese aber nicht, sondern geben ihr eine zusätzliche Ebene.

Bosco Verticale in Mailand von Stefano Boeri Architetti

Wie ist es möglich, mit Begrünung auf die unterschiedlichen Gegebenheiten eines Ortes wie Tageslicht, Belüftung oder Temperatur einzugehen?

Hilde Strobl: Solche Faktoren sind natürlich eine Grundlage für den Entwurf. An ihnen wird aber auch deutlich, wie unterschiedlich die Begrünung von Gebäuden bewertet wird. Ein gutes Beispiel ist der "Bosco Verticale" von Stefano Boeri Architetti mit seiner Baumbepflanzung: Die Gegner kritisieren zum Beispiel, dass die Bäume zu viel Tageslicht schlucken, während die Befürworter der Meinung sind, dass die Bäume ein natürliches Verschattungselement sind, das eine Aufheizung der Fassade verhindert.

Wie würden Sie den "Bosco Verticale" vor dem Hintergrund Ihrer Ausstellung bewerten? Ist das Projekt des vertikalen Waldes ein Zukunftsmodell oder doch nur ein weiteres Beispiel für Spektakelarchitektur?

Hilde Strobl: Ich muss zugeben, dass ich am Anfang kritisch war, finde aber mittlerweile, dass es sich um ein geglücktes Projekt handelt. Sie haben ja schon das Konzept erwähnt: ein Wohnhochhaus mit einem vertikalen Wald in der Fassade. Der damit verbundene Aufwand war natürlich enorm, was dementsprechend auch ein großer Kritikpunkt war. So musste zum Beispiel im Vorfeld untersucht werden, wie die Bäume ausreichend mit Wasser versorgt werden können, damit sie nicht austrocknen und zur Brandlast werden. Mittlerweile gibt es aber Studien und Messungen über die positiven Auswirkungen der Fassade. Zudem ist das Projekt eine Art Prototyp, was den damit verbundenen Aufwand zu einem gewissen Teil rechtfertigt. Vertikale Gärten baut Boeri mittlerweile weltweit und auch in Deutschland. Diesen Sommer wird ein sozialer Wohnungsbau in Eindhoven fertiggestellt, der sogenannten "Trudo Vertical Forest", der nach ähnlichen Prinzipien funktioniert.

Was kann die Politik für die Begrünung von Gebäuden tun?

Hilde Strobl: Sie kann fordern und fördern. Die Stadt Frankfurt fördert zum Beispiel private Dach- und Fassadenbegrünungen oder Entsiegelungen mit zwei Millionen Euro pro Jahr, während die Stadt Stuttgart eine Begrünung von 30 Prozent bei städtischen Neubauten fordert. Da aber vor allem der Bestand bei der Begrünung eine Rolle spielt, ist es schwierig, bundesweite Regelungen einzuführen. Deshalb ist die Gebäudebegrünung noch gar nicht in der Bauordnung verankert. Es liegt also an den Kommunen, das Ganze zu regeln.

Zeigen Sie auch Projekte, die auf Bürgerinitiativen oder partizipative Modelle zurückgehen?

Hilde Strobl: Diese Projekte zeigen wir in den anfangs erwähnten "Call-for-Projects". Ein Beispiel wären Mietergemeinschaften, die ihren Vermieter davon überzeugt haben, eine Dachterrasse zu begrünen, um sie dann gemeinsam zu nutzen. Wenn sich unterschiedliche Menschen zusammentun, sind es oft die interessantesten Projekte – dann wird es automatisch bunter.