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Traumreise in die Vergangenheit

Im Neubauviertel der französischen Stadt Metz hat Philippe Starck ein Hotel platziert, angereichert mit Erzählungen.
von Thomas Edelmann | 15.07.2025

Der Weg zu Philippe Starcks spektakulärem Hotelneubau ist umständlich. Er führt durch die Geschichte und an einen Ort, der gerade wieder einmal neu erfunden wird: Das "Quartier de l'Amphithéâtre" in Metz ähnelt vielen grundlegend neu geplanten Stadtvierteln. Es ist klar gegliedert, erscheint frisch und durchdacht – und doch über weite Strecken ausgesprochen banal. Das 38 Hektar große Gelände wurde in Baufelder mit regelmäßigem Raster aufgeteilt. Dessen Blockstruktur füllt sich nun nach und nach mit Neubauten.

Benannt ist das Quartier nach dem einstigen römischen Amphitheater, das größer war als die erhaltenen Theater von Nîmes oder Arles. Nach den Römern kam um 280 der Heilige Clemens und befreite der Legende nach die Stadt vom bösartigen Drachen Graouli und von todbringenden Schlangen, die sich in den Ruinen des Theaters eingenistet hatten. Zum Dank gaben die BürgerInnen von Metz ihren heidnischen Glauben auf und wurden Christen. Reste des Amphitheaters nutzend, ließ hier 1737 Louis de Cormontaigne nach Plänen von Vauban eine Befestigungsanlage bauen. Diese wichen um 1905 der Anlage des Güterbahnhofs, der wiederum in den 1980er-Jahren aufgegeben wurde. Irgendwo ist noch ein Stück Begrenzungsmauer aus Sandstein und Schmiedeeisen übrig.

Philippe Starck

Um die Jahrtausendwende kaufte die Stadt Metz das gesamte Gebiet des einstigen Bahnhofs Metz-Marchandises der Bahngesellschaft SNCF ab und machte Tabula rasa. Bereits 2010 eröffnete im Norden des Areals als kultureller Anziehungspunkt das Centre Pompidou Metz, entworfen von Shigeru Ban. Gleich gegenüber erstreckt sich die Shopping-Mall "Muse" über mehrere Blocks Richtung Süden. Viele Funktionen sind hier benachbart: Wohn- und Verwaltungsbauten, Sportarenen, ein Park, Einkaufsgelegenheiten, Vergnügungs- und Kongressorte. Was fehlt, sind Spuren historischer Baukultur.

An die Mall schließt ein schmuckloser Kinopalast an. Visavis erhebt sich eine mehrstöckige Hochhausscheibe. Bewusst ignoriert sie das Raster und teilt das rechteckige Grundstück in der Diagonale, wodurch eine kleine baumbestandene Gartenfläche entsteht. Dies ist Philippe Starcks neuer Hotelbau "Maison Heler", der von der Hilton-Gruppe unter der Marke Curio Collection geführt wird. Auf acht Wohnetagen gibt es 104 Zimmer und Suiten, dazu Tagungsräume und zwei Restaurants mit jeweils eigener Bar.

"La Maison de Manfred"

Der Plattenbau mit strukturierter Oberfläche wirkt zunächst schmucklos, solange bis man den Kopf gen Himmel reckt: Im neunten Stock erhebt sich auf dem nüchternen Betonbau ein verschnörkeltes Gebäude. Mit Türmchen und Erkern, homogen verkleidet mit Zinkblech, scheint es aus einer anderen Zeit hierher gelangt zu sein. Neben dem Haus wachsen in der Höhe Bäume, vereinzelt ranken sich Pflanzen über die Kante der Dachterrasse. Falls es in der gepflegten Langeweile des neuen Stadtteils so etwas wie eine Attraktion gibt, dann ist es das altertümliche Gebilde auf dem Dach.

Doch was hat so ein Bau in historistischem Gepräge an der Spitze einer Betonkiste zu suchen? Für Starck gehört das gebaute Zeichen zur umfassenden Erzählung, die er sich für das gesamte Projekt ausgedacht hat und auf die sich alle Details im Hotel beziehen. Es ist die Geschichte des Erfinders und Einzelgängers Manfred Heler und seiner Welt. Starcks surreales Märchen gibt es für Hotelgäste in Form eines kleinen illustrierten Büchleins. Eine Karte mit dem "Alfabet von Manfred" hilft, ein Zeichensystem zu enträtseln, dessen Spuren überall im Hotel auftauchen. Vieles ist imaginär, manches wirkt surrealistisch oder poetisch wie Starck betont, anderes manifestiert sich in Bildern, Räumen, Materialien, privat wirkenden Gegenständen, die im Hotelbetrieb sonst eher nicht vorkommen.

"La Cuisine de Rose"

Von Manfred heißt es, er lebe "allein in einem prächtigen Haus" – einem "Wahrzeichen der lothringischen Architektur" und sei "ein Mann mit einer kontemplativen und akribischen Laune, der sich neuen Erfindungen widmet, ständig überrascht und versucht, seine imaginäre Geliebte Rose zu erobern." Ihr ist das Restaurant "La Cuisine de Rose" im Erdgeschoss gewidmet, in dem nicht nur eine eigene Bar, sondern auch die Rezeption des Hauses untergebracht sind. "Alles was von Rose kommt, ist Pink", erklärt Starck sein in diesem Punkt nicht sehr überraschendes Farbkonzept.

Für das Haus auf dem Dach wählte er ein konkretes Vorbild aus. Es steht ebenfalls in Metz, knapp 20 Minuten zu Fuß vom Hotel entfernt. Der Weg führt durchs neue Quartier Richtung Bahnhof, unterquert die Bahngleise und weiter zur Avenue Foch 22. Dort hat 1903 ein deutscher Architekt namens Hermann-Eduard Heppe die Villa Salomon realisiert. Statt einer Zinkhülle hat sie Zierelemente aus Sandstein und Fachwerk. Sie ist Teil der Stadterweiterung, die während der ersten deutschen Annexion Elsass-Lothringens nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 entstand. Wie das Quartier de l'Amphithéâtre heute, folgte diese Neustadt, die inzwischen "Quartier impérial" (Kaiserviertel) heißt, den damals relevanten städtebaulichen Prinzipien. Wegen ihrer ästhetischen Vorbilder vom Rhein, ihrer gefühlvoll germanischen Architekturdoktrin war sie einst umstritten, wie die Kunsthistorikerin Christiane Pignon-Feller erforschte. Deutschland brachte nicht nur gezielt Militärs nach Metz und protestantische Neubürger, um die Stadt zu germanisieren.

Die deutsche "Kanonenbahn" diente der raschen Verlagerung von Material und Soldaten und führte bis nach Metz. Der Bahnhof wird heute für Raumqualität und detailreiches Bildprogramm geschätzt, trotz seiner Manifestation als wilhelminische Machtarchitektur. Als "Form der Einmischung" beschreibt die Historikerin die Baustoffe, die die Deutschen mitbrachten: "Buntsandstein und Granit, die zwar in Lothringen oder im Elsass gebrochen wurden, aber dennoch als deutsche architektonische Entgleisungen" galten.

In der modernen Eurométropole Metz erscheint diese Epoche so weit entfernt wie die Gleise der Güterbahn oder die Ruinen des Amphitheaters. Und doch ist sie für Stadtbild und Selbstverständnis prägend. Starck siedelt seine erdachten Personen und Geschichten im Umfeld dieser realen Geschichte an. In Bild und Text, aber auch in seiner Hotelausstattung mit unendlich vielen Details nimmt Starck Bezug zu dieser Zeit. Die imaginäre Person Manfred Heler ermöglicht es ihm auch persönlich, hinter sein Geschöpf zurückzutreten, er materialisiert dessen und seine Fantasiewelt. Muss ein neu geplantes Stadtviertel dermaßen reizlos wirken? Starck nimmt Maß nicht an der Moderne, sondern an der Zeit um 1900. Er bietet zur Flucht auf Zeit als Option eine längst untergegangene Wohlfühlwelt – mit allen Ambivalenzen. In den Zimmern wie im Dachrestaurant "La Maison de Manfred" dominieren dunkle Holz- und Lederfarben. Buntglasfenster, die maßgeblich für die Atmosphäre des Raumes sind, entwarf Ara Starck, die bereits für viele Projekte des Vaters entscheidende künstlerische Zutaten lieferte.

In den Zimmern kontrastieren Brauntöne mit schalungsrauem Beton, der verbaute Marmor im Bad hat eine handwerklich gebrochen wirkende Kante. Griffe an den Möbeln sind aus Schmiedeeisen, die Leuchten entstammen einem Setdesign, das irgendwo zwischen 1900 und 1930 angesiedelt sein könnte. Ein gestalterisches Spiel, bei dem Starck hinter seinem alter ego zurücktreten kann und doch dominant ist wie selten zuvor.

Dass Manfreds sympathisch-versponner Welt der "Axt mit den zwei Stielen" oder den "Zentrifugen gegen Liebeskummer" die Katastrophe des Ersten Weltkriegs folgte, deuten historische Schwarzweißfotos aus französischen Archiven an, die Erfindungen aus der Zwischenkriegszeit zeigen – darunter kuriose Haushaltsgeräte sowie Varianten von Gasmasken und merkwürdigen pseudomilitärischen Apparturen.

Philippe Starck beschwört das bürgerliche Wohnen einer längst vergangenen Epoche als Vorbild, nicht nur im familiären Restaurant "Maison de Manfred" im Häuschen auf dem Dach, zu dessen 100 Plätzen die Dachterrasse weitere 100 Plätze bietet. Von hier kann man über die Dächer der Stadt sehen, aufs Centre Pompidou, die Türme von Kathedrale und Bahnhof. Dass der Ausblick nicht atemberaubend ist, liegt auch an der unmittelbaren Umgebung. Viele Gäste äußern im Internet ihre Begeisterung, manche sind enttäuscht, dass die Auswahl der Speisen im "Maison de Manfred" begrenzt ist und dass für den begehrten Ort feste Timeslots von zwei Stunden gelten. Seine Hotels sowie seine Restaurants und Clubs sind stets mit seinen Entwürfen ausgestattet, geprägt aber vom präzisen Verständnis für Dramaturgie, Eleganz sowie dem Empfinden fürs Raumgefüge. Expressive Objekte bekannter Kollegen nutzt Starck als Kontrapunkt. So stellte er in eine Hotellobby die Tree-Trunk-Bench von Jurgen Bey, in eine andere die Lockheed Lounge-Liege von Marc Newson als Orientierungspunkt. Im "Maison de Manfred", dem Restaurant, das im Häuschen an der Spitze des Hotels untergebracht ist, mischt sich ganz unspektakulär, der Calvet-Stuhl von Antoni Gaudí unter Starcks neu-alte Entwürfe.

Spricht der Designer angesichts seines Konzepthotels von Surrealismus und Poesie, fühlt man sich an eine krtische Würdigung von Niklas Maack erinnert. Über Starcks Leuchten und Möbel schrieb dieser: "… der Surrealismus wird in die Showrooms gezerrt, dort stehen die Designobjekte herum wie Partygäste, die immer wieder den gleichen Witz erzählen." Auch die Architektur des "Maison Heler" spricht pausenlos, erzählt ihre Geschichte in Endlosschleife.

Starck regte sich kürzlich darüber auf, wie sehr Design "in Richtung Luxus abgleitet". Aus seiner Sicht sind die meisten seiner Produkte und Projekte demokratisch, weil zugänglich und erreichbar. Luxus mache er nur ganz selten, behauptet er. Mit Hotels kennt er sich aus, seit ihn Ian Schrager 1994 binnen zwei Wochen mehrere pro Tag besichtigen und analysieren ließ. Anschließend realisierte Starck stilprägende Boutique-Hotels in New York (Royalton, Hudson) sowie in Miami (Delano). Letzteres zählte die New York Times zu den 25 einflussreichsten Räumen der Designgeschichte. Inzwischen hat er beinahe auf jedem Kontinent Räume für Hotellerie und Gastronomie geschaffen, die zwischen Detailverliebtheit und Totalgestaltung operieren.

"Ein Hotel ist für mich eine Maschine, die Erlebnisse generiert“, vertraute er 2009 in einem Interview Ingeborg Harms von der "Zeit" an. Etwa im selben Jahr begannen die Überlegungen für ein Hotelprojekt in Metz. Zehn Jahre später ist es weitgehend fertig, lediglich der Spa-Bereich folgt erst 2026. Der Besuch in der Lobby des Delano Hotels in Miami ist, behauptete Susan Slezin in der New York Times, "als würde man einen klassischen Tempel betreten." Der Raum habe nicht nur andere Hotellobbies beeinflusst, sondern auch die "Art und Weise, wie Menschen ihre Zimmer, ihre Eingänge und vor allem ihre Zimmer betrachten." Ob die Welt des Manfred Heler ähnlichen Einfluss entwickelt, weit über Metz hinaus?

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Maison Heler Metz