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Silvio Rebholz

JUNGE TALENTE
"Es gibt keine Kritikkultur im Design"

Er führt Interviews und gestaltet Situationen: Ein Gespräch mit dem jungen deutschen Designer Silvio Rebholz.
08.11.2023

Mit Christian Kaegi von Qwstion auf dem Lastenrad oder mit Stylistin Connie Hüsser im Volvo: Silvio Rebholz interviewte für seinen Master an der Hochschule Ecal Protagonist:innen der Schweizer Designszene auf dem Weg zur Arbeit – und konstruierte dafür eigenwillige Erweiterungen der Fahrzeuge. Zu Rebholz‘ Portfolio gehören auch herkömmlichere Designobjekte wie Sitzgelegenheiten, Vasen oder eine Öllampe. Aus Anlass des 40. Geburtstags der Teekanne von Mono entwarf der in Lausanne lebende Designer zuletzt "Feuerwerksspieler", eine Art Tischfeuerwerk aus den gläsernen Halbkugeln der Kanne. Neben der Arbeit als Designer ist Rebholz auch in der Lehre tätig. Wir sprachen mit ihm per Video-Call über Vertrauensfragen, fehlende Kritikkultur im Design und seine Zukunft in der Nische.

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Jasmin Jouhar: Du führst gerne Interviews. Was interessiert dich als Designer am Format des inszenierten Gesprächs?

Silvio Rebholz: Bevor ich selbst angefangen habe, Interviews zu führen, haben mich Shows im Fernsehen fasziniert, weil sich dort meist reale Persönlichkeiten in fiktiven Settings unterhalten. So entstehen Unterhaltungen, die nur passieren, weil sie gefilmt werden. Ich habe dann meine theoretische Arbeit für den Masterabschluss an der ECAL über das Design von TV-Studio-Sets geschrieben und analysiert, wie die Designs Einfluss auf die Gespräche nehmen. Im Zuge meiner Recherche führte ich Interviews mit Gestalter:innen, die TV-Studios entwerfen. Das hat mir eine ganze andere Welt fürs Produktdesign eröffnet. Ich kann für Situationen gestalten, die in der Realität nicht existieren, und ich kann sie so gestalten, dass sie nicht so exklusiv sind.

Was meinst du mit nicht exklusiv?

Silvio Rebholz: DesignerInnen haben meist zwei Optionen. Entweder entwirft man ein massenproduziertes Produkt und kann im besten Fall viel Gutes für viele Menschen tun. Oder man ist ganz spezifisch und exklusiv und macht beispielsweise ein Einzelstück für eine Galerie. Durch meine Recherche wurde mir mit Objekten für Interviews eine dritte aufgemacht, weil sie so spezifisch sind wie für eine Galerie, jedoch über die Kamera verbreitet werden und ihre Funktion erfüllen, wenn sie von einem breiten Publikum gesehen werden. Ich kann ein maßgeschneidertes Objekt machen, das eine Daseinsberechtigung für viele Menschen hat.

Was war dir wichtig bei der Gestaltung der Settings und Objekte für die Interviews?

Silvio Rebholz: Bei meiner ersten Serie "On the way to work with…" wollte ich Intimität schaffen. Deswegen war auch kein großes Kamerateam dabei. Meistens nur ich und eine weitere Person, die aus einer Außenperspektive gefilmt hat. Ich habe mit den jeweiligen InterviewpartnerInnen den Weg zur Arbeit zurückgelegt. Entscheidend ist, dass wir etwas gemeinsam tun und uns vertrauen müssen. Lege ich ein Keramikobjekt aus der Sammlung von Connie Hüsser auf einen Drehteller bei 130 Stundenkilometer auf der Autobahn? Das ist eine Vertrauensfrage. Genauso, wie wenn ich bei Christian Kaegi auf dem Cargobike sitze und nicht weiß, wo wir hinfahren. Die Objekte helfen mir, mit den Menschen in ein tieferes Gespräch zu kommen. Natürlich sind die Gesprächspartner oft aufgeregt, denn es ist eine außergewöhnlichen Situation. Jörg Boner sagte etwa, dass er sich wie auf einer Bühne fühlt, wenn er gefilmt wird. Im Gespräch mit mir hat er das aber vergessen. Wir sind zusammen Rad gefahren, haben fast einen Unfall gebaut und mussten einander vertrauen. Dadurch gab es, obwohl wir uns vorher nicht kannten, schnell eine gemeinsame Basis.

On the way to work with...

Wenn du dich selbst interviewen könntest, welche Frage würdest du dir stellen?

Silvio Rebholz: Ich habe vor zwei Jahren meinen Abschluss gemacht, jetzt bin ich selbständig und muss mich positionieren. Es ist eine interessante Phase. Wie schafft man es, zu kommunizieren, was man tut? So eine Frage würde ich stellen, etwa, wie ich den Leuten erkläre, was ich eigentlich mache. Meine Antwort wäre, dass das nicht so einfach ist. (lacht)

Welche Frage möchtest du auf keinen Fall gestellt bekommen, in Bezug auf deine Arbeit als Designer?

Silvio Rebholz: Da fällt mir wirklich nichts ein.

Wenn wir Rollen tauschen würden und du als geübter Interviewer mich etwas fragen würdest, was wäre das?

Silvio Rebholz: Was mich sehr interessieren würde, ist deine Meinung zum Vorwurf, dass im Designjournalismus zu wenig kritisch geschrieben wird.

Ja, das ist ein großer Vorwurf, auch nicht ganz neu. Meine Antwort: Es ist ein strukturelles Problem. Es gibt fast keine Plattformen mehr, die einen kritischen Diskurs ermöglichen. Publizieren über Design ist durch die kommerziellen Rahmenbedingungen beeinflusst. Und die unabhängigen Plattformen, die es noch gibt, funktionieren oft durch Selbstausbeutung der BetreiberInnen und AutorInnen. Wenn versucht wird, daraus dann ein Einkommen zu erzielen, gerät man fast automatisch in die Zwickmühle der kommerziellen Interessen. Und in der klassischen Medienlandschaft, etwa in Tageszeitungen, Fernseh- oder Radiosendern, wo kritische Auseinandersetzung vielleicht möglich wäre, ist Design ein Randthema. Architektur hingegen kommt durchaus vor, da wird auch kritisch eingeordnet. Außerdem wird in Deutschland Design vor allem unter wirtschaftlichen und weniger unter kulturellen und sozialen Gesichtspunkten wahrgenommen.

Silvio Rebholz: Das sehe ich auch so. Und was dazu kommt: Unter den Gestaltenden selbst findet auch zu wenig Kritik statt. Es gibt keine öffentliche Kritikkultur.

Feuerwerksspieler

Noch mal zu deiner Arbeit: Du beschäftigst dich häufig mit dem Gestalten von Situationen. Nicht nur mit den Interviewformaten, auch mit Möbeln, die du entworfen hast, oder aktuell bei dem Tischfeuerwerk für Mono. Was interessiert dich daran, wenn etwas passiert?

Silvio Rebholz: Für mich ist das das Wesentliche im Design. Ich arbeite gerade an einem Film über einen französischen Designer. Er sagt immer: "Designer sein heißt Gastgeber sein". Es geht darum, das Leben von Menschen zu verbessern, sich hineinzuversetzen, wie ein Objekt benutzt wird, was es mit den NutzerInnen macht, und was es für ein Gefühl erzeugt. Nehmen wir das Tischfeuerwerk von Mono. Ich überlege mir, es geht um einen Geburtstag, es soll ein kleines Event geben und es wird gefeiert. Ein Entwurf muss spezifisch sein für eine bestimmte Situation, und doch eine abstrakte Dimension haben. Mir macht es viel Freude, nah an den Menschen dran zu sein.

In welchen Bereichen siehst du deine Zukunft als Designer?

Silvio Rebholz: Auf der einen Seite arbeite ich gerade an ein paar klassischen Designprojekten. Auf der anderen Seite gibt es dieses Filmprojekt, für das ich auch Interviews führe. Ich wünsche mir, meine Nische auszufüllen, mein Alleinstellungsmerkmal zu erhalten, Journalismus mit Design zu machen. Für mich ist beides Teil meiner Designpraxis.