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Die Würfel sind gefallen

Das von Zone of Utopia Architecture und Mathieu Forest Architecte entworfene Xinxiang Cultural Tourism Center dient als architektonische Landmarke in einem Wintersportzentrum und erinnert dabei an gestapelte Eiswürfel.
von Alexander Russ | 01.08.2022

Architektur als Tourismusmagnet – das kennt man seit Frank Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao. Der dadurch ausgelöste Bilbao-Effekt, der als architektonischer Zaubertrick städtisches Ödland in blühende Landschaften verwandeln soll, wurde seitdem fleißig kopiert – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. In China scheint man noch an die Wirkkraft bildgewaltiger Bauwerke zu glauben, wie das Xinxiang Cultural Tourism Center beweist. Dort haben Zone of Utopia Architecture zusammen mit Mathieu Forest Architecte eine architektonische Skulptur entworfen, die passend zu ihrer Lage in einem Wintersportzentrum an gestapelte Eiswürfel erinnert.

Insgesamt neun Eiswürfel stapelten die ArchitektInnen in- und übereinander, die versetzt zueinander angeordnet ein scheinbar fragiles Gebilde ergeben. Daraus resultieren vielschichtige Ansichten, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln immer wieder verändern und neue Perspektiven erzeugen. Das changierende Erscheinungsbild von Eis wird dabei in der bedruckten Glasfassade aufgegriffen: Deren Textur erinnert an Eiskristalle, die das Licht filtern und für wechselnde Ein- und Ausblicke sorgen. Durch das Wetter sowie die Tages- und Jahreszeiten verändert sich das Erscheinungsbild der Architektur, die bei Sonnenschein strahlend weiß und bei bewölktem Wetter dunstig und matt wirkt. Hinzu kommen Reflektionen und Spiegelungen, die auf der Fassade ein Wechselspiel aus Sonne und Wolken erzeugen.

Jeder der neun Kuben ist dabei 17 Meter hoch. Die Geschossigkeit ist nicht ablesbar, was neben den monumentalen Dimensionen und der Fassadentextur für eine zusätzliche Abstraktion des Baus sorgt. Hinzu kommen mehrere Auskragungen, wodurch die einzelnen Kuben im wahrsten Sinne des Wortes wie in den Ort hineingewürfelt wirken. Die größte Auskragung weist dabei der transparent gehaltene Kubus ganz oben auf, der als spektakuläre Landmarke in die Stadt hineinwirkt. Dort ist eine "Sky Lounge" untergebracht, die einen freien Ausblick auf das chinesische Umland ermöglicht. Im Erdgeschoss sorgen die verschachtelten Geometrien für eine Markierung des Eingangsbereichs, der sich aus der freien Anordnung der Kuben ergibt. Bei Nacht wird das verglaste Ensemble dann zu einem Leuchtturm, der ebenfalls das Thema der visuellen Transformation in sich trägt, indem er mit unterschiedlich farbigem Licht bespielt werden kann.

Konstruktiv handelt es sich beim Xinxiang Cultural Tourism Center um einen Stahlbau, der mit einer thermischen Hülle aus Glas versehen wurde. Dieser ist umgeben von einem künstlichen See, auf dem das Gebäude zu schweben scheint. Das versinnbildlicht einerseits die verschiedenen Aggregatszustände von Wasser, könnte gleichzeitig aber auch als unfreiwilliger Kommentar auf die Sinnhaftigkeit verglaster Monumentalarchitektur gelesen werden. Inwieweit gläserne Kisten ökologisch heutzutage noch zu verantworten sind, sei dahingestellt – und so scheint das Gebäude aus Sicht einer nachhaltigen Architektur ebenso im Schmelzen begriffen zu sein wie die Gletscher in der Antarktis.