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Ein neues Manhattan für Amsterdam

Östlich der Amsterdamer Altstadt werden immer neue Inseln für die stark wachsende Stadt erschlossen. Eine davon soll mit 28 Hochhäusern bebaut werden, was Zeeburgereiland zu einem neuen Manhattan werden lassen könnte – allerdings einem, das nach strengen ökologischen Kriterien gebaut wird.
von Florian Heilmeyer | 12.08.2021

Amsterdam wächst. Jedes Jahr zählt die niederländische Hauptstadt im Schnitt 11.000 neue EinwohnerInnen. Da die Innenstadt nicht nur hübsch und historisch, sondern vor allem dicht bebaut ist, expandiert die Stadt seit den 1990er-Jahren vor allem nach Norden und Osten. Hier lagen einst die Industriegebiete des Amsterdamer Hafens, für deren Umwandlung zu lebhaften Wohnvierteln gab es schon seit den 1960er-Jahren Pläne, die allerdings erst mit dem neuen Bevölkerungswachstum so richtig Schwung bekamen. Seitdem scheinen im Jahrestakt neue Inseln zu Wohnvierteln zu werden: Java-Eiland, Borneo-Eiland, Sporenburg, Cruquis-Eiland. Alles bereits dicht bebaut, als sei es nie anders gewesen. Nun ist die Stadtentwicklung ein paar Kilometer weiter östlich angekommen, unmittelbar am Ufer des Ij-Meeres, das die NiederländerInnen einst mit einem gewaltigen Damm von der Nordsee abgezwackt hatten. Und weil es hier keine ehemaligen Hafen-Inseln mehr gibt, die umgenutzt werden könnten, wurden eben neue Inseln aufgeschüttet, die bis ins Jahr 2040 zu Wohngebieten ausgebaut sein sollen. Eine davon ist Zeeburgereiland, die Insel wurde schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgeschüttet. Wie eine Pfeilspitze, die nach Nordwesten zeigt, liegt sie im Wasser.

Die Pläne für den Ausbau der künstlichen Insel stehen schon länger fest. Sie eignet sich perfekt, denn die Ringautobahn A10 um Amsterdam führt bereits über die Insel und hat nun auch eine direkte Abfahrt bekommen. 2005 wurden Gleise für die Straßenbahn verlegt, die gleich noch zwei weitere künstliche Inseln nach Osten und bis zur Küste des Binnenmeeres erschließt. 2016 wurde ein Masterplan der Amsterdamer Stadtplaner BurtonHamfelt urban architecture beschlossen, der eine Art Mini-Manhattan auf der Insel vorsieht. Die "Sluisbuurt", wörtlich: "Schleusenviertel", wird trotz des malerischen Namens eine Hochhausstadt mit 28 Türmen, zwischen 30 und 125 Metern hoch, die sich in einer stetig ansteigenden Choreographie bis zur Inselspitze verteilen. So hoch hat Amsterdam bisher nur in Einzelfällen gebaut – und ein Hochhaus-Viertel mit ähnlicher Dichte gibt es nirgends. Von diesem neuen Maßstab verspricht man sich nicht nur beste Panoramaaussichten auf die historische Altstadt und aufs Wasser, sondern vor allem 5.500 neue Wohnungen – davon 30 Prozent im geförderten Wohnungsbau – und gut 100.000 Quadratmeter Büro- und Geschäftsflächen. Der Bau eines solchen Volumens in unmittelbarer Wasserlage dürfte aufwändig sein. Dennoch soll das Viertel auch höchsten ökologischen Ansprüchen genügen. Neben dem öffentlichen Nahverkehr wird auch das Fahrrad, wie könnte es in Amsterdam anders sein, eine große Rolle spielen.

Nun wurden die ersten konkreten Pläne für den ersten Baustein des neuen Viertels präsentiert. Die Ausschreibung gewann ein privates Bieterkonsortium um die Investorengruppen EarthY und Fakton Capital, die sich von den beiden niederländischen Architekturbüros Barcode Architects (Rotterdam) und krft (Amsterdam) einen vielversprechenden Stadtbaustein haben entwerfen lassen. Das Projekt heißt "Patchwork".

Patchwork soll ein Gebäudeblock mit gut 19.000 Quadratmetern Nutzfläche werden, in der Hauptsache Wohnungen, aber im Sockel und entlang den umliegenden Straßen auch Geschäfts- und Büroflächen. Im Zentrum des Blocks entsteht ein Innenhof als lebendiges, halböffentliches Zentrum mit einem großen Fahrradparkhaus und einem Supermarkt. Auch kleine Geschäfte wie eine Bäckerei, ein Cafe oder Bistro, und ein Fitness-Center sollen entstehen. Ein System von breiten Freitreppen führt zu einem zentralen Dachgarten im Innenhof, der öffentlich zugänglich sein wird. Hinzu kommen fünf weitere Dachgärten, die nur den Mietern und Bewohnern des Blocks offen sein und teilweise untereinander verbunden sind. Ihre Namen verweisen auf die angedachten Programme: Yoga-Garten, Picknick-Garten, Sport-Garten, Meeting-Garten. Die Gärten sollen die Wohnqualität erhöhen, den sozialen Kontakt mit der neuen Nachbarschaft stärken, gegen Hitze und Starkregen helfen sowie trotz des Bauvolumens die Biodiversität unterstützen, auch mittels eingeplanten Nistplätzen und Bienenkörben.

Die Architektur setzt auf Unterschiedlichkeit. Die beiden Büros haben ihren Block in acht Teil-Volumen zerlegt, jeder setzt sich mit anderen Maßen, Fensterrastern und Fassadenmaterialien deutlich von den anderen ab. Zur Nordostecke hin stapeln sie drei solche Volumen wie Bauklötze übereinander zu einem 60 Meter hohen Turm. Hier wird einmal eine wichtige Straßenkreuzung des neuen Stadtteils liegen, wo die breite Fahrrad-Schnellstraße von Osten nach Westen in Richtung Stadtzentrum braust. Von den acht Bausteinen, aus denen Patchwork besteht, werden vier mit Backsteinen in verschiedenen Rot-Tönen verkleidet. Es sollen Steine des niederländischen Start-Ups von StoneCycling sein, die Backsteine aus Rest- und Abbruchmaterialien herstellen. Andere Fassadenbereiche werden mit Kerloc-Fliesen bekleidet, die hauptsächlich aus natürlichen Faserstoffen bestehen und vollständig rezyklierbar sind. Dazu kommen Solarpaneele auf den Dächern und an den Fassaden. Die Tragstruktur im Kern der Gebäude besteht aus einem Fundament und drei Erschließungskernen aus low-carbon concrete, der gesamte Rest wird als Holzskelett errichtet, Träger und Decken werden aus Brettsperrholz oder Massivholz bestehen. Das gesamte Gebäude gilt insofern als Holzbau. Laut Angaben der Architekten werden durch die Vielzahl an ökologischen Maßnahmen im Bau etwa 4.400 Tonnen an CO2-Emissionen vermieden. Durch die Menge an Holz und die Recyclingmaterialien an den Fassaden werden in Patchwork, wenn es fertiggestellt ist, bereits 344.000 Kilogramm CO2 gespeichert sein.

Man könnte also sagen, wenn Patchwork seine Versprechungen in der Realisierung tatsächlich einlöst, dann ist das in der Tat ein sehr guter Start für den
neuen, nachhaltigen Stadtteil von Amsterdam – ein kleines, aber progressives Manhattan für das 21. Jahrhundert.