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Frama, "9.5°", Design: Rasmus B. Fex, 2009

Das neue "New Nordic"

Junge skandinavische Label und ihre Designer schwimmen auf einer konstanten Erfolgswelle. Warum funktioniert der Neo-Skandinavismus?
von Uta Abendroth | 17.08.2018

Da könnte man glatt neidisch werden: Bjarke Ingels beschert Bauherren weltweit mit den Arbeiten seines Architekturbüros BIG erstaunliche und bestaunte Projekte, René Redzepi hat die nordische Küche zum Nonplusultra in Sachen Genuss gemacht und alle Welt reißt sich um Nordisches Design und die Kreativen aus Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland. Warum funktioniert der Neo-Skandinavismus weltweit? Was haben die Skandinavier an sich? Was macht sie so erfolgreich? Ein Aspekt ist, dass sie sehr früh einen Grundsatz verfolgt haben, der erst in Zeiten der Globalisierung als regelrechtes Motto ausformuliert wurde: "think globally, act locally". Schon die Pioniere wie Alvar Aalto und Arne Jacobsen reisten und machten sich fernab von Finnland und Dänemark den sogenannten internationalen Stil zu eigen, um zu Hause eine neuartige, persönliche und nationale Ausdrucksweise zu finden. Was die jungen Brands und aktuellen Designer beherrschen, ist, sich der Vergangenheit zuzuwenden und das eigene kulturelle Erbe zu reflektieren, um daraus Neues entstehen zu lassen.

Made by choice, "Laakso", Design: Saku Sysiö, 2017

Traditionsbewusst

Es sind nicht nur die "mittel-alten" Label wie Fogia, Normann Copenhagen, &Tradition, Design House Stockholm und Menu, deren Designs zeitgemäß sind, auch aus "alten" Unternehmen wie Fritz Hansen und Carl Hansen & Søn kommen dank Cecilie Manz, Kasper Salto sowie Christina Strand und Niels Hvass zeitgenössische Entwürfe auf den Markt. Eine noch jüngere Riege von Kreativen agiert bei den "neueren" Brands wie Made by Choice und Joanna Laajisto aus Finnland, Northern aus Norwegen, Frama, Nuura, Moebe, Møbel Copenhagen, Muuto und Karakter aus Dänemark. Der Finne Saku Sysiö, der unter anderem an der School of Design in Kopenhagen studierte und 2007 zu den Gründern der Designagentur Aivan in Helsinki zählte, scheint in Hans J. Wegner seinen Meister gefunden zu haben: Sein Stuhl "Laakso" (Made by Choice) wirkt wie eine auf das Nötigste reduzierte Hommage an den "Wishbone Chair" oder den "CH_20" – Stühle, die in den Fünfzigerjahren entstanden und dank ihrer geschwungenen Linien spielerisch und anmutig wirken, aber gleichzeitig extrem schlicht und reduziert. "Laakso" bleibt dem Material Holz treu – nicht mal einen Materialmix à la Wegner mit Papierkordel geht Sysiö ein – und setzt auf eine schmale, U-förmige Rückenlehne, die erstaunlich bequem ist: Der Stuhl heimste 2017 den Titel "Best Chair" bei den Restaurant & Bar Design Awards in Großbritannien ein. 

Vergleiche sind naturgemäß schwierig, haben sich die Klassiker doch schon über Jahrzehnte bewährt, während Newcomer sich erst noch auf dem Markt beweisen müssen. Und doch, Assoziationen drängen sich förmlich auf. Immerhin bleiben auch die Jungen Altem treu, denn es gibt sie, die Tradition des sparsamen Materialverbrauchs und der Schnörkellosigkeit. Folgerichtig bringt Joanna Laajisto nordisches Design so auf den Punkt: "Nordisches Design vereint lokale Handwerkskunst, ehrliche Materialien, ökologische Werte und eine ethische Denkweise." Das hätten wohl so ziemlich alle skandinavischen Gestalter der vergangenen 90 Jahre in ähnlicher Art und Weise formulieren können. Und nicht von ungefähr sieht die Finnin, die 2009 nach acht Jahren in den USA wider nach Helsinki zurückkehrte und sich mit einem Design und Interior Design Studio selbstständig machte, die Werte im Minimalismus gepaart mit Funktionalität – darauf setzte schon ihr Landsmann Alvar Aalto. Laajisto gelingt es jedenfalls mit ihrer Kollektion "Airisto" (Made by Choice), deren Möbel sich als Beistelltische, Hocker und Bänke eignen, Stücke zu kreieren, die ausgesprochen praktisch sind, sich aber gleichzeitig als Statement-Pieces eignen. Ihr Design ist eigenständig und zeitlos, unabhängig von aktuellen Trends. Jedes Stück erfüllt eine bestimmte Funktion im Raum ohne sich optisch aufzudrängen, aber auch ohne formal langweilig zu sein und unter die Typologie "schon zu oft gesehen" zu fallen.

Denn genau darin liegt die große Herausforderung für die jüngste Generation des New Nordic-Trends: Sie haben die gleichen Materialien zur Verfügung wie ihre innovativen Ahnen, zum Beispiel Birke, Kiefer und Fichte, aber sie wollen dem heimischen Werkstoff Neues abgewinnen. Das ist bei dem visuellen Tempo heute mit Blogs und Social Media-Kanälen, wo Design wie Fast Food konsumiert wird, gar nicht so leicht bzw. wenn eine Messe auf die nächste Show folgt, kann und sollte niemand ständig nach Neuigkeiten verlangen – aber genau die sind gefragt, sonst ist im Netz ja immer nur das schon Bekannte zu sehen. Doch Designer wie Joanna Laajisto und Cecilie Manz haben – schon aus Gründen der Nachhaltigkeit – den Anspruch, mit ihrem Design der Schnelllebigkeit entgegenzuwirken. "Wir Designer werden uns immer bewusster, dass das, was wir machen, wichtig ist", sagt Cecilie Manz. "Zwar denken wir nicht gerade täglich darüber nach, die Welt zu retten, das kann Design auch gar nicht. Aber wir Gestalter können Dinge entwerfen, die lange halten, optisch und in Bezug auf die Materialien."

Fritz Hansen, "No.1", Design: Nendo, 2018

Reduziert und raffiniert

In diesem Sinne gründeten 2014 der Tischler Anders Thams sowie die Architekten Martin De Neergaard Christensen und Nicholas Oldroyd die Marke Moebe in Kopenhagen. "Wir entwerfen nach dem Prinzip der Schaffung einfacher Konstruktionen; wir kleben nichts, schweißen nichts und verwenden keine Schrauben", erklärt Anders Thams. "Stattdessen stellen wir die gängigen Konstruktionsweisen von Produkten in Frage. Wir versuchen unsere Entwürfe auf ihre einfachsten Formen und Funktionen zu reduzieren und dadurch ein Design zu kreieren, das dem Banalen zugeneigt ist." Wenn banal, wie in dem Fall des "New shelving system", mit raffiniert-unkompliziert gleichgesetzt werden kann, dann ist das Prinzip nicht nur nachhaltig, sondern genial: Die Regalböden aus Holz werden mit Holzkeilen zwischen den Stahlstreben fixiert, was bedeutet, dass das Regalsystem ohne Verwendung von Werkzeugen zusammengebaut werden kann. Darüberhinaus bietet der Einsatz von Keilen dem Nutzer die volle Freiheit, mit dem System herumzuspielen, die Regale an einer beliebigen Stelle zu positionieren und sie seinen Bedürfnissen anzupassen. Es ist auch eine Angleichung an den Zustand des temporären Wohnens: Zieht jemand oft um, macht das Möbel alles mit, egal ob gerade viel oder wenig Raum zur Verfügung steht.

Auch wenn einige Label durchaus Anklänge an das derzeit angesagte Mid Century-Design erkennen lassen – wie beispielsweise Muutos "Loft Chair" oder der "Yam Chair" von Northern –, zu keiner Zeit entsteht der Eindruck, als würde es sich um bloße Kopien handeln. Vielmehr zeigen sich die Produkte befreit von einem Formenkanon, aber doch in der Tradition von Einfachheit und Qualität. Im Kontext von skandinavischem Design und formaler Zurückhaltung geht Frama aus Kopenhagen den wohl gewagtesten Weg. In der umfangreichen und abwechslungsreichen Kollektion gibt es einige Produkte, die die Grenze zwischen Design und Kunst verschwimmen lassen. Ein Beispiel dafür ist der metallene "Rivet Side Table, ein anderes der Stuhl "9.5°" des dänischen Designers Rasmus B. Fex. Das gesamte Möbel scheint asymmetrisch und wackelig zu sein, völlig unbrauchbar als Sitzgelegenheit. Doch basiert dieser Eindruck auf einer optischen Täuschung. Tatsächlich ist die Sitzfläche perfekt in der Waage und nur die schräge Rahmenkonstruktion stellt unsere Sehgewohnheiten auf die Probe. Die Devise "Keep it simple" des skandinavischen Stils bleibt gewahrt, aber auf eine gewitzte Art.

Moebe, "Shelving System", Design: Anders Thams, Nicholas Oldroyd, Martin D. Christensen, 2018

Sicherheit statt Überraschung

Frama ist das Label, dass mit einzelnen Objekten am meisten heraussticht, ansonsten ist durchaus eine Wiederholung in der Optik zu beobachten. Das ist im Hinblick auf den Wiedererkennungswert des nordischen Designs in einem gewissen Maß sinnvoll, aber man kann sich bei den neuen Brands nicht immer des Eindrucks erwehren, die Produkte in ähnlicher Art und Weise schon mal gesehen zu haben. Überraschung? Fehlanzeige. Der Konsens der Szene liegt formal darin, stets minimalistisch mit Holz zu arbeiten und Objekte zu kreieren, die vor allem unkompliziert zu kombinieren sind. Was fehlt, ist der Mut zum Anderssein – doch die Frage ist, ob das intern als ein Wettbewerbsvor- oder -nachteil beurteilt würde.

Wovon der skandinavische Stil in seiner globalen Akzeptanz profitiert, ist, dass sich das Design über die Jahrzehnte treu geblieben ist. Altmeister und Nachwuchs haben einen roten Faden gesponnen, ihre Form, sich auszudrücken, zeigt sich allzu modischen Trends gegenüber unempfindlich. Es versteht sich von selbst, dass sich zum alten Handwerk auch neueste Technologien und Herstellungsverfahren gesellen. Aber das Handwerk geht eben nicht verloren, genau wie die Gepflogenheiten in Sachen Material und die Idee, alltägliche Dinge wie Möbel, Leuchten und Keramik schön und funktional zu gestalten. Ein weiterer Aspekt spielt den Skandinaviern in die Karten: Wenn durch Nachrichten der Eindruck hervorgerufen wird, die Welt befinde sich in einer Dauerkrise, dann gibt etwas Bekanntes Sicherheit. Diese Rolle kann Design spielen, etwas Beständiges bekommt einen ganz eigenen Wert zugesprochen. Ein Objekt, das vertraut erscheint, kann im besten Falle gute Erinnerungen evozieren und positive Emotionen hervorrufen. Insofern gelingt es auch den jüngsten skandinavischen Marken, jenseits von allzu großer Hygge-Gemütlichkeit, mit ihrem Stil die aktuellen Wohn- und Lifestyletrends zu bedienen.