Der Geschichtenerzähler
Der Blick zurück ist in den letzten Jahren im Design in Mode gekommen. Art déco-Inspirationen, Vintage-Design, Retro-Look – das Gestern dominiert das Heute. Auch Roberto Sironi holt sich gerne Anregungen aus der Vergangenheit. Sein Projekt "Madre Pane" ist so ein Beispiel. Es handelt sich um eine Kollektion verschiedenfarbige feuerfester Keramikstempel, in denen sich sowohl auf symbolische, als auch auf dekorative Art und Weise die alte italienische Tradition spiegelt, Brotlaibe zu markieren, bevor sie in einen Gemeinschaftsbackofen geschoben wurden. "Madre Pane entstand auf einer Reise nach Matera, einer wundervollen Stadt voller Geschichte“, erklärt Roberto Sironi. "Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war es üblich, das Brot mit Holzstempeln zu kennzeichnen, etwa den Initialen oder dem Symbol einer Familie, damit man es nach dem Backen dem jeweiligen Besitzer wiedergeben konnte. Dieser Brauch, aber auch die Farben der in den Fels gehauenen Häuser sowie die unberührte mediterrane Landschaft haben mich veranlasst, Objekte zu schaffen, die die Gefühle ausdrücken sollen, die ich dort vor Ort hatte. Ich bin der Meinung, dass die Intensität eines Projekts sehr stark von der emotionalen Intensität der Reise abhängt, aus der es entstanden ist."
Eine andere Tour, diesmal in die Alpen, führte den 35-Jährigen an eine Stelle, wo der Wald durch Blitzschlag in Brand geraten war. Die Überreste der Bäume, vom Feuer verbrannt und schwarz verkohlt, wurden zur Inspirationsquelle. Er nahm einige verkohlte Äste mit nach Mailand und wandte sich für sein Projekt "Fuoco" an die Fonderia Artistica Battaglia, ein Unternehmen, das sich auf Metallguss spezialisiert hat. Mit der uralten Technik des Bronzegießens gelang das Experiment: Das verbrannte Holz, mürbe und zerbrechlich, wird zu einer starken und dauerhaften Materie und vollendet damit ein bereits von der Natur begonnenes Werk. Die Objekte, darunter Tische, Hocker und Kerzenleuchter, machen die symbolische Bedeutung des Feuers zum Thema, eines der Sujets der Menschheit. Dass Feuer eben nicht nur ein zerstörerisches Element sein, sondern etwas für die Ewigkeit bewahren kann, ist für Sironi der springende Punkt: "Jedes Projekt kann man aus verschiedenen Perspektiven betrachten, die nichts anderes sind, als die zwei Seiten einer Medaille."
Von einer jahrtausendealten Technik, die das antike Volk der Etrusker, das Jahrhunderte vor Christus in den heutigen Gebieten der Toskana, Umbriens und Latiums lebte, erfand, ließ sich der experimentierfreudige Mailänder zu den drei "Buccheri"-Vasen inspirieren. Die Formen werden mit Spezialwerkzeug aus Buchsbaum handgeschnitzt und dann drei Tage in einer Stahlbox mit Holzkohle gebacken. Dieses Verfahren verleiht den Vasen ihre typische schwarze Farbe mit silbrigen Nuancen. Die minimalistisch-archaischen Formen lassen die Schönheit des Materials umso mehr zur Geltung kommen. Jede Vase ist ein Unikat und kombiniert außergewöhnliche taktile Qualität mit einer sehr dünnen Wandstärke. Die "Buccheri" werden in dem mittelalterlichen Städtchen Gubbio hergestellt und Sironi schätzt es, bei jedem Besuch neue historische und künstlerische Details zu entdecken. Und sich von Materialien vor Ort anregen zu lassen, schließlich weiß der Kreative die Arbeit mit natürlichen Materialien wie Stein, Alabaster und Keramik zu würdigen.
Einen fest definierten Designstil kann man bei Roberto Sironi nicht ausmachen, was daran liegen mag, dass er in den Disziplinen Kunst, Design und Wissenschaft ohne Grenzen agiert, er kenne keinen Unterschied zwischen diesen Bereichen, sagt er. Und ergänzt: "Materialien sind alles für mich, sie packen mich. Ich versuche Materialien so zu verwenden, wie ein Maler Farben einsetzt. Ich habe großen Respekt für Materialien wie Stein und Holz, die Jahre, Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende brauchen, um sich zu entwickeln. Die Kenntnis ihrer Verwendung ist grundlegend für mich." Ihn treibt der Wunsch, durch seine Arbeit Geschichten zu erzählen. Sie basieren auf sorgfältigen Recherchen, die verschiedene Aspekte umfassen: Es geht um Rituale und anthropologische Bezüge, um historische Erinnerungen und zeitgemäßes Design. Dabei gelingt es ihm, Altes in reduzierter Optik neu zu erschaffen und Objekte voller Poesie zu kreieren, die in den bedeutendsten Kunst- und Designgalerien und -institutionen wie der Carwan Gallery in Beirut, der Gallery S. Bensimon in Paris, dem Bazar Noir in Berlin und der Triennale in Mailand ausgestellt werden.
Die Verquickung von zeitgenössischem Design auf der Basis alter Traditionen erklärt Roberto Sironi folgendermaßen: "Ich denke, dass der Blick in die Vergangenheit ein Weg ist, um die Zukunft zu planen. Ich interessiere mich für Geschichte, sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer sozialen Wurzeln. Design ist ein Weg, sie wieder zu erleben, zu erzählen und weiterzugeben. Es geht nicht um Nostalgie, sondern um das Bewusstsein, dass einige Verhaltensweisen und Lebensgewohnheiten der Vergangenheit wichtig sind, um unser heutiges Leben zu reflektieren."