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Zuhause ankommen: Das Concept Car Renault „Symbioz“ ist als mobiler Hausgenosse konzipiert. Einrichtungsdetails aus dem Interieur setzen sich im Wohnraum fort.

IAA 2017
Wohnen und Fahren

Auf Automobilmessen und nur dort sind Studien zu sehen, die niemals in Serie gehen. Wenn schon träumen, dann richtig, lautet die Devise bei Renault, wo zum Concept Car "Symbioz" gleich noch ein Haus als Schaukasten gehört.
von Thomas Edelmann | 15.09.2017

Hübsche Autos vor schönen Häusern fotografieren – das ist leicht. Dank aktueller Digitaltechniken müssen Location und mobiler Gegenstand nicht einmal mehr in der traditionellen Welt der Atome und Moleküle zusammenkommen. Es reicht, sie in der Sphäre der Pixel, Bits und Megabytes verschmelzen zu lassen. Anders am Beginn der Moderne: So fuhr Daimler 1928 tatsächlich sein Mercedes-Cabrio Typ 8/38 PS in die noch frische Weißenhof-Siedlung und inszenierte das Auto mit einer jungen Stuttgarterin als emanzipierte Fahrerin (die in Wirklichkeit niemals den Führerschein besaß) vor den Bauten von Mies van der Rohe und Le Corbusier. Letzterer liebte es, in seinen Schriften fortschrittlich gestaltete Autos zu zeigen, um sie als Vorbild einer, wie er meinte, rückständigen Architektur zu empfehlen. In Aufnahmen seiner Bauten mit den Autos von damals wirken diese Vehikel heute eigentümlich rückständig. Die Formensprache der Architektur jener Zeit erscheint uns dagegen geläufig, ja zeitgemäß. Veralten ikonische Häuser langsamer als ausdrucksstarke Autos?

Fragt man den Chefdesigner von Renault, Laurens van den Acker, nach dem heutigen Verhältnis von Haus und Auto und danach, wer die Nase vorn habe, dann verweist er nicht etwa auf einen ästhetischen, wohl aber auf einen technologischen Vorsprung gegenwärtiger Autos. Welches Haus öffnet und schließt sich schon, nur weil man ihm mit dem Schlüssel in der Tasche näher kommt oder sich entfernt, fragt van den Acker rhetorisch. Moderne Autos können das, Häuser eher nicht. Wie aber steht es tatsächlich um das Verhältnis von Haus und Auto? Gibt es eines?

Optimistischer Blick

Die Straße ist längst nicht mehr ein Weg für viele, sondern einer, auf dem sich alle dem Auto unterordnen. Könnte das anders werden? Nicht „wie früher“, sondern besser, origineller, anregender? Eine Automobilausstellung ist im Grunde kein Umfeld, um solche Fragen aufzuwerfen oder sie gar ernsthaft zu diskutieren. Und doch hat genau dies Renault getan. Wie bei spannenden Projekten üblich, sind die Zutaten längst vertraut, die Mischung aber, das Resultat, ist originell.

Das Setting haben die Gestalter im Jahr 2030 angesiedelt und es kreist um ein Concept Car, das elektrisch angetrieben und autonom fährt. Es könnte seine Daten mit einem Wohnhaus teilen, ebenso könnte die Batterie des Autos als kurzfristiger Stromspeicher für das Haus dienen, doch geht da nicht noch mehr?

Bei den Recherchen stieß das Team junger Designer und Architekten von Renault und dem französischen Büro Marchi Architectes auf bekannte Vorbilder, neben dem genannten Le Corbusier, Richard Buckminster Fuller und dessen Dymaxion Car und Dymaxion Dwelling Machine. Auch die spekulativen Zeichnungen Frank Lloyd Wrights oder Bilder der offenen Wohnstrukturen, wie sie Pierre Koenig bei den Case Study Houses in Kalifornien realisierte, mit unmittelbar zugänglichen offenen Autoabstellplätzen, sahen sich die Gestalter noch einmal an.

Aus Städten wie Miami, Singapur, selbst aus Berlin ist bekannt, dass Immobilienprojekte für Enthusiasten entstanden sind, die dem Automobil einen eigenen Raum im Apartment- oder Wohnhochhaus zuweisen. Meist sind es Supersportwagen, die zwar durch eine Scheibe nett anzusehen sind, aber wegen ihrer Öl- und Benzin-Vorräte sorgsam vom Wohnbereich abgeschirmt werden müssen. Nicht das war es, was das Renault Designteam interessierte. Statt des Individualismus im Hochhaus wandten sich die Gestalter dem Hideout zu, einem Wochenendhaus, ähnlich denen, die Marchi Architectes bereits entworfen und realisiert hat. Neben all den Weiter-so-Studien, die auf der diesjährigen IAA gezeigt werden, neben den Wir-biegen-noch-eine-Kante-ins-Blech-Serienautos ist der Renault Symbioz tatsächlich ein höchst originelles Statement. Man kann es in Beziehung setzen zur Designgeschichte von Renault, wie auch zu den technik-verliebten Show Cars aus dem Amerika der 1950er und 1960er Jahre. Etwa den „Firebird“-Studien, die Harley Earl für GM entwickelte. Das langgestreckte, flache Gefährt mit seinen vorn drehbaren Sesseln ist dennoch ein Entwurf aus der Jetztzeit. So sind die Gurtschlösser ausgearbeitet wie eine Smart Watch und dienen nicht nur der Sicherheit, sondern auch der sitzplatzbezogenen Temperaturregelung.

Das Haus als Bühne: Skizze der Architekten zur Präsentation auf der IAA.

Was die Gestaltung betrifft, verfolgte Renault in den letzten Jahren eine evolutionäre Strategie. Auf den intellektuellen Erfinder Patrick le Quément (Jahrgang 1945), der als Chefdesigner von 1987 bis 2009 das Unternehmen prägte und jeder Studie und jedem Serienfahrzeug einen äußerst spezifischen Renault-Esprit verlieh, folgte Laurens van den Acker (Jahrgang 1965). Der Niederländer achtete mit großem Erfolg auf den Zusammenhalt der wachsenden Zahl von Modellreihen. Zugleich sollte Emotionalität eine große Rolle spielen, ohne dass etwa der Frontgrill oder die Leuchten derart überzeichnet wurden, dass sie – wie bei manchem Konkurrenten – Karikaturen oder Manga-Comics gleichen. Selbst voluminösere Modelle von Renault haben eine harmonische Erscheinung und sind vergleichsweise wenig aggressiv gestaltet.

Dilemma und erträumte Auswege

Dennoch – und das ist ein Gestaltungsproblem auf gänzlich anderer Ebene – bildet Renault, was die Überschreitung von Abgaswerten bei Fahrtests unter realitätsnahen Bedingen auf der Straße angeht, keine Ausnahme. Mit einigen Modellen erreicht das Unternehmen sogar negative Spitzmarken beim Überschreiten der Grenzwerte. All dies ist kein Grund, das Renault Designteam davon abzuhalten, über die nicht mehr ganz ferne Zukunft nachzudenken. Neben dem 4,70 Meter langen, nur 1,45 Meter hohen Concept Car, das unter einem nach oben schwenkenden Glasdach und mit an den Fahrzeugkanten angeschlagenen Doppeltüren bequem zu besteigen ist, haben die Gestalter auch noch einen Präsentationsrahmen entwickelt, der in der hintersten Ecke der Halle 8 der IAA zum Anziehungspunkt wurde. Das Haus – ein demontierbarer Stahlskelettbau mit dem Kürzel "H33" benannt – nimmt gestalterische Elemente des Autos auf und umgekehrt, angefangen bei der Außenfarbe Kupfer für das zylinderförmige Obergeschoss bis zu den Details des wohnlichen Interieurs. Das Haus nimmt "Symbioz" als temporären Wohngenossen auf. Autonom und elektrisch fährt das Auto mitten in den Wohnbereich, auf einen Drehteller, wird an vier Stahlseilen nach oben bewegt und fährt – leicht versetzt – auf die Terrasse des Hauses. Man mag all das für Spielerei halten, man mag sogar schmunzelnd an Jacques Tati denken. Und doch demonstrieren die vielen ästhetischen Details, dass die Designer, die hier am Werk waren, keine selbstverliebten Zyniker sind. Man kann optimistisch in Zukunft blicken. Dieses ungewöhnliche Projekt bietet Inspiration, wo andere nur Etüden ihrer gestalterischen Geläufigkeit ablieferten.

Autonom bis auf die Terrasse: „Symbioz“ gelangt über eine Drehbühne ins zylindrische Obergeschoss und von da aufs Außendeck.
Materialinspiration aus Mode und Möbeldesign: Im Innern des Autos finden sich Materialien wie Filz und Marmor, die Designerin Aleksandra Gaca hat die Textilien für das Concept Car gestaltet.
Tina Kentner (Architektin), Vincent Turpin (Interior Design), Joseph Reeve (Exterior Designer) und Mathilde Bancon (Color and Trims Designer).
Auto-Haus als Fluchtpunkt: Der demontable Schaukasten von Marchi Architectes bildet auf der IAA das Gegenstück des Concept Cars „Symbioz“.
Richtungswechsel dank Drehbühne: Autonom verlässt „Symbioz“ die lichtdurchflutete Wohngarage.