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Sofia Souidi

Material neu gedacht

Der Schwerpunkt der Arbeit von Sofia Souidi liegt ganz klar auf einer der größten Herausforderungen unserer Zeit – es geht um Nachhaltigkeit. All ihre Projekte vereint ein experimenteller Ansatz, die Leidenschaft für Materialien und die Neugier auf neue Technologien. 2020 wurde sie für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design nominiert. Als Artist in Residence am Fraunhofer-Institut für Holzforschung arbeitet die Designerin im Moment an ihrem Projekt "Superwood".
11.06.2021

Die deutsche Produktdesignerin absolvierte ihr Studium am Royal College of Art in London und gründete anschließend ein Studio in Berlin-Kreuzberg. Sie befasst sich mit Materialforschung und Produktentwicklung für Objekte und Architektur. Als Industriedesignerin ist sie mit verschiedenen Fertigungsverfahren vertraut. Durch ihren Designhintergrund betrachtet sie standardisierte Prozesse und Systeme aus neuen Perspektiven, bringt neue Impulse ein und lotet die Grenzen des Machbaren aus. Souidis Gestaltung darf als klar und funktional definiert werden, dabei weisen ihre Projekte nichtsdestotrotz oftmals ein spezifisches Element auf, das eine Geschichte über die Entstehung erzählt.

Linda Pezzei: Frau Souidi, wie hat Sie das vergangene Jahr in Ihrer Arbeitsweise beeinflusst und welche (positiven) Erkenntnisse nehmen Sie für die Zukunft mit?

Sofia Souidi: Das vergangene Jahr hat mich in meiner Arbeit mit nachhaltigen Konzepten nur bestärkt. Ich bin dankbar für die große positive Resonanz für mein Projekt "Superwood" und es freut mich um so mehr, dass das Interesse so groß ist, wenn ich daran denke, dass es in der Forschung immer auch Durststrecken zu erdulden gibt und die Ergebnisse nicht immer ganz so schnell zur Verfügung stehen, wie gewünscht. Das motiviert mich also schon sehr für mein Tun. Für die Zukunft hoffe ich generell auf mehr Projekte mit dem Schwerpunkt auf der disziplinübergreifenden Materialforschung. Fast Furniture sollte auf Dauer eigentlich keine Zukunft haben, aber der Weg dahin ist noch weit. Auch wenn nachwachsende Rohstoffe jetzt positiver wahrgenommen werden und das Vertrauen der Konsumenten wächst, so bleibt doch die alles überschattende Kostenfrage sowie eine immense Unwissenheit bei den Verbrauchern bestehen.

2021 haben Sie den Award for Environment and New Energies der Stiftung Umwelt und Neue Energien gewonnen – wie kam es dazu?

Sofia Souidi: Mein Projekt wurde vom Fraunhofer Institut WKI vorgeschlagen und da es gut ins Konzept gepasst hat, wurde es letztlich – glücklicherweise – für den Award ausgewählt. Das bedeutet nicht nur eine wichtige finanzielle Förderung für mich, sondern ist auch eine schöne Bestätigung meiner Arbeit.

"Superwood" | Materialrecherche | Fraunhofer WKI

Sie arbeiten derzeit als Artist in Residence am Fraunhofer-Institut für Holzforschung am Projekt "Superwood". Worum geht es hierbei genau?

Sofia Souidi: "Superwood" ist ein neuer Faserplattenwerkstoff, der für die Möbelindustrie entwickelt wird. Er wird aus recycelten Holzfasern hergestellt, die mit Caseinleim vermischt in Platten gepresst werden. Caseinleim ersetzt die formaldehydbasierten Klebstoffe, die bei der Herstellung von herkömmlichen MDF-Platten verwendet werden und nachweislich kanzerogen wirken. Es ist ein schadstofffreier Leim (zudem wasserfest und temperaturbeständig), den schon die Ägypter zum Bootsbau verwendet haben. Das Material an sich wird aus Altholz (wie Nadeln und Astabfällen aus der Holzwirtschaft) hergestellt, um den hohen Rohstoffverbrauch zu minimieren und Ressourcen zu schonen. Das Casein gewinnen wir aus recycelter Kuh-Milch: da ist allein in Deutschland der jährliche "Abfall" wirklich erschreckend hoch. Außerdem haben sich 2020 auch die gesetzlichen Bestimmungen betreffend formaldehydhaltiger Klebstoffe geändert – der Bedarf an alternativen Materialien seitens der Hersteller und Industrie ist also enorm.

Warum sind nachhaltige Materialien gerade für Anwendungen wie den Ausstellungs- und Messebau so wichtig?

Sofia Souidi: Hier werden innerhalb kürzester Zeit riesige Mengen an Material verbaut – und anschließend wieder entsorgt. Dadurch entsteht natürlich jede Menge Müll. Oftmals kommt dazu eine schlechte Belüftung, sodass die Schadstoffbelastung vor Ort sehr groß sein kann. Noch bestimmen Optik und Preis den Markt, das Thema der Nachhaltigkeit ist da noch nachrangig. Gerade an Orten, wo viele Menschen in Innenräumen zusammenkommen – wie beispielsweise auch in Museen – wäre ein Umdenken aber sinnvoll. Zumal die Ausdünstungen jahrelang vorhalten und Grenzwerte nur für jedes Material an sich, nicht aber in deren Kombinationen und Potenzierung vorgegeben werden. Außerdem steigt der Möbelkonsum und damit die Menge an Holzverbrauch pro Person jährlich rapide an. Seit Jahren werden für die Herstellung von Billig-Möbeln unberührte Wälder abgeholzt. Massen an Sperrmüll müssen dadurch entsorgt oder weiter verwertet werden. Je weniger Schadstoff Holz enthält, desto besser kann es recycelt werden. Viele Möbel sind aber lackiert oder mit Formaldehyd verklebt. Sie enthalten Schadstoffe und können nicht recycelt werden. Ein ästhetisches Material zu entwickeln, das ohne Schadstoffe auskommt, aus recycelten Komponenten besteht und so gestaltet ist, dass es nicht lackiert oder beschichtet werden muss, ist daher erklärtes Ziel des Projekts "Superwood".

Wie genau schaffen Sie es, Wissenschaft, Kunst und Design auf einen Nenner zu bringen? Wer profitiert wie?

Sofia Souidi: Meiner Meinung nach ergänzen sich die verschiedenen Bereiche bestens: jeder hat seine Kompetenzen und andere Blickwinkel. Wissenschaftler forschen meist sehr detailliert und tiefgehend im Kleinen – als Designerin habe ich da eher die Makroprespektive. Ich überlege mir: Was ist die optimale Anwendung? Wie vermittle ich dem Konsumenten das Material? Wer soll angesprochen werden? Neben den Konsumenten nämlich auch die Industrie. Welches ist die optimale Anwendung? Und wie kann ich komplexe Zusammenhänge aufbereiten um sie für die Zielgruppe verständlich zu kommunizieren. Wissenschaftliche Erkenntnisse landen leider allzu oft in der Schublade, weil der passende Partner fehlt, der sich mit einer geeigneten Anwendung befasst.

Wo sehen Sie für die Zukunft in der Schnittstelle Design x Nachhaltigkeit das größte Potenzial?

Sofia Souidi: Die Kooperation von Fachleuten verschiedener Disziplinen zieht immer auch einen Perspektivenwechsel nach sich. Oftmals sind auch kleine Designentscheidungen (z.B. die Struktur einer Oberfläche) enorm wichtig – damit können Projekte stehen und fallen, weil gewisse Aspekte von mancher Seite einfach nicht bedacht werden (können). Die Vernetzung dient auch der beiderseitigen öffentlichen Sichtbarkeit, ganz zu schweigen von der Skalierbarkeit, die nur über die Industrie zu erreichen ist. Ich würde mir wünschen, dass Forschungsprojekte auch über einen längeren Zeitraum gefördert werden, da die Ergebnisfindung oftmals eine längere Reise mit sich bringt. Die Finanzierbarkeit innovativer Projekte hängt aber an den Förderungen. Gerade an den Universitäten sehe ich ein riesiges Potenzial für langfristig ausgelegte Kooperationen zwischen Forschung, Lehre und Industrie.

Und was würden Sie am liebsten als Nächstes realisieren?

Sofia Souidi: Ich finde den Rohstoff Alge äußerst spannend. Der wächst unglaublich schnell nach und bindet große Mengen an CO2. Erste Versuche zur Pigmentbildung habe ich schon unternommen – das ist aber erst der Beginn einer langen Reise.