„Herausforderung Demokratie“ ist ein Abenteuer, visuell nicht weniger als in den Texten und Zitaten, die der Sache selbst nachforschen. Gemeinsam herausgegeben von der Schweizer Organisation „NCCR Democracy“ (die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die wichtigsten Herausforderungen für die Demokratie im 21. Jahrhundert zu untersuchen), Hanspeter Kriesi und Lars Müller, ist in Text und Bild ein flirrendes Kaleidoskop demokratischer Errungenschaften, Prozesse und offener Fragen entstanden. Schließlich wird seit der Antike darüber diskutiert, ob die Demokratie die beste aller Staatsformen sei und durch welche Merkmale sich eine gute, gelingende demokratische Ordnung auszeichne. Auch wenn es sicher keine „perfekte“ Demokratie gibt, so ist es doch ungemein spannend und für jeden Staatsbürger gewinnbringend, sich damit zu beschäftigen, wie sich demokratisch regierte Staaten der schwierig zu haltenden Balance zwischen Gleichheit und Freiheit, Mehrheit und Minderheit, einer geordneten Gemeinschaft und einem lebendigen Meinungspluralismus stellen.
„Unter Demokratie verstehe ich, dass sie dem Schwächsten die gleichen Chancen einräumt wie dem Stärksten“ – dieser Satz von Mahatma Gandhi steht in großen, kursiven Lettern auf Seite 63. Blättert man um, so blickt man auf eine Fotografie, die Gandhi 1944 in Bombay zusammen mit Jawarhalal Nehru zeigt, der 1947 zum ersten Ministerpräsidenten des unabhängigen Indien gewählt wurde. Beide lachen. Auch das Bild ist ein Argument. Es scheint uns sagen zu wollen: Demokratie zu fordern und trotz erheblichem Gegenwind den Weg zu beschreiten, der zu ihr führt, ist nicht nur eine Bürde, es macht auch Spaß.
Wohin man in dem Band auch schaut, man trifft auf Hoffnungen und man erkennt Rückschläge, man empfindet Trauer über gescheiterte Kämpfe um die Freiheit und erkennt Zeichen wachsender Gleichheit und gelebter Brüderlichkeit. Und stets sind die Bilder nicht einfach aneinandergereiht, sondern öffnen ein Fenster auf die lebendige Geschichte eines demokratischen Miteinanders. Ganz gleich, ob sie Szenen vom Prager Frühling oder vom Aufstand in Ägypten, ob sie Politiker wie Putin oder Sarkozy, Parlamentssäle oder Wahlkampfarenen zeigen. Ob sie die Spielregeln der Mediendemokratie in Gestalt von Politikern darstellen, die von Kameras und Mikrophonen umzingelt sind, oder ob sie Protestierende und Richter, Checkpoints und Jugendorchester zeigen.
Ob die Demokratie noch zeitgemäß ist? Wer den Band durchgesehen und zumindest einige der informativen Texte von André Bächtiger, Thomas Bernauer, Daniel Bochsler, Florin Büchel, Francis Cheneval, Colin Crouch, Frank Esser, Flavia Fossati, Regula Hänggli, Jürg Helbling, Erik Jentges, Hanspeter Kriesi, Daniel Kübler, Andreas Ladner, Sandra Lavenex, Wolfgang Merkel, Frank Schimmelfennig, Marco Steenbergen und Manuel Vogt gelesen hat, der wird mit einer klaren Antwort nicht zögern. Schnell wird klar: Ein solch umfassendes Kompendium zur Geschichte und Entwicklung der Demokratie sollte auch im Unterricht nicht fehlen. Es ist kein Lehrbuch, aber ein Buch, aus dem sich vieles über die Macht lernen lässt, die vom Volk ausgeht. Denn, so Franklin D. Roosevelt, „Demokratie kann nicht funktionieren, solange die Wählenden nicht darauf vorbereitet sind, weise zu wählen. Der wahre Schutz der Demokratie ist daher Bildung.“ Oder, wie es Max Frisch auf der allerletzten Seite, der Seite 525, sagt: „Demokratie heißt, sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen.“
Herausforderung Demokratie
Hrsg. v. NCCR Democracy, Hanspeter Kriesi, Lars Müller
Hardcover, 528 S., 340 Abb.,
Lars Müller Publishers, Zürich
45 Euro
www.lars-mueller-publishers.com
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