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D1 Office Chair von Stefan Diez für Wagner Living

STYLEPARK WAGNER LIVING
Das Ende des Stuhlkorsetts

Stefan Diez hat in Zusammenarbeit mit Wagner Living das Dondola-Sitzgelenk weiterentwickelt und in die Drehstuhl-Familie D1 übersetzt. Das Ergebnis ist ein optisches Leichtgewicht, das die Funktion in den Mittelpunkt stellt.
10.07.2018

Anna Moldenhauer: Stefan, Stichwort "Sitzen in der vierten Dimension" – was steckt für dich hinter diesem Begriff in Bezug auf das neue Dondola-Sitzgelenk, das du entwickelt hast?

Stefan Diez: Für Wagner kommt als vierte Dimension ein Bewegungsfreiraum hinzu, den man bisher von der Synchronmechanik so nicht kannte. Im Gegensatz zu dem Dondola-Gelenk der ersten Generation haben wir beim D1 die Bewegungen entkoppelt, das heißt der Rücken bewegt sich unabhängig vom Sitz, es sind mehrere Achsen im Spiel. Bei der Erweiterung haben wir somit den Komfort des synchronen Bewegungsablaufs von Rückenlehne und Sitzfläche mit dem Bewegungsschema des Dondola-Gelenks verbunden. Das war auch die Herausforderung bei dem D1-Projekt für uns: Komfort und den Aspekt des mobilen, bzw. des flexiblen Sitzens zusammenzubringen.

Wie zeigt sich diese Veränderung im Detail?

Stefan Diez: Bisher hatte man beim Dondola-Gelenk zwei Stahlplatten, zwischen diesen wurde Gummi vulkanisiert, so dass die Platten quasi federnd entkoppelt sind. Wir haben die Konstruktion stark verändert und sie in ein Gehäuse gebracht, durch das zwei Achsen gesteckt sind. Das heißt, es gibt nicht mehr zwei Platten, die gegenüberliegen, sondern ein Gehäuse mit einem Gummi in der Mitte und zwei Achsen, die durch den Gummi stoßen. Somit wird jede Achse separat beweglich und an jede der Achsen haben wir einen Bügel konstruiert. An diesem Bügel ist entweder der Sitz oder der Rücken befestigt. Das ist mechanisch eine Herausforderung für den Gummi, der muss ganz schön was aushalten. So viel zur Theorie.

Stefan Diez im Gespräch mit Stylepark-Redakteurin Anna Moldenhauer

Wie unterscheidet sich der D1 von den zahlreichen ergonomischen Bürostühlen, die bereits auf dem Markt sind?

Stefan Diez: Ich glaube das sich unser Produkt eklatant unterscheidet, weil wir es technisch simplifiziert haben. Der Stuhl hat nicht mehr den klassischen Bürocharakter. Je nachdem mit welchem Bezug man ihn bespannt, mit Netz oder Leder, kommt er auch für den Wohnbereich in Frage. Eine ergonomische Gestaltung des Drehstuhls haben wir zudem nicht in Betracht gezogen, denn das optimale Unterstützen der Muskulatur führt eigentlich zu einer Erschlaffung und somit zu Verspannungen. Die rein ergonomische Gestaltung hat sich als der falsche Weg herausgestellt. Jetzt versuchen wir dynamisch zu sitzen, das genaue Gegenteil.

Der D1 ist also das Ende des maßgeschneiderten Stuhlkorsetts?

Stefan Diez: Ja, es geht nicht mehr nur um einen bequemen Stuhl, sondern um einen der dich zwar unterstützt, aber zur Entlastung der Wirbelsäule gleichzeitig Bewegung zulässt. Also weg mit den Kopf-, und Armstützen. Viele der bisherigen Modelle wirken bequem, weil der Körper komplett unterstützt wird. Aber auf lange Sicht wird man müde, weil es keinen Bewegungsraum gibt. Ich muss da oft an Konstantin Grcic denken, der sich immer lautstark gegen zu bequeme Stühle geäußert hat. So ganz Unrecht hat er nicht.

Weniger ist mehr: Das Minimalprinzip begleitet den Industriedesigner in seiner Arbeit.

Du hast das Dondola-Gelenk bei der Entwicklung des D1 optisch in den Mittelpunkt gestellt. Warum diese neue Sichtbarkeit der Mechanik?

Stefan Diez: Die Aufgabe war, die Stuhlfamilie von Wagner mit Hilfe einer einheitlichen Produktsprache zu verbinden, vom Lounge-Stuhl bis zur Stehhilfe. Wenn ein Element, wie das Gummigelenk beim D1, gestaltgebend ist dann muss es das zentrale und nicht ein beliebiges Designelement sein. Da liegt es auf der Hand, das Bauteil, welches das Ganze besonders macht auch in den Mittelpunkt zu stellen.

Warum habt ihr für den Bezug vorerst nur auf eine Textilnetzbespannung gesetzt?

Stefan Diez: Ich glaube Wagner ging es darum ein ikonisches Möbel zu schaffen. Dazu gehört ein Material, mit dem man diesen Stuhl in Verbindung bringt und das halte ich auch für eine schlüssige Methode. Die Netzversion ist transparent und klar, die Funktion bleibt im Mittelpunkt. Ideen für weitere Bezüge gibt es natürlich schon, wie Leder, Stoff, Polster. Damit werden wir anschließend weiter experimentieren.

Das neue Dondola-Gelenk von Stefan Diez lässt während des Sitzens Mikrobewegungen zu, die die Wirbelsäule entlasten und kräftigen.
Die zylindrisch geformte Konstruktion kann für variable Stuhlunterbauten eingesetzt werden, vom Side Chair bis zum Drehstuhl.
Zurückhaltend: Die transparente Netzbespannung überlässt der Funktion des Dondola-Gelenks die Bühne.
Fokus auf den Mittelpunkt: "Der Schmuck fällt weg und die Sicht ist frei für das Wesentliche", so Stefan Diez.

Wenn ich mir den Stuhl so anschaue, ist er von allem Unnötigen befreit. War das für dich die Idee bei der Entwicklung – den Stuhl neu zu denken?

Stefan Diez: Ja, auf jeden Fall. Die Bürostühle der 50er Jahre hatten nur einen Sitz, einen "Swivel Base". Das Drehelement war das, was den Stuhl als Bürostuhl ausgewiesen hat. Eventuell war er höhenverstellbar und man konnte ihn nach hinten neigen, das war aber mechanisch. Auf diese ganz einfache Weise sind ein paar sehr ikonische Stühle entstanden. Alles was man mehr hinzufügt, macht das Ganze komplexer und auch schlechter lesbar. Deswegen ist es für uns eine Befreiung zu sagen, dass sich der D1 nicht durch eine verrückte Armlehne definiert, einer Spline, die besonders geformt ist oder einem 3-D Gewebe. Das ist der Vorteil, wenn man Dinge grundsätzlich neu denkt, dann braucht man das Beiwerk nicht mehr. Der Schmuck fällt weg und die Sicht ist frei für das Wesentliche.

Weniger ist für dich mehr?

Stefan Diez: Ja, ich bin ein Fan vom Minimalprinzip. Das heißt zu einer definierten, vorher festgesetzten Performance mit dem geringsten Aufwand zu gelangen. Dahinter steckt der Wunsch, faszinierende Produkte hauptsächlich über eine Gedankenleistung zu erzeugen und nicht über den Materialeinsatz. Und auch das Versprechen mit einem verhältnismäßig geringen Einsatz von Ressourcen zum Ergebnis zu kommen. Der Aufwand muss in einem nachhaltigen Verhältnis stehen.

Der D1 löst als neues Aushängeschild den klassischen Wirtshausstuhl von Wagner ab. Das ist eine starke Wandlung.

Stefan Diez: Ja, das glaube ich auch. Der Schritt ist für Wagner wichtig, aber auch für uns. Es ist für uns sehr entscheidend, mit wem wir Projekte machen. Ich bin glücklich über Unternehmen wie Wagner, die solide aufgestellt sind aber die Neugier haben zu fragen, was wäre das nächste Level? Was wäre ein Wiedererkennungsmerkmal? Für uns Designer kann man sich eine bessere Situation kaum vorstellen. Ich bin für das Projekt dankbar, denn es erklärt sehr stark, wie wir im Studio arbeiten. Und für Wagner wird ihre Entwicklung in einem Ergebnis sichtbar.

Arbeitet ihr bereits an der nächsten Generation, dem D2?

Stefan Diez: Ja - wir sind zufrieden mit dem aktuellen Stand, aber denken gleichzeitig bereits weiter. Das ist auch das Schöne, wenn man sich mit einem gesamten Thema beschäftigt und nicht nur mit einem einzelnen Entwurf. Den D2 gibt es bereits als Konzept, auch als Prototyp. Er wird auf jeden Fall gegenüber dem D1 nochmals eine vereinfachte Version werden. Aber aktuell entwickeln wir erstmal die Idee des D1 als Stuhlfamilie weiter.

Bewegungen entkoppeln: Für die D1-Stuhlfamilie von Wagner Living dachten Stefan Diez und sein Team das Dondola-Gelenk neu.
Der Weg zum finalen Produkt führte über zahlreiche Experimente mit selbstgebauten Prototypen.
Das Gehäuse des Dondola-Gelenks für die D1 Stuhlfamillie fasst ein äußerst robustes Gummi und zwei Achsen.
Beide Achsen sind seperat beweglich und mit Bügeln ergänzt. An diesen ist jeweils der Rücken und der Sitz befestigt.
Das Gelenk mit flexiblen Achsen ermöglicht eine gefederte Synchron-Bewegung, die die Muskulatur unterstützt.