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Carlotta de Bevilacqua

Das Entwerfen von Licht

Carlotta de Bevilacqua ist Architektin, Designerin, Professorin sowie Präsidentin und CEO von Artemide und Danese Milano. Wir haben sie vor kurzem zum Interview getroffen und mit ihr über die aktuellen Kollektionen und ihre Vision für Artemide gesprochen.
11.04.2024

Anna Moldenhauer: Was ist Ihnen wichtig, mit den neuen Kollektionen zu vermitteln?

Carlotta de Bevilacqua: Die Aktualisierung der Artemide-Kollektionen ist eine Synthese aus unseren Werten, unserer Forschung und eine Antwort auf die Herausforderungen, die wir weltweit wahrgenommen haben. Artemide hat das Licht immer als Grundlage unseres Lebens betrachtet und setzt es durch die Designkultur der besten ArchitektInnen für unsere Räume um. Sie sind in der Lage, die Welt zu gestalten. Die Qualität des Lichts ist wesentlich für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Außerdem ist Artemide ein kreislauforientiertes Unternehmen, der Kreislauf bestimmt jeden Schritt unserer Prozesse.

Die Bandbreite der Arbeiten ist sehr groß: "Wish you were here" zum Beispiel ist ein Werk meiner Tochter Carolina Gismondi de Bevilacqua, die Architektin ist. Die Leuchte ist eine Hommage an ihren Vater, Ernesto Gismondi. "Criosfera" wurde von der Architektin und Forscherin Giulia Foscari entworfen, eine zylindrische Leuchte mit einer patentierten Optik und einer äußeren Glasschicht, die in Venedig mundgeblasen wird. Die Form ist inspiriert von den Eiskernen, die in der Antarktis zu Forschungszwecken entnommen werden. Sie ist eine Metapher für das Verständnis der Welt und des Klimawandels. Und es geht auch darum, das Handwerk der Glasbläserei zu bewahren. Die Partnerschaft und Freundschaft mit Fosters and Partners wird ebenfalls fortgesetzt, die Kollektion "IXA" und die neue "Vea" schaffen in jeder Position ein Gleichgewicht, einen Dialog. Im Mittelpunkt aller Arbeiten steht die Bedeutung des Lichts, die Kollektionen sind universell und langlebig.

Was sollte das Leuchtendesign bieten, um mehr zu sein als eine Hülle für das Licht?

Carlotta de Bevilacqua: Das Ziel sollte immer sein, etwas zu entwerfen, das es noch nicht gibt. Es geht darum, die Qualität des Lichts zu verbessern und auch die Emotionen zu berücksichtigen, die es auslöst, sowie die Energie und das Material, die es benötigt. Ziel ist es, das beste Licht auf wissenschaftlicher Basis zu liefern, effizient, kontrolliert, flexibel. "Somnium" zum Beispiel bietet eine sorgfältig berechnete Lichtzelle: Die Linse, die das Licht einfängt und lenkt, kombiniert mit einem blendfreien Schirm, der transparent ist, aber einen perfekten Komfort gewährleistet. So ist das Raster nicht mehr nur ein Accessoire, sondern ein integraler Bestandteil der Struktur. Die Synthese der optischen Technologie erzeugt ein weiches, kontrolliertes Licht. Dank der Kombination der Elemente können auch die Materialvielfalt, das Gewicht und die notwendigen Produktionsschritte reduziert werden. Die Form der Leuchte ist das Ergebnis der Wissenschaft des Lichts.

"Criosfera"

Sie kombinieren Humanismus und Wissenschaft und haben hier wegbereitende Arbeit geleistet – gibt es ein Potenzial der Beleuchtung, das oft übersehen wird?

Carlotta de Bevilacqua: Licht hat viele Eigenschaften, die unsere Gesundheit, unsere Produktivität und unser Wohlbefinden beeinflussen. Deshalb sind die Entwürfe führender ArchitektInnen für Artemide eine Form der Interaktion. Außerdem entwerfen, produzieren und vertreiben wir unsere Produkte mit einem klaren Bekenntnis zur Langlebigkeit. Um dies zu erreichen, analysieren wir jeden Prozess.

Artemide arbeitet mit großen Architekturbüros wie BIG, AMDL Circle oder Foster + Partners zusammen – warum ist die Zusammenarbeit mit ArchitektInnen für Sie wichtig?

Carlotta de Bevilacqua: Von Anfang an hat Ernesto Gismondi ArchitektInnen gebeten, die Artemide-Kollektion zu entwickeln, denn sie entwerfen den zukünftigen Lebens- und Arbeitsraum, sie nutzen das Licht als Baumaterial für die Räume und können neue Bedürfnisse des Lichts vorschlagen, nicht nur neue Formen für Leuchten. Wir versuchen immer, mit internationalen ArchitektInnen zusammenzuarbeiten, die aus verschiedenen Breiten- und Längengraden kommen, um all die verschiedenen Kulturen des Lichts zu interpretieren.

"Boltons"
"Lune d'acqua"
"Alambicco"
"Dreispitz"

Artemide verfolgt einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsplan – was wollen Sie bis 2030 erreichen?

Carlotta de Bevilacqua: Artemide hat ein starkes, aufrichtiges Nachhaltigkeitsprogramm und wir arbeiten daran, das 2030-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen. Dies ist das Hauptziel, parallel zu vielen verschiedenen Verbesserungen für unser Unternehmen und unsere Produkte, die Nachhaltigkeit an allen Orten, die wir beleuchten, bringen können.

Artemide ist nach ISO 9001, ISO 14001 und ISO 45001 zertifiziert, 2019 ist das Unternehmen dem Global Compact der Vereinten Nationen beigetreten, in dem es sich zur Umsetzung der 9 SDGs verpflichtet, und seit 2018 legt es mit dem zertifizierten Nachhaltigkeitsbericht transparent Rechenschaft über seinen Weg ab. Artemide entwirft langlebige Produkte mit Blick auf Qualität und Ästhetik, die nicht nur aufgrund ihres geringen Verbrauchs nachhaltig sind, sondern auch, weil sie neu interpretiert und für eine lange Lebensdauer konzipiert werden können, mit geringen Umweltauswirkungen während des gesamten Lebenszyklus. Alle Parameter wie Energieverbrauch, Abfall et cetera der Produktion von Artemide werden gemessen, veröffentlicht und im jährlichen Nachhaltigkeitsbericht zertifiziert. Aus diesem Grund verwendet Artemide die neueste Generation von LED-Quellen, entwirft spezielle Optiken, wählt Formen und Materialien, die die Lichtausbeute maximieren sowie ermöglicht ein intelligentes Management, was eine positive Energiebilanz begünstigt. Bei einem Beleuchtungsprodukt kann die Nutzungsphase bis zu 90 Prozent der Auswirkungen des gesamten Lebenszyklus ausmachen, weshalb die Entwicklung effizienter Produkte unerlässlich ist.

Was braucht die Beleuchtungsindustrie derzeit am dringendsten?

Carlotta de Bevilacqua: Heute ist es von entscheidender Bedeutung, eine Vision zu bekräftigen, die neuen technologischen und kulturellen Grenzen zu verstehen, über die Bedürfnisse einer globalen Welt nachzudenken, die neu interpretiert und respektiert werden muss, um flexible, qualitative und zugängliche Antworten anzubieten.

Sie haben Architektur studiert und unterrichten seit vielen Jahren, zum Beispiel am Politecnico di Milano, wo Sie selbst auch Ihren Abschluss gemacht haben. Wie hat das Ihre Sichtweise von Lichtdesign beeinflusst?

Carlotta de Bevilacqua: Meine Beziehung zum Licht hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Ich begann meine Karriere als Architektin und arbeitete daher mit Licht als Material für die Konstruktion von Räumen. Dann führte die Begegnung mit Ernesto Gismondi dazu, dass ich mich mit dem Licht in allen Aspekten seines Projekts beschäftigt habe. Das Entwerfen von Licht verwandelte sich dann in den folgenden Jahren in ein Geschäft, dank der Lehre und der täglichen Erfahrung mit Ernesto Gismondi, dem Gründer von Artemide und lebenslangem Begleiter. Es war eine natürliche Entwicklung. In meinem Berufsleben habe ich es immer als meine Aufgabe angesehen, bessere Qualitäten und Alternativen anzubieten, als das was bereits existiert. Ich habe versucht, sowohl als Architektin wie Designerin durch die Gestaltung von Räumen und Licht, als auch als Unternehmerin durch Vision und Innovation nützliche und schöne Produkte, Werkzeuge und Lösungen zu entwickeln, um die Gegenwart mitzuformen und zur Zukunft beizutragen. Die Lehre ist Teil dieser Bemühungen.

Ihre Studien zu Beleuchtung und LEDs wurden mit zahlreichen Preisen und Patenten ausgezeichnet. Woran forschen Sie derzeit?

Carlotta de Bevilacqua: Mit der Einführung von LEDs und der Elektronik hat die Beleuchtung eine große Entwicklung erfahren, die immer mehr zur Wissenschaft, zur parametrischen Messung und zur Interaktion führt. Ich erforsche all die verschiedenen Perspektiven, die Licht heute bieten kann, die "richtige Wellenlänge", um mit unserem physiologischen Wohlbefinden und unserer Gesundheit zu interagieren, die "Quanten", um zu kommunizieren und die Energie zu verwalten. Eine der neuesten Innovationen ist die Integralis-Technologie.

Wie kann ich mir den damaligen Dialog zwischen Ihnen und Ihrem Mann Ernesto Gismondi, dem Gründer von Artemide, vorstellen? Hatte jeder von Ihnen seine eigenen Projekte oder arbeiteten Sie Seite an Seite?

Carlotta de Bevilacqua: Wie "Discovery Dialogue"! Wir hatten unterschiedliche Ansätze, Interessen und Standpunkte, aber mit großem Respekt fanden wir immer einen Dialog und teilten Ideen.

In welche Richtung möchten Sie Artemide in den nächsten Jahren entwickeln?

Carlotta de Bevilacqua: Artemide führt das Erbe von Ernesto Gismondi fort und verbindet Kreativität und Maß, Wissen und Know-how. Wir investieren in die Forschung und hören der Welt zu, um Werte zu verbreiten und die Zukunft in der Gegenwart zu gestalten.

Was planen Sie für die Mailänder Designwoche?

Carlotta de Bevilacqua: Eine Menge Kooperationen. Neben der Präsentation im Ausstellungsraum werden wir verschiedene Installationen in der Stadt zeigen. Das Design begann in Mailand, die Stadt ist der Ausgangspunkt. Wir sind selbst Mailänder, und für uns ist der Salone immer ein großes Zusammenspiel aller Kräfte.

Artemide @ Milan Design Week
Corso Monforte 19, 20122 Milan

Öffnungszeiten:

10 bis 19 Uhr