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Leuchte Passiflora Acryl (Polymethylmethacrylat), Entwurf Superstudio, 1966. Herstellung Poltronova, Florenz, Italien seit 1967/68, Museum August Kestner

Mut zum Experiment

Das Museum August Kestner in Hannover kombiniert bis zum 7. Juni 2026 zwei Themen der Produktgestaltung: Nachhaltigkeit und die Freude an verspielten Kreationen. "Fun Design I Circular Design" lautet der Titel der Doppelausstellung.
von Anna Moldenhauer | 17.12.2025

Was ist Kitsch und was nicht? Wie können unkonventionelle Formen zu einer Revolution in der Gestaltung beitragen? Und wie sieht nachhaltiges Design aus? Diese und weitere Fragen können die Gäste der beiden Ausstellungen "Fun Design I Circular Design" im Museum August Kestner in Hannover erkunden. Im Bereich des "Fun Design" wird so ein Überblick geboten, was unter der Bezeichnung zu verstehen ist und wo die Ursprünge der Gestaltungsströmung liegen. Mit fantasievollen Entwürfen einen Gegensatz zu Formen bieten, die sich aus der Funktion ergeben: Die Schlaglichter reichen dabei vom Einfluss des Surrealismus bis zur Memphis-Gruppe, die mit Formexperimenten und neuen Wohnkonzepten das Dogmata der Moderne aufmischte. Teil der Präsentation ist die Vorstellung von Seletti und Qeeboo, zwei italienische Unternehmen, deren plakative wie provokative Kreationen für Aufmerksamkeit sorgen. Das auffällig bei weitem nicht belanglos bedeuten muss, zeigen auch Verweise auf die Strömung des Radical Designs, mit denen sich die VertreterInnen gegen den Funktionalismus wie Kommerz richteten und die Gestaltung nutzten, um ein kritisches Bewusstsein für gesellschaftliche Strukturen zu fordern.

Hocker Rohr, gefertigt aus Türen, 2022 Material: Röhrenspan mit Eichenfurnier, Nussholz, Buchenholzstab. Urbane Mine: Konrad Kocher Grundschule, Ditzingen, Baujahr 1969, Abriss 2022 Handwerker: Dominik Späth, Schreiner, Freiburg
Stuhl B 40 Entwurf: Marcel Breuer, 1925 Herstellung: TECTA, 2025
WiChair Entwurf: Wilkhahn, 2025 Hersteller: Wilkhahn, Bad Münder
WiChair Entwurf: Wilkhahn, 2025 Hersteller: Wilkhahn, Bad Münder

Etablierte Systeme neu denken – diese Fähigkeit der Kreativen ist parallel die Brücke zum "Circular Design": Experimente in Form und Material dienen einer Gestaltung, die hilft, die Wertschöpfung zu maximieren und holistisch nachhaltiger zu agieren. Die Exponate zeigen beispielhaft die Möglichkeiten auf, die ein kreislauffähiges Möbel- und Produktdesign bietet, aber auch die Herausforderungen, die sich durch eine Neupositionierung in der Industrie ergeben. In der Schau werden vor allem die Bemühungen niedersächsischer Unternehmen für eine nachhaltige Gestaltung fokussiert, wie seitens Tecta, Müller Möbelwerkstätten und Wilkhahn. Modulare Konstruktionen, recycelte und recycelbare Materialien sowie auf das Wesentliche reduzierte Aufbauten, die reparabel sind, prägen das Sortiment der Hersteller. Ergänzt wird der Blick mit Projekten aus der Forschung: Die Exponate aus Instituten der Hochschule Hannover und der Leibniz Universität Hannover erklären wie Biokunststoffe entstehen, zum Beispiel aus Spargelschalen, oder wie Kunststoffrecycling funktioniert – zum Beispiele mit Hilfe von ausgedienten Fischernetzen. Wie vielfältig die kreativen Möglichkeiten des Kunststoffrecycling sind, wird angesichts des Portfolios der Gruppe Bär + Knell klar: Beata Bär, Gerhard Bär und Hartmut Knell gestalten seit Beginn der 1990er-Jahre Objekte aus Recycling-Kunststoff, von Möbeln über Leuchten bis zur Kirchenausstattung.

Bodenleuchte Kong Kunststoff (Polypropylen; recycelbar), Entwurf Stefano Giovannoni (* Herstellung Qeeboo, Mailand, Italien Museum August Kestner, Schenkung ars designio, Marke der ars mundi Edition Max Büchner GmbH, Hannover Mitglied im Freundeskreis des Museum August Kestner Antike Gegenwart e. V.
Korkenzieher Allesandro M. – Giallo e Nero Biokunststoff, Verchromte Zinklegierung Entwurf: Alessandro Mendini (1931–2019), diese Ausführung 2025 Herstellung: Alessi SpA, Crusinallo, Italien
Stuhl Redesign Thonet no. 14 chair Buchenholz, Sperrholz, Rohrgeflecht, Stahl Entwurf Alessandro Mendini (1931 2019), 1978 Herst ellung Italcomma, Pesaro, Italien, für Anthologie Quartett, Hannover Museum August Kestner
Schreibsekretär F1 Frankfurter Hochhausschrank versch. Hölzer, Horn, Elfenbein, Messing, Blattgold, Natursteine Entwurf Norbert Berghof, Michael Landes, Wolfgang Rang, 1986 Herstellung Draenert, Immenstaad, Deutschland, Auflage 75/100 Museum August Kestner, Schenkung vom HDI zum 100jährigen Museumsjubiläum

Der Problematik, das Gestaltung und seine immense Bedeutung für unsere Gegenwart wie Zukunft oft verkannt wird, begegnet das KuratorInnenteam mit einem umfangreichen Vermittlungsprogramm: Darunter Gespräche und Vorträge mit ExpertInnen aus Naturwissenschaften, Wirtschafts- und Designtheorie sowie mit DesignerInnen und GestaltungspraktikerInnen. Die interaktiven Angebote umfassen offene Werkstätten und Workshops, beispielsweise mit lokalen Initiativen für das Upcycling von Alltagsgegenständen. Oder seitens dem Designer Simon Kux im Kontext der Filmvorführung zu "Monobloc" von Hauke Wendler über den weltweit meistverkauften Plastikstuhl. Auch ein Begleitprogramm für Schulen wird angeboten. Die Ausstellung wird fachlich und finanziell mit rund 126.000 Euro durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit Sitz in Osnabrück unterstützt und von der Stiftung Niedersachsen gefördert. Laut der zuständigen DBU-Expertin Verena Exner sind "nachhaltige Produkte zentral, um eine funktionierende Kreislaufwirtschaft zu realisieren." Die beiden Ausstellungen stellen ihr zufolge das Spannungsfeld zwischen der "Spaßgesellschaft" und einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wirtschaft und Gesellschaft wirkungsvoll gegenüber. "Gleichzeitig schafft das Projekt wichtige Räume für kontroverse und gleichzeitig lösungsorientierte Diskussionen und Aktionen", so Exner.