JUNGE TALENTE
Zwischen Kunst und Architektur
Alexander Russ: The Baukunst Dynamites ist ein ziemlich ungewöhnlicher Name für ein Architekturbüro. Was bedeutet er?
Sarah Behrens: Wir haben beide an der Kunstakademie in Stuttgart studiert und uns direkt danach selbständig gemacht. Damit ist ja immer die Frage nach einem Namen verknüpft. The Baukunst Dynamites fanden wir deshalb passend, weil wir uns als Architekturlabel verstehen, das in einem Netzwerk agiert und sich frei entwickeln soll. Der Name klang für uns nach einem Sportteam oder einer Popband, was diesen Teamgedanken transportiert.
Wie ist das Büro strukturiert?
Ina Westheiden: The Baukunst Dynamites ist so etwas wie unsere Basis, mit der wir unterschiedliche Kooperationen eingehen. Je nach Bedarf und Aufgabe holen wir Unterstützung in Form von FreelancerInnen, PraktikantInnen oder WerkstudentInnen dazu – zum Beispiel bei Wettbewerben. Unser Studio befindet sich in den Wagenhallen am Stuttgarter Nordbahnhof. Das ist ein künstlerisches Umfeld mit Ateliers und Werkstätten. Dort fühlen wir uns wohl, weil wir auch sehr konzeptionell arbeiten.
Der Teamgedanke und das Arbeiten im Kollektiv als Gegenmodell zum Stararchitekten sind seit einigen Jahren ziemlich populär bei jungen Büros. Welche Rolle spielt das bei The Baukunst Dynamites?
Ina Westheiden: Planen und Bauen ist so herausfordernd, dass es sich nur durch gute Teamarbeit umsetzen lässt, gerade als junges Architekturlabel. Schon unser erstes Projekt "Doppelgänger reloaded" in Stuttgart haben wir ursprünglich als Gruppe von fünf AbsolventInnen begonnen. Dort ging es um die Erweiterung und Sanierung des Hölzel-Hauses, das ehemalige Wohnhaus des Malers Adolf Hölzel, in dem heute eine Kunststiftung ihren Sitz hat.
Können Sie uns mehr über das Hölzel-Haus und seine Entwicklungsgeschichte erzählen?
Sarah Behrens: Es ging darum, eine Villa im Süden von Stuttgart um Räumlichkeiten für eine Kunstschule zu erweitern. Außerdem sollte das Gebäude saniert und barrierefrei ausgebaut werden. Die Stiftung veranstaltet hier Lesungen, Vorträge, Ausstellungen und Führungen, die an das künstlerische Erbe von Adolf Hölzel erinnern sollen. Es gibt dort Archiv- und Verwaltungsräume im Erdgeschoss und eine Wohnung für Stipendiaten im Dachgeschoss. Im ersten Geschoss sind dann die Ausstellungsräume untergebracht. Die Erweiterung des Gebäudes wurde ursprünglich von der Stiftung als AbsolventInnen-Wettbewerb an der Kunstakademie Stuttgart ausgerufen. In diesem Rahmen hat sich unser fünfköpfiges Team zusammengefunden. Wir kannten uns alle vom Studium und hatten das Gefühl, dass wir das Projekt gut zusammen umsetzen könnten. Der Wettbewerb hat dann aber gar nicht stattgefunden, weil wir fünf lieber zusammen als gegeneinander arbeiten wollten und am Ende haben Ina Westheiden und ich das Ganze bis zum Schluss durchgezogen. Parallel dazu haben wir The Baukunst Dynamites gegründet.
Ina Westheiden: Am Anfang gab es eine Machbarkeitsstudie, bei der es darum ging herauszufinden, was baurechtlich überhaupt möglich ist. Wir hatten zu Beginn verschiedene Ansätze, die wir mit der Stiftung diskutiert haben. Dabei kristallisierte sich heraus, dass es der Bauherr wirklich ernst meint und mit uns zusammenarbeiten möchte. Weil das Ganze eine Kunststiftung ist, gab es ein großes Verständnis für ungewöhnliche Konzepte. Das Ergebnis war der "Doppelgänger reloaded" – ein Doppelgänger des Bestandsbaus –, der sich in L-Form um das Hölzel-Haus legt.
Das Projekt ist tatsächlich sehr ungewöhnlich. Können Sie das architektonische Konzept genauer erläutern?
Sarah Behrens: Wir haben eine exakte Kopie des Bestandsgebäudes erstellt – und zwar genau so, wie wir es vorgefunden haben. Es gibt dort nämlich Elemente, die nicht aus der Originalzeit stammen, weil die Villa immer mal wieder saniert wurde. Nach dem Prinzip Copy and Paste haben wir den Baukörper als Gebäudesegment dupliziert und an passender Stelle wieder eingesetzt. Aus der Verschneidung und den erlaubten Abstandsflächen ist so ein Anbau entstanden, den wir in Holzrahmenbauweise neben dem Original platziert haben. Er sitzt zudem ein Geschoss tiefer, um einen neuen barrierefreien Zugang vom Garten aus zu ermöglichen. Im Innern umfasst er einen zweigeschossigen Luftraum, in dem die Bestandsarchitektur, – also die Fassade und das Dach der Villa–, auf den Anbau trifft. Durch die Überlagerung von Alt und Neu wird aus dem profanen Gebäude plötzlich etwas Besonderes. Wir wollten den Bestand also einerseits respektieren, ihn gleichzeitig aber auch aufwerten.
Ina Westheiden: Um den Unterschied zwischen Alt und Neu ablesbar zu machen, haben wir den Anbau in entfärbten Tönen gehalten. Das sind beim Dach zum Beispiel handgestrichene Betonziegel anstatt der rötlichen Biberschwanzziegel der Villa. Im Innern ist es genauso: Dort treffen etwa die beige-braunen Terrazzofliesen des Bestands auf die schwarz-weißen Terrazzofliesen des Anbaus. Außerdem haben wir lisenenartige Vorsprünge auf den Wand- und Dachflächen angebracht, die als spielerischer Hinweis auf die Raumstruktur des Altbaus gedacht sind. Der Stiftung war in diesem Zusammenhang sehr wichtig, dass wir das Gebäude zwar ertüchtigen, es aber nicht kaputt sanieren. Die zeitlichen Schichten sollten ablesbar bleiben.
Ähnlich konzeptionell ging es auch bei Ihrem Projekt Wohnen mit Morris zu, bei dem Sie eine kleine Wohnung in Stuttgart saniert haben.
Ina Westheiden: Dort hatten wir glücklicherweise auch einen experimentierfreudigen Bauherrn, der sehr offen gegenüber unseren Vorschlägen war. Wir wollten gemeinsam mit unseren Projektpartnern so etwas wie einen Gegenentwurf zur üblichen Funktionstrennung umsetzen. Deshalb haben wir den Bestand in eine 36 Quadratmeter große Einraumwohnung verwandelt. Davor war das ein konventioneller Grundriss, der aus kleinen Räumen bestand. Die einzelnen Funktionen wie Arbeiten, Wohnen, Kochen, Essen und Schlafen können nun flexibel angeordnet werden, wobei das Mobiliar in einer Raumschicht entlang der Wände platziert ist. Außerdem gibt es ein frei im Raum platziertes Küchen- und Badelement, das man durch Stoffvorhänge hinzufügen oder abtrennen kann.
Sarah Behrens: Die Vorhänge dienen auch als Namensgeber für die Wohnung, weil wir dort unter anderem den vom britischen Arts and Crafts-Künstler William Morris entworfenen Stoff Willow Bough verwendet haben. Mit dieser Mischung aus opaken und transluzenten Vorhängen sind ganz unterschiedliche Raumkonfigurationen möglich. Außerdem wirkt die Wohnung dadurch wesentlich größer, als sie ist. Dazu trägt auch die Wohnungsdecke bei, die mit einem glänzenden, leicht spiegelnden Anstrich versehen ist. Die Haustechnik ist sichtbar belassen, um so eine größtmögliche Flexibilität zu gewährleisten. Das alte Fischgrätparkett und die Terrazzofliesen des Bestands haben wir erhalten. Zusammen mit den weißen Möbeln bilden sie einen spannenden Kontrast zu den ornamentalen und farbenfrohen Vorhängen. Hinzu kommt die ebenfalls von William Morris entworfene Tapete Bird & Pomegranate, mit der wir bestimmte Bereiche wie etwa die Wohnungstür verkleidet haben.
Sie haben auch mit dem Verein Freunde der Weissenhof Siedlung e.V. zusammengearbeitet und zwei Installationen für die Weissenhofsiedlung entworfen.
Sarah Behrens: Das erste Projekt war eine Installation zum fünfjährigen Jubiläum des UNESCO-Weltkulturerbes Le Corbusier in Stuttgart. Dort haben wir einen silbernen Vorhang an der Fassade des Weissenhofmuseums angebracht und das Gebäude in eine große Glückwunschkarte verwandelt. Die Idee dahinter war, eine spielerische Irritation zu erzeugen, die neugierig auf den Bau von Le Corbusier und seine Geschichte macht. Die zweite Installation haben wir im Rahmen des IBA 27-Festivals konzipiert. Das Ganze war ein Turmgerüst, das mit einem blauen Netz verkleidet war. Außerdem wurden dort große rote Buchstaben angebracht, mit denen wir die drei Fragen "Was bleibt? Was geht? Was kommt?" formuliert haben. Es sollte so auf den Einfluss der Stuttgarter Architekturmoderne und anstehende bauliche Entwicklungen am Weissenhof aufmerksam machen. Das Turmgerüst war nahe der Weissenhofsiedlung im Hang positioniert und deshalb gut von der Innenstadt aus sichtbar.
Wie kam der Kontakt mit dem Verein zustande?
Ina Westheiden: Nach dem Studium habe ich im Weissenhofmuseum gearbeitet und dort den Verein kennengelernt. Damals war natürlich noch nicht klar, dass wir für die Freunde der Weissenhofsiedlung irgendwann mal was machen würden. Erst ein paar Jahre später haben wir uns bei der Museumsleiterin gemeldet und uns in Erinnerung gerufen. Sie hatte damals die Idee einer Installation für das UNESCO Welterbe auf dem Tisch liegen und so ergab sich die erste Zusammenarbeit.
An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Sarah Behrens: Im Moment entwerfen wir ein Ferienhaus für eine junge Familie im Donautal. Dort verfolgen wir auch einen sehr konzeptionellen Ansatz. Die Familie hat eine Affinität zu japanischer Architektur, was wir vermutlich aufgreifen werden. Momentan ist das alles noch ein bisschen vage, aber wir tasten uns Stück für Stück an die Aufgabe heran. Auf alle Fälle planen wir einen sternförmigen Grundriss, der sich nach vorne zum Garten hin öffnet und zur Straßenseite schließt. Voraussichtlich werden Zitate von traditionellen Elementen japanischer Architektur eine Rolle spielen. Mehr können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten. Wir unterstützen aber auch andere Büros bei ihren laufenden Projekten, zum Beispiel in der Bauleitung oder mit Visualisierungen. Da kommen dann wieder der Teamgedanke und die Arbeit im Netzwerk ins Spiel. Und manchmal muss man auch Schwarzbrot backen, um so die konzeptionellen Projekte zu finanzieren.