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Wertvoller Müll: Aus 22 PET-Flaschen stellt Camira einen Meter seines neuen "Rivet"-Gewebes her.

Damit nichts verlorengeht

Nichts wandert mehr in die Mülltonne, sondern zurück in die Wertschöpfungskette. Zu einer echten Kreislaufwirtschaft gehören aber nicht nur recycelte Materialien, sondern auch Rücknahmesysteme.
von Martina Metzner | 09.05.2017

Gut eingeführte Werkstoffkreisläufe zu überdenken oder neu zu entwickeln, erfordert Pioniergeist. Einer, der ihn hat, ist Klaus Samsøe aus Kopenhagen. Zusammen mit seinem Bruder Perben Samsøe hat er 1985 das Modelabel Samsøe & Samsøe gegründet, das mittlerweile international tätig ist, aber auch von Beginn an für umweltbewusstes Wirtschaften steht. So werden für die Mode von Samsøe & Samsøe vor allem Bio-Baumwolle, recycelte Wolle und recycelter Kunststoff eingesetzt.

Im Laufe seiner Karriere wunderte sich Klaus Samsøe über den Umgang mit Textilabfällen. Weltweit werden bislang nur 25 Prozent der anfallenden Textilabfälle wiederverwertet – obwohl man sie bis zu 95 Prozent recyceln könnte. Im Jahr 2002 hat sich Samsøe mit dem dänischen Wäschereiverband De Forenede Dampvaskerier zusammengetan, um aus gebrauchten Laken, Kitteln und Tüchern Kleider herzustellen. Dies war der Beginn von Really. 15 Jahre später steht Klaus Samsøe in Mailand und lächelt zufrieden. Seine Idee, aus Stoffresten nicht nur neue Kleider, sondern völlig neue Produkte herzustellen, ist Realität geworden. Das junge Kopenhagener Unternehmen Really stellt aus Alttextilien Bauplatten her, wozu Textilreste zerkleinert, mit einem Kunstharz vermengt und dann gepresst werden. Am Ende bestehen die Platten aus 70 Prozent Textilabfällen und 30 Prozent Harz. Die "Solid Textile Boards" sind so biegesteif, dass man darauf sitzen kann, was der britische Designer Max Lamb in Mailand anhand einiger Entwürfe anschaulich vorgeführt hat.

Sägen, bohren, biegen: Really präsentierte zusammen mit dem Designer Max Lamb die "Solid Textile Boards" in Mailand.

Max Lamb durfte als erster mit den innovativen Bauplatten arbeiten – und ausloten, was damit möglich ist. Das Resultat sind zwölf Bänke, die bis zu drei Meter lang sind und bei der Premiere von Really während der Mailänder Möbelwoche ausgestellt wurden. Man könne die "Solid Textile Boards" ähnlich wie Holz sägen und bohren, erklärt Max Lamb; Allerdings ließen sich die Platten mittels Wärme besser biegen als Holz. Besonders die haptische Qualität des „warmen“ Materials habe ihn fasziniert.

Auch Anders Byriel, Chef des dänischen Textilherstellers Kvadrat, ist in Mailand vor Ort und zeigt sich mit dem Ergebnis zufrieden: Vor rund fünf Jahren hat sich Kvadrat mit 52 Prozent an Really beteiligt. Ein geschickter Schachzug, denn Kvadrat liefert nicht nur den "Rohstoff", die Textilabfälle, aus denen die Platten entstehen, das Unternehmen eröffnet auch Vertriebswege in die Möbel und Interior-Branche und hat Zugang zu namhaften Designern.

Bauplatten aus Textilabfällen

Really und Kvadrat sind aber längst nicht die einzigen, die sich um eine Weiterentwicklung des Recycling-Gedankens und dessen Verankerung in Produktionsprozessen bemühen. Dass nicht länger massenhaft Dinge produziert, konsumiert und dann weggeworfen werden können, hat 2009 einige führende US-Firmen wie Nike, Patagonia – und selbst die NASA – dazu veranlasst, "Launch" zu gründen. Dem Ableger "Nordic Launch" gehören Firmen wie Ikea und Kvadrat, aber auch die Dänische Umweltschutzagentur an. Sämtliche teilnehmenden Firmen haben ein Motto: Der Kreislaufwirtschaft gehört die Zukunft. Nike etwa bezieht bereits mehr als 70 Prozent des gesamten Materialeinsatzes aus eigenen Recycling-Prozessen. Um den Kreislauf wirklich zu schließen, kann man inzwischen Schuhe, die ausgedient haben, in den Nike-Stores abgeben.

Die Zukunft heißt Kreislaufwirtschaft

In den Bereichen Möbelherstellung und Innenausbau steht die Kreislaufwirtschaft hingegen noch vergleichsweise am Anfang. Es sind junge Designer, die sich enthusiastisch des Themas annehmen und unbefangen damit umgehen. Wie WooJai Lee von der Design Academy Eindhoven, der im vergangenen Jahr Zeitungspapier mit einem Kleber vermengte und zu "Paperbricks" recycelte. Ein Modell seiner Sitzbänke aus solchen "Paperbricks" wird auch auf der Interzum-Sonderfläche "Circular Thinking" in Halle 4.2 zu sehen sein.

Auch IKEA macht mit: Die Fronten "Kungsbacka" sind aus recycelten PET-Flaschen hergestellt.
Auf der Zeitung sitzen: Für die "Paperbricks" hat Student WooJai Lee Altpapier mit Kleber vermengt.

"Wir haben die Sonderfläche und auch den Kongress auf der Interzum 'Circular Thinking' betitelt, da Upcycling nichts wirklich Neues mehr ist", sagt Sascha Peters, Materialexperte aus Berlin, Kurator der Sonderfläche und Leiter des Kongresses. Dass man aus Abfall neue Produkte mache, sei im Grunde ein alter Hut – man denke nur an Span- oder MDF-Platten, die bereits in den 1970er Jahren erfunden wurden. Heute gehe es, so Peters, vielmehr um wirkliche Kreislaufwirtschaft und um die Frage, wie man Materialien in einem Kreislauf halten könne, ohne dass sie an Qualität verlieren. Dafür anbieten würden sich "reine Materialien", aber auch Verbundstoffe, wenn man die einzelnen Stoffe aus der Matrix wieder herauslösen könne. Leider hätten erst wenige Anbieter Produkte aus Materialien im Angebot, die auf diese Weise gewonnen werden. Der US-amerikanische Büromöbelhersteller Steelcase etwa hat einen Bürostuhl im Programm, dessen einzelne Teile man nach Rückgabe ans Unternehmen wiederverwerten könne. Allein, die Kunden geben die Produkte einfach noch zu selten wieder zurück, konstatiert Peters. Und er fügt hinzu, die Firmen müssten zusätzlich zu ihrer Produktion Strukturen schaffen, die auf die Rücknahme und Wiederaufbereitung ausgerichtet sind.

Zurückbringen wird hip

Eine Firma, die an dieser Idee arbeitet, ist Bolon aus Schweden. 2014 hat der Hersteller von PVC-Fliesen auf dem eigenen Gelände eine Recyclinganlage installiert, in der die eigenen Abfälle, aber auch Fremdabfälle wiederverwertet werden. Das daraus entstehende Material dient als Träger der PVC-Fliesen, etwa für die Teppich-Fliesen-Kollektion "Flow", deren Material zu 33 Prozent aus recyceltem Material besteht. Ein Anfang, wenn zunächst auch in Down-Cycling-Qualität, da das wiedergewonnene Material nicht dieselbe Wertigkeit besitzt wie das Ausgangsmaterial.

Hier läuft's rund: Bolon hat 2014 eine Recyclinganlage auf dem Firmengelände in Betrieb genommen.

Es scheint noch ein weiter Weg, an dem alle Beteiligten mitwirken müssen – Unternehmen, Verbraucher und nicht zuletzt die Politik –, um eine funktionierende Kreislaufwirtschaft auf die Beine zu stellen. Es reicht also nicht, wenn Firmen wie De Vorm aus den Niederlanden für ihre Sitzschalen Kunststoff recyceln, Camira aus Großbritannien aus Plastikflaschen gewonnene Polyestergarne für ihre Stoffe verwenden oder eben Really aus Textilabfällen Bauplatten produziert. All diese Produkte müssen auch wieder zurückgeführt und in die Waren- und Materialkreisläufe eingespeist werden. Entsprechende Ansätze, die in die richtige Richtung weisen, nehmen inzwischen aber zu. Hinzu kommt: Firmen wie Kvadrat/Really oder Nike machen das Thema "fancy". Was zur Folge haben könnte, dass Verbraucher es als "hip" empfinden, ein Teil dieser Kreislaufwirtschaft zu sein und Dinge, die sich verbraucht haben, dort abgeben, wo es ökologisch sinnvoll ist und etwas Neues aus ihnen entsteht.


Interzum
Weltleitmesse für Möbelfertigung und Innenausbau
Koelnmesse, Köln
16. - 19. Mai 2017

Downcycling: Das recycelte Material aus der eigenen Anlage verwendet Bolon als Trägerschicht für seine Fliesen-Kollektion "Flow".
Frisch gepresst: Hier entstehen die "Solid Textile Boards" von Really, die am Ende 300 auf 110 auf 78 Zentimeter messen.