Im Spiegel der Zeit
David Kasparek: Herr Schützdeller, man hört immer wieder die Kritik, dass die Architekturausbildung wesentliche Teile des späteren Berufs ausblendet. Sie haben in München und Venedig studiert, währenddessen und im Anschluss bei Stephan Maria Lang gearbeitet. Fühlten Sie sich ausreichend auf die architektonische Praxis vorbereitet?
Sebastian Schützdeller: Ich bin da sehr kritisch – auch weil ich mich eben nicht ausreichend vorbereitet fühlte. Wenn man mit dem Universitätsstudium fertig ist, hat man viel über Entwerfen gelernt, ein bisschen etwas über Technik, hat aber keine Ahnung vom Beruf. Kosten- und Flächenberechnungen, Genehmigungsverfahren, Werkplanung, Abstimmung mit FachplanerInnen und Gemeinden, oder der Umgang mit HandwerkerInnen auf der Baustelle – nichts davon lernt man an der Universität. Insbesondere das Thema BauherrInnen und der Umgang mit ihnen kommt im Studium nicht vor. Man erlangt ein sehr gutes theoretisches Grundverständnis von Architektur, aber das hat mit einer Vorbereitung auf den Beruf wenig zu tun.
Welche Ideale haben Sie im Studium mit Blick darauf erlebt, wie Architektur entsteht und wie ArchitektInnen arbeiten?
Sebastian Schützdeller: Das im Studium oftmals erlebte und erlernte Bild der erfolgreichen Architektin/ des erfolgreichen Architekten ist das des Stars: Norman Foster, Zaha Hadid, Bjarke Ingels. Obwohl das Büros mit hunderten von Mitarbeitenden sind, laufen dort alle dem Prinzip einer Stilrichtung und damit der Individualität einer Person hinterher. Es steht außer Frage, dass in diesen Büros großartige Dinge geschaffen wurden – aber eben nicht von nur einer Person, wie es sich oft nach außen darstellt. Schon früh war mir klar, dass ich mich möglichst schnell selbstständig machen will. Auch weil ich es eben anders machen wollte.
Der Weg, den Sie gegangen sind, ist ja erstmal sehr klassisch: Praktikum vor Beginn des Studiums, schon während der Ausbildung als Werkstudent in einem Büro gearbeitet, danach dort die Kammerfähigkeit erworben. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zu dem Gedanken gebracht, es anders machen zu wollen?
Sebastian Schützdeller: Die Arbeit bei Stephan Maria Lang in München war auf zwei Ebenen eindrücklich. Zum einen, weil er ein begnadeter Villenbauer ist. In seinem Büro entstehen sehr beeindruckende Entwürfe, die ihren Weg auf unglaublich hohem Niveau in die Realität finden. Auf der anderen Seite war mir schnell klar, dass ich nicht immer als angestellter Architekt in einem Büro arbeiten wollte.
Warum nicht?
Sebastian Schützdeller: Es gibt so viele gute Leute und spannende Dinge überall – damit wollte ich in Verbindung treten. Das ist sicherlich eine Erfahrung von meinen zahlreichen Reisen. Ich hatte das Glück, schon während der Schule für eine längere Zeit in Australien gewesen zu sein, durch Nebenjobs konnte ich mir nach dem Studium eine Weltreise finanzieren, so dass ich acht Monate mit dem Rucksack unterwegs war. Ich habe so viele andere Sachen gesehen, spreche ein paar Sprachen, habe Freunde in allen Ländern dieser Welt und, weil Sie mich nach einem Schlüsselerlebnis gefragt haben, eines Abends sass ich mit einem Freund beim Essen. Ich war 30 Jahre alt, schon selbstständig, hatte vier, fünf Angestellte, musste auch schon die erste Kündigung aussprechen und hatte die ersten Erfahrungen im Beruf gemacht. Obwohl ich ein gutes Team hatte, wollte ich nicht für die nächsten 35 Jahre so weitermachen – in einem Hinterhof in der Münchner Maxvorstadt. Mein Freund fragt mich: "Was würdest du denn gerne wollen, was die Leute am Nachbartisch über dich sagen?" Und ehrlicherweise mochte ich gar nicht, dass sie mich erkennen, mochte nicht, dass sie wissen, wer ich bin und was ich mache. Was ich mir schon damals gewünscht hätte, ist dass sie über das Büro sprechen, das ich aufgebaut habe – ohne zu wissen, dass ich hinter diesem Büro stehe. Ich wollte keine Personenmarke als erfolgreicher Architekt, aber ein Büro, das als Marke für etwas steht.
Was haben Sie dann getan, inwiefern haben Sie aktiv umgesteuert und an welchen Stellschrauben haben Sie gedreht?
Sebastian Schützdeller: Ich habe mich zunächst von dem Gedanken befreit, dass die Entwürfe von mir kommen müssen. Architektur sollte auf die KundInnen zugeschnitten sein, von ihrer Individualität ausgehen und nicht von meiner. Es wäre völlig vermessen zu sagen, dass ich alleine sowohl Ihr Haus als auch das von all Ihren Freunden perfekt für all diese Personen entwerfen könnte. Weil ich keine egozentrische Architektur machen wollte, habe ich mir vorgenommen so unterschiedliche Projekte wie möglich zu machen – mit möglichst verschiedenen Menschen.
Und hat das funktioniert?
Sebastian Schützdeller: Am Anfang nicht (lacht). Das höhere Ziel war, ein Büro aufzubauen, das unterschiedliche Projekte erarbeiten kann, die jeweils auf eine Person oder auf ein Unternehmen zugeschnitten sind. Um das zu erreichen, musst du eine sehr hohe Kreativität haben. Hohe Kreativität entsteht durch unterschiedliche Menschen. Die Unterschiedlichkeit der Menschen habe ich auf meinen Reisen an verschiedenen Orten erlebt und dachte deswegen, es wäre richtig ein internationales Team in München aufzubauen. Dann habe ich die Einflüsse aus der ganzen Welt im Büro und dann müsste das doch eigentlich funktionieren, dann müssten die unterschiedlichen Perspektiven sich doch auch in der gemeinsamen Arbeit widerspiegeln. Wir waren ein Büro in München mit sechs bis acht Leuten aus Spanien, Italien, UK. Aber die Vielfalt, die ich angestrebt hatte, stellte sich nicht ein.
Inwiefern?
Sebastian Schützdeller: Es entstand nicht die Reibung, die ich mir wünschte. Heute erscheint mir das klar zu sein: Der Italiener, der nach Deutschland kommt, um in München zu leben, ist deutscher als jeder Deutsche. Er kehrt dem Chaos in Italien den Rücken und wendet sich Ordnung, Sauberkeit, Regeln und Gesetzen zu. Er möchte genau so leben, deswegen hat er den Entschluss gefasst Italien mit allem, was dazugehört, zu verlassen: ohne Helm Vespa fahren, mit der Zigarette im Mund um Viertel nach Neun ins Büro kommen, samstags mit der Mama einkaufen und am Sonntag mit der Oma Nudeln kochen. Also war meine Entscheidung, mit unserem Büro dahin zu gehen, wo die Leute sind, mit der jeweiligen Lebensart und dem Gedankengut, das wir für unsere Projekte haben wollen. Wir müssen das dort einsammeln, wo es ist. Ich mag Italien, ich spreche italienisch, die ItalienerInnen sind bekannt dafür, dass sie gut im Entwerfen sind und eine gute Ausbildung in der Architekturgeschichte genossen haben, warum also nicht nach Italien gehen. Mailand war mir zu nördlich, zu nah an München, also bin ich mit meiner römischen Kollegin Maria nach Rom geflogen, habe ein Büro angemietet und zwei Leute angestellt und dann haben wir das einfach ausprobiert.
Ist das aufgegangen?
Sebastian Schützdeller: Ja, tatsächlich. Denn da waren dann die Leute, die auch mal widersprochen haben, mit denen ein echtes Sparring möglich war. Und das war genau diese Reibung, die ich haben wollte.
Statt dem Hinterhof in der Maxvorstadt also "die ewige Stadt". Ist das noch ein herkömmliches Büro oder wie sieht so etwas heute aus?
Sebastian Schützdeller: Es ist internationales Netzwerk aus kleinen Büros, die dezentral an denselben Projekten arbeiten können.
Wie stellt sich das konkret in der Projektarbeit dar?
Sebastian Schützdeller: Wenn ein Projekt reinkommt und zu diesem Projekt passen aufgrund ihrer Historie, ihrer Persönlichkeit und ihrer Arbeitsweise der Oscar aus Rom, der Antonio aus Mallorca und der Michael aus München am besten, dann bearbeiten die drei das als Team – aber von den unterschiedlichen Standorten aus, was heutzutage technisch ja überhaupt kein Problem ist. Dadurch entsteht eine Architektur, die nicht meine Person widerspiegelt, sondern aus dem Netzwerk heraus für die KundInnen entsteht.
Was sind das für Projekte, die auf diese Weise entstehen?
Sebastian Schützdeller: Wir dürfen sehr unterschiedliche Projekte bearbeiten. In München planen wir gerade ein Hotel mit 4.000 Quadratmetern in einem Eckgebäude, während gleichzeitig eine Wohnung in Palma de Mallorca mit nur 80 Quadratmetern, der Markenauftritt von Occhio zur Mailänder Designwoche in der Villa Necchi in Mailand und ein Bürogebäude für ein Unternehmen in München entstehen. Die Projekte sehen alle anders aus und werden von jeweils anderen Teams bearbeitet.
Sprechen wir dabei von einem Netzwerk aus Freelancern oder ist es eine Struktur mit festangestellten Mitarbeitenden an unterschiedlichen Bürostandorten?
Sebastian Schützdeller: Alle MitarbeiterInnen sind festangestellt, jeder Bürostandort ist als eigenständige GmbH aufgestellt, welche von einem Managing Director geleitet wird.
Sie haben von Vespa-fahrenden ItalienerInnen gesprochen, die noch bei ihrer Mutter wohnen und mit ihrer Großmutter Pasta kochen. Ist das nicht einfach ein großes Klischee?
Sebastian Schützdeller: Allein historisch und mit Blick auf die jeweilige Bildung sind wir alle unterschiedlich geprägt. Das hat nichts mit Klischees zu tun. Wer in einem skandinavischen Schulsystem groß wird, in einem der reichsten Länder der Welt, mit einem Staatsfonds, der die Rente sichert, wo die Bildung der Kinder in der Schule eine hohe Priorität hat, der denkt einfach anders als jemand, der in einer Vier-Millionen-Stadt in Süditalien in einer Wohnung im Mehrfamilienhaus mit Großmutter, Mutter und drei Geschwistern groß wird und länger als andere Europäer zu Hause lebt. Das ist kein Klischee, das ist so. Und das ist auch nicht wertend. Spannend ist doch, wenn der Kopenhagener und der Römer, die beide nach München gezogen sind, feststellen, dass sie ähnlich denken, weil sie beide ihre Familie hinter sich gelassen haben und aus gewissen Gründen nach München gezogen sind. Aber wenn ich den Kopenhagener, der schon mit 16 zuhause ausgezogen ist, in Kopenhagen besuche, dann erlebe ich mit ihm etwas anderes, als wenn ich den Römer besuche, der in Rom neben seinen Eltern lebt. Das ist keine Klischeebedienung, sondern das Schöpfen aus der Vielfalt, die wir in Europa haben.
Warum ist es Ihnen wichtig, diese unterschiedlichen Denk- und Lebensweisen nicht mit Freelancern, sondern mit festangestellten MitarbeiterInnen zu erleben?
Sebastian Schützdeller: Wir waren gerade mit dem Team in Rom. Das war großartig, weil ein wirkliches Gemeinschaftsgefühl spürbar ist: Wir gehören alle zur gleichen Bande (lacht). Ich gehöre genauso zu den MünchnerInnen, wie diese zu den MallorquinerInnen und wie die MallorquinerInnen zu den RömerInnen. Wir haben alle den gleichen Pulli an, wir arbeiten alle an der gleichen Vision, wir gehören alle zu der gleichen Marke. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist ganz, ganz wichtig. Diese Identifikation wäre mit einem Team aus Freischaffenden nicht erreichbar. Für das, was wir tun, musst du dich identifizieren mit dem, was wir sind. Bei uns geht es darum, dass du zu den KundInnen passt. Das ist die Identifikation der Marke.
Wo bleibt da die Individualität der MitarbeiterInnen, das was sie denken, was sie für richtig oder falsch erachten?
Sebastian Schützdeller: Jede Person im Team und das was sie denkt, ist natürlich wichtig. Aber sie müssen verstehen, dass sie nicht in jedem Projekt eingesetzt werden können. Das Team muss zu den KundInnen passen und nicht andersrum. Durch das Projekt entsteht ein jeweils anderes Zugehörigkeitsgefühl – nicht das immer gleiche durch das Büro. Wenn ich zum Beispiel merke, dass das Bürogebäude in München nicht zu mir auf Mallorca, aber zu Michael in München passt, dann freue ich mich für Michael – ist ja schließlich ein tolles Projekt. Zu mir passt etwas anderes in Mailand besser und deswegen arbeite ich jetzt an diesem Projekt. Das ist ein Mehrwert des Zusammenhaltes und des Kulturschaffens innerhalb eines Unternehmens.
Das heißt, mirror. betreibt heute Standorte München, Rom und Mallorca. Wie viele Personen arbeiten dort jeweils und soll es weitere Standorte geben?
Sebastian Schützdeller: In München sind es momentan fünf, in Rom drei, auf Mallorca mit mir drei – insgesamt sind wir immer zwischen zehn und 15 Leute. Wenn die Krise im Baugewerbe der letzten Jahre nicht dazwischengekommen wäre, hätten wir Anfang dieses Jahres einen weiteren Standort in Kopenhagen eröffnet. Das ist das nächste Ziel. Und dann könnte ich mir vorstellen, in Richtung Osteuropa wachsen. Gar nicht so sehr, weil ich in beispielsweise in Belgrad bauen will, sondern weil mich interessiert, was das Team aus Belgrad mit dem Team aus München in London bauen würde.
Das betrifft auch das architektonische Urthema "Ort". Der Genius loci ist nicht wegzudenken aus Lehre und Praxis. Dass es dabei meist nicht so weit her ist, mit dem vermeintlichen Geist, der an einem Ort weht, zeigen Neubauprojekte, die in Madrid denen in Kopenhagen überraschend häufig ähnlich sehen. Hinsichtlich verschiedener Fragestellungen unserer Zeit gäbe es aber sicher gute Gründe, sich dem Thema Ort wieder ernsthafter anzunehmen. Wie gut geht das, wenn ein Team aus MitarbeiterInnen in Bukarest, Mallorca und Rom ein Projekt in London bearbeiten?
Sebastian Schützdeller: Es gibt grundsätzliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer wir uns bewegen. Gestaltungssatzungen, Bestandsgebäude, Bebauungspläne, Gesetzgebungen. Wir brauchen nicht zu glauben, dass wir in Mailand in einem denkmalgeschützten Gebäude machen können, was wir wollen. Es gibt also einen gewissen Rahmen, den wir nicht ändern können, egal an welchem Ort wir arbeiten. Das finde ich gut. Und dann kommt ein zweiter Punkt dazu, der in dieser Diskussion um den Genius loci immer vergessen wird. Wer prägt denn den Ort? Das ist doch der Mensch. Wir leben in Europa, wir leben in einer Welt, die zu 100 Prozent vernetzt und globalisiert ist, in der ich innerhalb von 2 Stunden von München in jeder Stadt in Europa sein kann, in der es – zumindest zum heutigen Zeitpunkt Gott sei Dank – Freihandelsabkommen gibt und wir über Grenzen fahren können. Wir leben in einer Welt, in der die Kinder mit 14 im Internat in England sind, mit 20 zum Studieren in den USA, mit 25 ein Krankenhaus in Afrika bauen und mit 30 zurückkommen nach München, um mit all den Eindrücken wieder dort zu leben und zu arbeiten. In unserer Gesellschaft ist Reisen kein Problem. Der Ort, an dem wir uns befinden, wird auch durch all die Menschen geprägt, die jeweils da sind.
Das ist die Perspektive des Europäers Sebastian Schützdeller. Menschen aus dem Sudan, aus Myanmar oder Ecuador haben diese Freiheiten in der Form nicht. Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie aber vor allem darauf hinweisen, dass nicht nur die gebaute Umwelt den Ort prägt...
Sebastian Schützdeller: Ich frage mich schon, ob jedes Gebäude für den Ort wichtiger ist, als die Menschen, die dort arbeiten, wohnen und tagtäglich an diesem vorbeigehen. Nehmen wir solche Bauten dann vielleicht gegenüber anderen gesellschaftlichen Themen zu wichtig? Ich bin in Bayern groß geworden, mag die dortige Architektur, aber deswegen braucht nicht jedes Haus in Bayern eine Holzfassade.
Dennoch hat es Gründe, dass bestimmte Materialien in bestimmten Gegenden bevorzugt genutzt wurden, dass sich bestimmte Typologien und Konstruktionsweisen durchgesetzt haben. Und die haben immer auch mit den Menschen zu tun.
Sebastian Schützdeller: Man könnte natürlich fragen, ob das ausreichend diskutiert wird. Es sollte nicht nur um die Diskussion des Ortes gehen, sondern auch um das Verständnis, dass die BauherrInnen den Ort mitprägen – genau wie die Umgebung, in der sich der Bau befindet, es tut. Geschmäcker sind sehr unterschiedlich und das, was wir hässlich finden, finden andere schön. Unser Konzept stellt sich nicht gegen den Ort. Es macht eine zusätzliche Diskussion auf, die dazu führt, mehr Dinge zu betrachten als nur die Tatsache, ob ein Haus zum Ort passt. Das Haus muss selbstverständlich dahin passen, wo es steht. Es geht aber auch darum, dass die Menschen, die den Ort zu einem lebendigen Ort machen, zu ihm gehören. Ein internationales Team tut dem keinen Abbruch. Bloß weil ich aus München komme, heißt das ja noch lange nicht, dass ich auf Mallorca nicht ortssensibel arbeiten kann.
Sie haben eingangs darüber gesprochen, zu wenig über praktische Dinge des Alltags im Architekturbüro gelernt zu haben. Wie ist mirror. organisiert?
Sebastian Schützdeller: Im Organigramm können Sie sich eine Kuppel vorstellen, die alle Standorte vereint, die die Satelliten zusammenhält und je nach Projekt unterschiedliche Konstellation der Zusammenarbeit ermöglicht. Dort entstehen Akquise, Kommunikation und Konzeption im Bereich der 1. Leistungsphase. Jeder Standort hat dann seinen eigenen Managing Director, der ab Leistungsphase 2 AnsprechpartnerIn für die KundInnen wird und das Team der Architektinnen und Architekten anleitet. So ist unsere Arbeit nicht mehr personenbezogen, sondern positionsbezogen. Es ist eine unternehmerisch geprägte Struktur. Inzwischen halten wir diese Kommunikationswege von Anfang an ein, vor zwei Jahren wurde ich noch öfter angerufen (lacht). Heute bin ich in keinem Jour fix zu Projekten, an denen ich nicht selbst beteiligt bin.
Ist das nicht letztlich eine Verschiebung der kreativen Leistung? Sie haben – wie ich finde zurecht – den Fokus auf ein vermeintliches Genie in der Architektur kritisiert. Architektur ist eine Gemeinschaftsleistung. Nun scheint es mir jedoch so zu sein, dass Sie zwar nicht mehr die vermeintliche oder tatsächliche Anmaßung vornehmen, zu wissen, welche Räume für die KundInnen richtig sind, sehr wohl aber glauben zu wissen, welches Team das richtige ist, um für die KundInnen die richtigen Räume zu entwerfen. Im Film "Money Ball" gibt es einen Baseball-Manager, gespielt von Brad Pitt, der sein Team nicht mehr nach Bauchgefühl, sondern rein nach quantifizierbaren Parametern wie Laufleistung, Schlag- oder Fangquote. Im Recruiting von Sportmannschaften spielt das bis heute eine immer größer werdende Rolle. Führen Ihre Schilderungen nicht letztlich dazu, dass Sie Ihre Teams anhand einer solchen Leistungs-Matrix aufstellen müssten und nicht aufgrund Ihrer persönlichen Idee, welches Team das passendste ist? Oder gibt es im Feld der Kultur – und eben auch der Baukultur – nicht doch immer eine bestimmte persönliche Note, ein Funke, der von einer Person auf die andere überspringen muss, damit die dritte Person im Bunde Feuer fängt und Kreativität entsteht?
Sebastian Schützdeller: Ich glaube, man muss zwischen dem heutigen Stand und der Vision, die wir haben, differenzieren. Wir sind auf einem Weg, nicht an einem Ziel. Aufgrund des Metiers, in dem wir uns befinden, ist dieser Weg nicht in der Geschwindigkeit zu gehen, wie ich es gerne hätte. Architektur ist langsam. Noch dazu verdienen wir viel zu wenig Geld. Man kann die Geschwindigkeit, mit der man meine Vision in die Realität transportieren kann, stark an finanzielle Mittel koppeln. Am Ende des Tages sind wir unterbezahlt und ein unfreundliches Umfeld für InvestorInnen. Das heißt, anders als andere Branchen kriegen wir kein externes Geld, um die Entwicklung einer derartigen Firma mit einer solchen Vision schneller zu realisieren. Wir müssen uns das Geld dafür selbst verdienen. Selbstverständlich ist es heutzutage immer noch so, dass ich versuche, das richtige Team zusammenzustellen und es den KundInnen vorstelle. Wie Sie sagen: ich glaube, dass dieses oder jenes Team zu den jeweiligen KundInnen passt. Dadurch steuern wir natürlich die Konstellation in einer gewissen Art und Weise. Alles andere wäre gelogen. Anders als der egozentrische Architekt alter Prägung behaupte ich den KundInnen gegenüber nicht, alles zu können, sondern wähle das Team für ihn aus, das möglichst viel für sie tun kann. Die ArchitektInnen, die bei uns arbeiten, sind nicht egozentrisch, sondern möchten das Projekt für die KundInnen richtig umsetzen – egal wer diese sind. Wenn ich, Sebastian, sage, das Team besteht aus Shahab und Otto, dann setze ich zwar Shahab und Otto auf dieses Projekt, aber Shahab und Otto sind keine Egozentriker und gleichzeitig nehme ich mich selbst auch noch aus der Gleichung raus. Dann geht es nicht mehr um mich, sondern um den Prozess.
Wird es von der auftraggebenden Seite verstanden, dass Sie zwar zu Beginn mit Ihnen gesprochen haben, dann aber nicht mehr mit am Tisch sitzen?
Sebastian Schützdeller: Mehr und mehr. Natürlich ist das für uns und für die KundInnen ein edukativer Prozess. Sobald ich jemanden kennenlerne, erkläre ich ihm das Konzept und aufgrund dieser Erklärung kommt er auf uns zu. Das heißt, die KundInnen, die zu uns kommen, wissen nicht nur, worauf sie sich einlassen, sondern wollen genau das.
Sebastian Schützdeller hat von 2009 bis 2014 an der TU in München und in Venedig Architektur studiert und schon während seines Studiums im Büro von Stephan Maria Lang gearbeitet. Nach einer Mitarbeit dort und bei einem Messe- und Ladenbaubetrieb hat er sich 2017 zunächst in München selbstständig gemacht, lebt und arbeitet heute auf Mallorca.