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Die Kraft des Kollektivs

In den letzten Jahren wurden vermehrt Architekturbüros gegründet, die sich als Kollektiv verstehen und mit ihrer Arbeit eine soziale Agenda verfolgen. Ein Beispiel dafür ist Lacol aus Barcelona. Wir sprachen mit Gründungsmitglied Carles Baiges Camprubí über den spezifischen Ansatz des spanischen Büros.
06.07.2022

Alexander Russ: Lacol bezeichnet sich selbst als Architektengenossenschaft. Was bedeutet das konkret?

Carles Baiges Camprubí: Lacol ist nicht wie ein klassisches Architekturbüro strukturiert, bei dem es einen oder mehrere Chefs und angestellte ArchitektInnen gibt. Bei uns haben alle MitarbeiterInnen die Möglichkeit, Teil eines gleichberechtigten Kollektivs zu sein. Wir teilen uns die Verantwortung, aber auch die Vorstellung davon, was wir mit Lacol umsetzen und bewirken wollen.

Warum habt ihr euch für diese Arbeitsweise entschieden?

Carles Baiges Camprubí: Wir haben Lacol 2009 als StudentInnen gegründet, um uns Räumlichkeiten für unsere Studentenentwürfe zu teilen. Zum Ende des Studiums ging es dann aber mit richtigen Projekten los. Das Ganze war ein sehr organischer Prozess, der stark dadurch beeinflusst wurde, dass wir anders arbeiten wollten als in den Architekturbüros, in denen wir unsere Praktika absolviert hatten. In unserer Nachbarschaft gab es viele Genossenschaften, mit denen wir uns ausgetauscht haben. Das hat uns sehr inspiriert. Die Selbständigkeit war aber auch ein Weg, um mit der damaligen Wirtschaftskrise in Spanien umzugehen. Viele StudienkollegInnen sind stattdessen ins Ausland gegangen, um dort Arbeit zu finden.

Wie viele Leute arbeiten mittlerweile bei Lacol?

Carles Baiges Camprubí: Es gibt zwölf MitarbeiterInnen, die Teil der Genossenschaft sind. Dazu kommen noch sechs MitarbeiterInnen, die StudentInnen oder angestellte ArchitektInnen sind.

Es gibt bei euch also auch ArchitektInnen, die nicht der Genossenschaft angehören.

Carles Baiges Camprubí: Ja, aber wenn sie zwei Jahre bei uns gearbeitet haben, können sie Teil der Genossenschaft werden.

Ist diese Mitgliedschaft freiwillig?

Carles Baiges Camprubí: Von Seiten der Angestellten ist sie freiwillig. Sie können sich auch dazu entscheiden, in einem Angestelltenverhältnis zu bleiben. Wir sind allerdings dazu verpflichtet, ihnen die Mitgliedschaft unter bestimmten Bedingungen anzubieten.

Wie läuft der Entwurfsprozess bei euch ab?

Carles Baiges Camprubí: Die einzelnen Projekte werden immer von ein oder zwei ProjektleiterInnen betreut. Dazu gibt es regelmäßige Meetings, bei denen die Projekte und deren Fortschritte dem Team vorgestellt werden. Dort können sich alle einbringen und etwas dazu sagen. Hinzu kommt, dass wir zwar ArchitektInnen sind, aber viele von uns haben zusätzlich ein Aufbaustudium absolviert. Einer meiner Kollegen ist zum Beispiel Tragwerksplaner, ein anderer spezialisiert auf Altbauinstandsetzung und ich selbst bin Soziologe. Ich entwerfe also keine Gebäude, sondern kümmere mich um die kommunikativen und partizipativen Prozesse oder entwickle verschiedene Studien.

In eurem Portfolio finden sich viele Wohnbauten mit einer sozialen Agenda. Wie kam es zu diesem Schwerpunkt?

Carles Baiges Camprubí: Wir fühlen uns in diesem Bereich sehr wohl – auch weil diesen Projekten ein Ansatz zugrunde liegt, der uns sehr entgegenkommt. Eine unserer Grundlagen ist das Entwerfen für die Gemeinschaft und das Arbeiten mit partizipativen Prozessen. Ein gutes Beispiel sind die von uns entworfenen genossenschaftlichen Wohnungsbauten "La Borda" und "La Balma". Wir haben aber auch ein Gebäude saniert, bei dem wir sehr intensiv mit der Stadtverwaltung zusammengearbeitet haben und das zukünftig als Jugendzentrum genutzt wird. Prinzipiell gehen wir dabei sehr proaktiv vor. Wir suchen zum Beispiel zusammen mit einer Genossenschaft nach einem Bauplatz oder kümmern uns um das Finanzierungsmodell. Wir warten also nicht darauf, dass uns jemand beauftragt, sondern entwickeln das Projekt von Anfang an zusammen mit den jeweiligen BauherrInnen.

"La Borda" war euer erstes realisiertes Projekt. Kannst du uns mehr über den Entstehungsprozess erzählen?

Carles Baiges Camprubí: "La Borda" ist insofern ein besonderes Projekt, weil einige KollegInnen von Lacol teilweise auch die späteren MieterInnen waren. Dabei ging es darum, einen kostengünstigen und nachhaltigen Sozialwohnungsbau zu errichten, der zudem Gemeinschaftsräume bietet. Dadurch, dass wir gleichzeitig BauherrInnen und ArchitektInnen waren, konnten wir sehr nah an den Prozessen dran sein. Insofern war La Borda die Grundlage für spätere Projekte wie "La Balma" oder "La Comunal". "La Borda" weist aber auch konstruktive Besonderheiten auf, was unserer Nachhaltigkeitsagenda geschuldet ist. So war das Gebäude zum Zeitpunkt seiner Errichtung der größte Wohnungsbau in Holzbauweise in ganz Spanien.

Du hast gerade erwähnt, dass die Gemeinschaft und das Bereitstellen von Räumen für einen sozialen Austausch eine Grundlage bei euren Projekten ist. Wie funktioniert das bei "La Borda"?

Carles Baiges Camprubí: In der Mitte des Gebäudes gibt es einen großen überdachten Gemeinschaftshof, der gleichzeitig als Erschließungsbereich dient. Das führt dazu, dass sich die Nachbarn automatisch dort treffen, wodurch ein sozialer Austausch entsteht. Ich wohne im Übrigen auch in "La Borda" und um ehrlich zu sein hatte ich zu Beginn die Sorge, dass es zu laut werden könnte – aber das Ganze funktioniert tatsächlich sehr gut.

Was für eine soziale Mischung weist "La Borda" auf?

Carles Baiges Camprubí: Unser Ziel war es, Wohnungen für unterschiedliche Altersgruppen anzubieten. Insgesamt gibt es dort 28 Wohneinheiten und nur eine Einheit weist die klassische Familienbesetzung mit einem Elternpaar und zwei Kindern auf. Bei den restlichen Einheiten gibt es alle möglichen Konstellationen – von Singlewohnungen mit Rentnern bis hin zu großen Wohngemeinschaften mit StudentInnen. Aus ökonomischer Sicht ist "La Borda" ebenfalls sehr durchmischt. Allerdings gibt es in der Nachbarschaft einen Migrationsanteil von 20 Prozent, der sich aber leider nicht im Projekt wiederfindet. Das hat mit seiner spezifischen Entstehungsgeschichte und den damit verknüpften Prozessen zu tun. Wir haben bei unseren Folgeprojekten deshalb stärker darauf geachtet, hier ebenfalls eine Durchmischung zu erreichen, weshalb der Migrationsanteil entsprechend höher ist.

Ein weiterer Wohnungsbau von euch ist "La Balma", der aber deutlich kleiner als "La Borda" ist. Wie habt ihr hier Gemeinschaftsbereiche geschaffen?

Carles Baiges Camprubí: "La Balma" ist ein längliches Gebäude, dessen Form sich aus dem Grundstück ergeben hat. Die Ziele und Strategien, die wir dafür angewendet haben, waren aber genau dieselben wie bei "La Borda". Deshalb gibt es hier ebenfalls eine Verbindung zwischen den Gemeinschaftsbereichen und der Erschließung – nur dass diese Bereiche deutlich kleiner sind. Sie funktionieren wie eine Art Filter zwischen den Wohnungen und dem Straßenraum.

Neben verschiedenen Wohnprojekten hat Lacol auch Arbeitsräume entworfen. Ein Beispiel ist das Projekt "La Comunal". Was ist das Konzept dahinter?

Carles Baiges Camprubí: "La Comunal" beherbergt mehrere Arbeitsräume, die sich verschiedene Einrichtungen teilen. Wir haben dort ebenfalls unseren Sitz – und das war auch der Anfangspunkt des Projekts, für das wir uns mit zwei anderen Genossenschaften aus der Nachbarschaft zusammengetan haben, um nach größeren Räumlichkeiten zu suchen. Das Gebäude in dem "La Comunal" untergebracht ist, war eine ehemalige Fabrik, die schon seit Jahrzehnten leer stand. Wir haben diese renoviert und mittlerweile sind dort acht Genossenschaften untergebracht, inklusive einer Bibliothek und einer Sprachschule. Außerdem werden in "La Comunal" auch Konzerte veranstaltet.

Gibt es hier ebenfalls einen Gemeinschaftsgedanken, der sich in der Architektur wiederfindet?

Carles Baiges Camprubí: Alle Einrichtungen haben ihre eigenen Räumlichkeiten. Es gibt aber auch Bereiche, die wir uns teilen wie etwa die Besprechungsräume. Hinzu kommt ein Innenhof, der dem sozialen Austausch dient. Es gibt hier also Ansätze, die auch bei unseren Wohnprojekten zu finden sind. Interessant war der Prozess aber auch deshalb, weil es sich um ein denkmalgeschütztes Gebäude handelt, bei dem wir trotzdem unsere Nachhaltigkeitsagenda umsetzen wollten. Das war aufgrund der Vorgaben durch den Denkmalschutz nicht immer ganz einfach – aber am Ende haben wir es trotzdem geschafft, den Energieverbrauch des Gebäudes zu senken und gleichzeitig die Bausubstanz zu respektieren.

Welche weiteren Projekte plant ihr gerade?

Carles Baiges Camprubí: Momentan sind sechs weitere genossenschaftliche Wohnbauten in Planung. Fünf davon befinden sich in Barcelona und einer außerhalb der Stadt. Wir gehen verstärkt auch Sanierungsprojekte an: zum Beispiel die Renovierung von alten Wohnanlagen, bei denen es ebenfalls um Themen wie Gemeinschaft und nachhaltiges Bauen geht.