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Modell der neukonzipierten Thonet-Ausstellung in der Neuen Sammlung

Ganz gegenwärtig

Die Neue Sammlung in München erneuert die Präsentation ihrer Thonet-Kollektion anlässlich des 200-jährigen Bestehens des Herstellers. Das Design der Inszenierung stammt von Steffen Kehrle, der parallel einen Stuhl für das Museum entworfen hat. Ein Werkstattbericht.
von Fabian Peters | 14.05.2019

"Am Beginn meiner Karriere war es mir immer wichtig, ein Projekt straight durchzuziehen. Wenn ich eine gute Idee hatte, wollte ich sie ganz schnell und ohne Abstriche umsetzen." Designer Steffen Kehrle überlegt einen Augenblick und ergänzt: "Damals war das auch richtig. Heute lasse ich mir mehr Zeit. Ich habe gelernt, wann ich auch einmal Stopp sagen muss, um noch mal neu anzusetzen." Kehrle steht in seinem Atelier in München zwischen zwei Dutzend Prototypen des Stuhles "DNS". Grobe Modelle aus Pappe sind ebenso darunter, wie serienreif wirkende 3D-Drucke. "DNS" – das steht hier nicht für die menschliche Erbsubstanz, sondern für Die Neue Sammlung. Das Designmuseum ist Initiator und treibende Kraft hinter dem Projekt. "Die Neue Sammlung fragte mich irgendwann, ob ich einen Stuhl für sie entwerfen könne. Stärker war die Aufgabe tatsächlich nicht eingeschränkt." Schnell kam Kehrle die Idee, eine Sitzgelegenheit zur Nutzung in den Ausstellungsräumen zu entwickeln. "Informell und mit geringen Platzbedarf – für Besucher, für Aufseher, für Vortragssituationen", umreißt er dieses erste Konzept. Das Museum war von der Idee sofort angetan. Der Designer entwarf ein kleines Möbel mit schmaler Sitzfläche und nur angedeuteter Lehne, halb Stuhl, halb Hocker. 

Prototyp des Aluminium-Panels für den Ausstellungssaal
3D-gedruckte Stuhlmodelle im Atelier von Steffen Kehrle
Prototypen aus verschiedenen Stadien des "DNS"-Stuhls

Doch während er die ersten Modelle baute nahm das Projekt eine unerwartete Wendung: Die Neue Sammlung besitzt eine der weltweit größten Kollektion von Thonet-Stühlen. Zum 200. Geburtstag des Unternehmens im Jahr 2019 sollte es eine Neupräsentation des Bestandes geben. Steffen Kehrle wurde gefragt, ob er sich vorstellen könne, auch diese Aufgabe zu übernehmen. Er konnte. Und obendrein gefiel allen Beteiligten die Idee, beide Projekte miteinander zu verbinden. Die Fachleute von Thonet sorgten erst einmal für Ernüchterung bei Kehrle und seinem Team: "Thonet bestätigte uns, was wir eigentlich schon wussten. Dass unser origineller kleiner Stuhlhocker zwar hübsch, aber unbequem war." Also hieß es "reset". Und was lag für einen neuen Ansatz näher, als sich mit der Historie von Thonet auseinanderzusetzen. "Wir haben einige Zeit versucht, uns dem Thema Stahlrohrstuhl zu nähern", sagt Kehrle, "am Ende hat das Ergebnis uns alle nicht restlos überzeugt. Irgendwann fing ich an zu bezweifeln, dass ich wirklich an einer fast hundert Jahre alten Technologie weiterwerkeln will." Er beantwortete sich die Frage "Was hätten Mies van der Rohe, Breuer oder Stam gemacht?" mit der Antwort: "Sie hätten neue Wege mit neuen Technologien gesucht!" Und damit war die Konsequenz klar: Kein neuer Stahlrohrstuhl – sondern ein Entwurf, der die Grenzen des technologisch Machbaren auslotet. "Es war mein schönster Tag in diesem Projekt, als wir beschlossen haben, den "DNS"-Stuhl als eine Art Technologieträger zu entwickeln." Kehrles Idee: Ein 3D-gedruckter Monobloc-Stuhl, bei dem das Material an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Eigenschaften annimmt – etwa weich und nachgiebig auf der Sitzfläche oder steif und hoch belastbar am Gestell. Derartige Technologien sind zurzeit noch "bleeding edge" und von der Serientauglichkeit weit entfernt. Doch das ist Absicht. Schließlich soll der Entwurf kein produktionsfertiges Vorserienmodell sein, sondern einen Ausblick auf die Zukunft der Möbelfertigung zu bieten.

Das Modell von Steffen Kehrle zeigt das puristische Ausstellungskonzept für den ungewöhlichen Raum im Untergeschoss der Neuen Sammlung.
Das "Amphitheater" entwarf Architekt Stefan Braunfels speziell als Präsentationsort für historische Stühle.
Steffen Kehrle und Kurator Josef Straßer unterwegs in der Neuen Sammlung

Stühle für ein Amphitheater

Der "DNS"-Stuhl, aber auch seine Vorstufen, werden als Exponate in der neuen Thonet-Dauerausstellung, die Mitte Mai Eröffnung feiert, zu sehen sein. Sie erwarten den Besucher am Ende eines Rundganges, der ihn durch einen der architektonisch ungewöhnlichsten Räume der Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne hindurchführen wird. Architekt Stefan Braunfels hat in dem 2002 eröffneten Bau eine Art Amphitheater gebaut, auf dessen Stufen nach den ursprünglichen Planungen eine Vielzahl von Stühlen aller Epochen gezeigt werden sollten. Allein: Diese Form der Präsentation wurde nie umgesetzt. Stattdessen baute man dort die Thonet-Sammlung in einer Inszenierung auf, die viel Wert auf Unternehmensgeschichte aber wenig auf Raumwirkung legte. Bei dem neuen Konzept kehren Steffen Kehrle und die Kuratoren Josef Straßer und Xenia Riemann-Tyroller zu der geplanten, aber nie umgesetzten Szenografie zurück. Die drei befreiten den Raum von allen nachträglichen Ausstellungseinbauten. Zukünftig werden die Thonet-Stühle auf den Stufen des Amphitheaters stehen, hinterfangen von halbhohen Wandschirmen aus Aluminium. "Das Material selbst ist zwar annähernd farblos", erklärt Steffen Kehrle. "Es reflektiert aber die Farbigkeit der Stühle in den Raum. So beleben wir ihn, ohne dass wir die Nicht-Farbigkeit der Ausstellungsarchitektur durchbrechen." Auch das Lichtkonzept ist neu. "Früher war der Raum düster. Nur die Exponate wurden von Spots angestrahlt. Wir wollten für die neue Präsentation aber ein helles, gleichmäßiges Licht. Dank neuer Linsentechnik in den vorhanden Downlights wirkt der Raum nun völlig anders." Der neue Rundgang führt die Besucher Stufe für Stufe das Halbrund hinab, vorbei an den chronologisch aufgereihten Exponaten. Den Startpunkt bildet der älteste Thonet-Stuhl in der Sammlung, der 1838 gefertigt wurde, den Endpunkt Kehrles "DNS"-Stuhl.  

Josef Straßer mit einem historischen Thonet-Stuhl
Ein 3D-gedruckter Prototyp des "DNS"-Stuhls in Originalgröße
Der berühmte "Kaffeehausstuhl" Typ 214 von Thonet verdankt seinen Erfolg auch der Möglichkeit, ihn platzsparend zu transportieren.

Am 16. Mai 2019 eröffnet die Neupräsentation der Sammlung. Gerade wurde der Katalog in Druck gegeben. Für dessen Layout zeichnet Mirko Borsche verantwortlich, einer der zurzeit einflussreichsten deutschen Grafikgestalter. Borsche hat eigens für den Katalog und das Ausstellungsplakat eine neue Schriftart gestaltet, deren Form sich unübersehbar von den charakteristischen Schwüngen der Thonet-Bugholzstühle herleitet – und doch kein Stück altbacken wirkt. Überhaupt ist dieser Ausstellung in Allem anzumerken, dass keinesfalls ein betulicher Rückblick zu einem Unternehmensjubiläum in Szene gesetzt werden soll. Hier geht für die Beteiligten um die aktuellste Gegenwart. Und gerade darin greifen die Ausstellungsmacher das Leitmotiv der letzten 200 Jahre Thonet-Firmengeschichte auf.

Thonet & Design
Die Neue Sammlung - The Design Museum
Türkenstraße 15
80333 München
ab 17. Mai 2019

Öffnungszeiten:

10 bis 18 Uhr (Di., Mi., Fr.-So.)
10 bis 20 Uhr (Do.)
Montags geschlossen

Steffen Kehrle (m.) mit den beiden Ausstellungskuratoren Xenia Rehberg-Tyroller und Josef Straßer