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Doppelte Höhe

Mehr Licht, mehr Platz, viel Ruhe: David Thulstrup hat in Kopenhagen eine Privatwohnung mit typisch skandinavischer Gelassenheit und architektonischer Präzision nach oben erweitert und im Grundriss komplett neu gedacht.
von Jeanette Kunsmann | 15.02.2021

Die Geschichte dieser Kopenhagener Dachgeschosswohnung beginnt im Noma. Dass René Redzepi mit seinen skandinavischen Gourmethäusern mehr als ein simples Restaurant geschaffen hat, ist weltweit bekannt. Für David Thulstrup, der das Noma-Innere mit einer Fülle verschiedener Materialien gestaltete, erweist es sich als perfekte Visitenkarte. Vielleicht war es noch zwischen den Gängen, vielleicht auch schon nach dem Dessert, als zwei Gäste des Noma eines Abends diese Anfrage an David Thulstrup schickten. Nicht nur die Sterne-Küche, der gesamte Ort habe sie inspiriert, ob der Architekt sie nicht mal besuchen kommen könne, sie wollten ihr Apartment umbauen. "Ihnen gefielen die Wände, Böden, Decken und das Holz, das gesamte Erscheinungsbild des Noma", erinnert sich Thulstrup und lächelt: "Ja, und sie saßen noch am Tisch, als sie mich kontaktierten."

Aus glücklichen Gästen werden 2019 neue Bauherren – mit dem Auftrag, die bestehende Wohnung an der Vester Voldgade mitten im Stadtzentrum in der Nähe des Rathauses in ein zweigeschossiges Dachgeschossapartment umzubauen. Die Option, die Dachmansarde über der bisherigen, etwas düsteren Wohnung zu kaufen, ermöglichte eine komplett neue Grundstruktur mit wesentlich mehr Tageslicht im Inneren. "Sie waren tatsächlich völlig offen für einen Neuanfang", erzählt Thulstrup anerkennend. Der Architekt weiß, dass nicht viele Bauherren so couragiert sind. Dies sei eine sehr gute Ausgangsposition gewesen, er hatte bei allem "pretty much free hands", sprich freie Hand, – was das Ergebnis um so stimmiger werden ließ.

Um die sieben Monate dauerten die Bauarbeiten, etwas länger als zunächst geplant und dennoch zügig für einen Umbau in dem 1890 erbauten Wohnhaus. Der Bestand hatte Potenzial, war aber völlig undefiniert. Um das Zusatzgeschoss mit der bestehenden Wohnetage zu verbinden und dabei ein möglichst offene Duplexeinheit zu schaffen, strukturierte Thulstrup den gesamten Grundriss radikal neu. Ursprünglich hatten in den kompakten Mansarden einmal die Dienstmädchen gewohnt. Durch die kleinen Dachfenster gelangte nur wenig Licht ins Innere. Die Eigentümer wünschten sich stattdessen helle Wohnräume mit möglichst viel Tageslicht, was über einen behutsam-radikalen Rückbau sowie über horizontale und vertikale Öffnungen mit doppelter Raumhöhe erreicht werden sollte.

Heute wohnt das Paar mit seiner Tochter auf insgesamt 150 Quadratmetern, die aufgrund des offenen Raumgefüges noch mal um ein Vielfaches größer wirken. Das Apartment hat zwei neue Bäder, versehen mit braun-rosa Granit, eine freiliegende Terrasse auf dem Dach sowie einen langen Balkon direkt neben Küchen- und Essbereich, der sich wunderbar für Dinner und Partys mit Freunden eignet. Eine Spindeltreppe aus gelb verzinktem Stahl führt als filigrane Skulptur in die obere Wohnetage, wobei sie beiläufig den doppelgeschossigen Hauptraum mit der offenen Wohnküche flankiert. Diese hält sich mit ihren puristischen Schrankoberflächen von Reform aus hellem Granit, handgebürsteten Aluminium und einer robusten Arbeitsplatte aus Edelstahl zwar unauffällig im Hintergrund, exponiert sich dennoch subtil als Highlight. Mit seinem grifflosen Design PLATE verleiht David Thulstrup der Küche in dieser Variante einen sanften sowie industriellen Charakter.

Auch seine Leidenschaft für Holz kann der Däne in diesem Projekt auf verschiedenen Ebenen ausleben. Indem er den historischen Dachstuhl offenlegt, werden die alten Kiefernbalken und -sparren in den mattweißen Räumen hervorgehoben – ein respektvoller Umgang mit dem Bestand. Thulstrups Projekte basieren stets auf der Ehrlichkeit des Materials, denn er möchte "die Dinge zeigen, wie sie sind." Gleichzeitig setzt er Holz gerne in Kontrast. "Holz braucht für mich immer einen Gegenpart", betont der Architekt. Deshalb kombiniert er mal Holz und Metall, mal Holz und Stein und mal altes und neues Holz, wie den über 100 Jahre alten Dachstuhl mit Eichendielen von Dinesen, den die Bauherren schon im Noma bewundert hatten.

Um den zurückhaltenden, fast minimalen, aufgeräumt-skandinavischen Charakter ihres neuen alten Zuhauses nicht zu stören, trennen sie sich von einigen Möbeln: Es sollte ein neues Kapitel beginnen. Neue Möbel werden mitunter als feste Einbauten in den Grundriss integriert, damit der offene Raumeindruck erhalten bleibt. Das maßangefertigte Sitzbankett gegenüber der Küche mit seinem Rosé-Bezug aus pflanzlichem Leder passt direkt unter die Dachschräge und harmoniert mit der pastellgelben Deckenleuchte – einem der wenigen Farbakzente. Für David Thulstrup sind solche Einbauten eine Möglichkeit in einem großen, offenen Wohnraum kleine gemütliche Ecken und intime Orte zu schaffen. Schließlich muss jedes Wohnprojekt am Ende vor allem eins: bewohnbar sein.