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JUNGE TALENTE
Mehr als nur Holz

Marcus Götschl gehörte zu den spannenden Neuentdeckungen auf dem SaloneSatellite in Mailand in diesem Jahr. Warum ihn ausgeklügelte Konstruktionen reizen und wann Gestaltung für ihn relevant wird, sagt er uns im Interview.
von David Kasparek | 18.07.2025

Marcus Götschl hört man seine Herkunft an. Unverkennbar deuten der Singsang seiner Stimme und das gerollte R auf die Heimatregion des Designers am bayerischen Chiemsee hin. Dass er einmal diesen Beruf wählen würde, war dabei keineswegs vorgezeichnet. Die Mutter Betriebswirtin im Geschäft des Großvaters, der Vater Polizist: "Viele Berührungen mit Design gab es da nicht", wie Götschl lächelnd zurückblickt. Und fügt an: "Mir war klar, dass ich etwas Handwerkliches machen will." Also lernt er als Tischler das Schreinerhandwerk, baut mit Holz, begreift den Werkstoff und seine Eigenschaften von Grund auf, besucht die Schulen für Holz und Gestaltung in Garmisch-Partenkirchen und macht schließlich seinen Abschluss als Meister. In der Schreinerei, in der Marcus Götschl arbeitet, entstehen Möbel und Küchen. Vom Aufmaß über Planung und Entwicklung bis hin zur Herstellung und Montage ist er in den gesamten Prozess von der Idee bis zum fertigen Produkt eingebunden. Eine ganzheitliche Betrachtung der Dinge, die prägt. "Vielleicht kommt aus dieser Zeit mein Faible für clevere Konstruktionen", sagt Götschl heute.

Marcus Götschl

Mit der Zeit im Handwerk wächst der Wunsch nach Eigenverantwortung und eigene Ideen in Gestaltung zu übertragen. Mit dem VW-Bus fährt er nach Norden, um vor Ort das skandinavische Design besser kennenzulernen und lernt im norwegischen Bergen Georg Guntern kennen. Der Schweizer betreibt dort GG Møbel, entwirft und fertigt selbst – und Götschl erkennt, welch seltene Ausnahme solch intensive handwerkliche Arbeit in Norwegen inzwischen ist. "Es hat mich überrascht, wie sehr das Handwerk dort schon verschwunden ist. Gefühlt kommen alle HandwerkerInnen aus dem Ausland, da Fischerei oder Ölindustrie vor einigen Jahren finanziell interessanter waren." Und dennoch ist es genau der richtige Ort, um skandinavisches Design in seiner alltäglichen Anwendung zu erleben: Die Arbeiten der Aaltos, von Poul Henningsen, Børge Mogensen oder Hans J. Wegner sind allgegenwärtig.

Zurück in Deutschland verbringt Marcus Götschl die kommenden Jahre an der Fachakademie für Raum- & Objektdesign in Garmisch-Partenkirchen, doch die Faszination Skandinaviens lässt ihn nicht los. "Und dann musste ich nach Kopenhagen – das ging gar nicht anders", sagt er lachend. Ein ehemaliger Mitbewohner aus Bergen stellt den Kontakt zum Designer und Möbeltischler Anker Bak in der dänischen Hauptstadt her – und Götschl geht für ein Praktikum nach Kopenhagen. In der Zusammenarbeit mit Bak erlebt er eine Detailversessenheit, die er schon zuvor in vielen skandinavischen Entwürfen vermutet hatte und erkennt zugleich, dass es "in Dänemark eine Art Hype um das Handwerk" gibt. Vieles, was ihm handwerklich selbstverständlich erscheint, erfährt dort eine neue Wertschätzung, vor allem die intensive Auseinandersetzung mit materialgerechten Details.

"Tension Stool"
"NaKu"
"Norr Chair"

Auch nach dem Praktikum arbeitet Götschl weiter als Freelance Designer für Anker Bak und wird Produktentwickler bei der Möbelmarke ClassiCon. Die Kombination aus inspirierenden Persönlichkeiten wie Guntern und Bak, den Biografien der "alten dänischen DesignerInnen" und den täglichen Umgang mit Entwürfen von Eileen Gray oder Konstantin Grcic bei ClassiCon, "hinter denen so viel Idee und Innovation stecken", wie Götschl sagt, entfachen Leidenschaft und Wissbegierde, die er nun versucht, "in jedem neuen Entwurf zum Ausdruck zu bringen".

Es geht ihm um mehr als darum, "einfach nur" Dinge herzustellen. Gute Ideen zu entwickeln, innovative Lösungen zu finden und diese material- und handwerksgerecht umzusetzen, all das fasziniert Marcus Götschl. Im Lounge Chair "Norr", mit dem er seine Eindrücke aus Norwegen verarbeitet, scheint konventionelles und traditionellen Handwerk noch deutlich auf. In der Folge jedoch beginnt er sich davon zu lösen und die Konventionen mitunter bewusst zu brechen. Der Hocker "Tension" kombiniert sanfte Radien und den präzisen Fügungen mit reduzierten Materialstärken der Sitzfläche, die so biegsam wird und durch Druck und Zugspannung ihre Stabilität gewinnt. In beiden Entwürfen sind die Freude am Material und die Lust an der Fügung spürbar, die zu ihrer Entstehung beigetragen haben.

"New Gen"
"NaKu"

Komplexer ist das Regal "NaKu", das gemeinsam mit der Möbelmarke Zeitraum entstanden ist. Es besteht aus zwei Modulen, die in verschiedenen Varianten gestapelt oder gereiht werden können – als Einzelobjekt oder ganze Regalwand. Marcus Götschl ging es hier um die Frage, wie sich der Verbrauch von Massivholz auf ein notwendiges Maß reduzieren lässt: Sehr dünne Massivholzflächen werden durch "Blattadern" stabilisiert. "Wie wenn man zwei Spaghetti an ein DIN-A4-Blatt hält", erklärt Götschl. Auch das Bett "NEW GEN", dessen Einzelteile mit einfachen Steckverbindungen gefügt werden, folgt dieser Logik: Durch die Verbindung wird das System in alle drei Dimensionen ausgesteift; es entsteht eine stabile Basis für die Matratze, die gleichermaßen funktionaler Lattenrost wie ästhetisches Rahmenwerk ist. Der Designer sagt: "Alltagsgegenstände neu denken und hinterfragen, ob jahrzehnte- oder jahrhundertealte Konstruktionen überhaupt noch Stand der Technik sind – ist ein Lattenrost heute wirklich noch nötig bei all den High-Performance-Schäumen?" Auch hier arbeitet er mit minimierten Materialstärken, die in gebogenem Zustand in die Konstruktion eingeschoben werden.

Dass er längst über den Werkstoff seines Ausbildungsberufs hinausdenkt, zeigt ein aktuelles Projekt mit der ursprünglich aus Island stammende, heute in Kopenhagen ansässige Firma FÓLK Reykjavik: Gemeinsam bringen sie Götschls erstes Möbel auf den Markt – eine Beistelltisch-Kollektion aus gekantetem Lochblech, zu Würfeln gefügt, in verschiedenen Farben und Größen erhältlich. "Ursprünglich ist das Design aus Abfall- und Reststücken der Klimaanlagenindustrie entstanden", sagt Götschl. Derlei Überlegungen – entstanden vor dem Hintergrund aktueller Nachhaltigkeitsdiskussionen – treiben den Designer um, der mit seinem Büro derzeit in einer alten Industriehalle der Münchner Designliga eingemietet ist.

"Glass Collection"
"Glass Collection"
"The Venti Collection" für FÓLK Reykjavik
"The Venti Collection" für FÓLK Reykjavik

Er glaube zwar nicht, dass sich unsere Probleme allein durch neue Produkte lösen lassen, sagt Marcus Götschl, doch sei "durch ein verändertes Konsumverhalten durchaus etwas zu bewegen". Gestaltung wird für ihn dann relevant, wenn Design den eigenen Ressourcenverbrauch rechtfertigen kann. "Wir verfügen schlichtweg nur über eine limitierte Ressourcenmenge – und die ist noch dazu global ungerecht verteilt." Und so sagt er: "Die sogenannte Wegwerfkultur ist zwar in Teilen bereits auf dem Rückzug, aber wir leben oft in unserer eigenen Bubble. Gesellschaftlich gesehen gibt es aus meiner Sicht noch viel Luft nach oben." Vor dem Hintergrund seiner Herkunft und der Prägung durch seine handwerkliche Ausbildung betont er: "Zeitlose, langlebige und zugleich erschwingliche Produkte können eine wichtige Rolle spielen – damit Menschen überhaupt die Chance haben, ihr Konsumverhalten zu hinterfragen und zu verändern."