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Die Fundamente des Rem Koolhaas
Ein Kommentar von Thomas Wagner | 10.06.2014
Die enzyklopädische Schau „Elements of Architecture" im Padiglione Centrale in den Giardini. Foto © Thomas Wagner

Das Schicksal bleibt launisch, auch wenn es in den modernen Zeiten den Namen gewechselt hat und Rezeption oder mediales Echo genannt wird. Oftmals ist es das Unvorhergesehene und Unvorhersehbare, das am Ende darüber entscheidet, ob etwas nur als solide gemacht oder als tatsächlich gelungen wahrgenommen wird. Das gilt generell für Architektur und Kunst – in besonderem Maße aber für so große Aufmerksamkeits- und Unterhaltungsmaschinerien, wie es Großausstellungen nun einmal sind. Was nicht heißen soll, Rem Koolhaas verdanke es allein den Mächten des Zufalls, wenn die von ihm eingerichtete 14. Architekturbiennale zu einer spannenden, vielfältigen und facettenreichen Angelegenheit geworden ist, die jede Menge anregende und drängende Fragen aufwirft.

Dass Rem Koolhaas eine Architekturbiennale initiiert und inszeniert hat, die sich wohltuend von den gewohnt eitlen Selbstdarstellungen international agierender Großbaumeister unterscheidet, hat vor allem drei Gründe. Wobei zum Erfolg nicht nur beiträgt, welche Fülle an historischen Materialien Koolhaas und sein Team ausgegraben und wie geschickt sie es in Szene gesetzt haben, sondern auch das, was er nicht zeigt.

Erstens hat er tatsächlich durchgehalten, was er schon vorab verfügt hatte: Bei der Biennale geht es tatsächlich um Architektur in all ihren Facetten, nicht aber um Architekten, schon gar nicht um die Stars der Szene und ihre Eitelkeiten. Zweitens haben sich sein Mut und auch seine Chuzpe ausgezahlt, nicht ganz dem Zufall zu überlassen, was in den Nationenpavillons in den Giardini, im Arsenale und in der Stadt präsentiert wird. Drittens schließlich hat es seinem Konzept in die Hände gespielt, dass die Biennale-Organisation seinen Wunsch abschlägig beschieden hat, die weitläufigen Hallen des Arsenale dieses Mal nicht bespielen zu wollen. Und bei all dem waren die Mächte des Schicksals Rem Koolhaas auch noch wohlgesonnen.

Koolhaas war schlau genug, was sich nicht planen und schon gar nicht kontrollieren lässt, intuitiv geschehen zu lassen. So hat es sich denn auch für das unter dem Generaltitel „Fundamentals“ stehende Unternehmen als Glücksfall erwiesen, das Thema „Absorbing Modernity 1914 – 2014“ an die Nationenpavillons zu delegieren. Was wie eine Bevormundung hätte wirken können, lässt im Gegenteil viele verschiedene Pflanzen gedeihen. Wobei die modernistischen Gewächse zusätzliche Nahrung, aber auch kritische Perspektiven aus der enzyklopädischen Schau „Elements of Architecture“ beziehen, die Koolhaas im Padiglione Centrale in den Giardini eingerichtet hat, ebenso wie aus der von Ippolito Pestellini Laparelli, einem Mitarbeiter in Koolhaas’ Forschungsteam AMO, im Arsenale eingerichteten Ausstellung „Monditalia“.

"Unwritten" ist der Titel der Installation des lettischen Pavillons. Foto © Thomas Wagner

I. Absorbing Modernity

War die Moderne ein Segen oder ein Fluch? Was hat sie verändert, was erreicht? Und wo stehen wir heute, wenn wir nicht pauschal, sondern konkret auf deren Entwicklung in den letzten einhundert Jahren zurückblicken? Es war ein geschickter Schachzug, sich nicht nur auf eine zentrale thematische Ausstellung zu konzentrieren, sondern dem Belieben der nationalen Pavillons mittels eins gemeinsamen Themas eine Richtung vorzugegeben – oder eine solche zumindest vorzuschlagen. Mit „Absorbing Modernity 1914 -- 2014“ hat der akribische Aufklärer Koolhaas die zentrale Frage zwar selbst gestellt, deren Bearbeitung aber aus der Hand gegeben. Der Kontrolle durch das Zentralorgan „Kurator“ weitgehend entzogen, hat sich die Perspektive erweitert. Keiner, der die Biennale gesehen hat, wird noch behaupten können, „die“ Moderne existiere als Monolith. Vielmehr offenbart sie nun alle ihre Facetten. Wie in einem Kaleidoskop zerfällt sie – selbst das Zerfallsprodukt einer im 18. und 19. Jahrhundert aufgrund schwächer werdender metaphysischer Bindungen einsetzenden Deregulierung – in nationale und lokale Entwicklungen, Anpassungen und häretische Strömungen. Nie zuvor hat eine Biennale derart zur Differenzierung unseres historischen Bewusstseins beigetragen.

Glanz und Elend der Moderne liegen nah beieinander. Sie bleibt ein schwieriges, aber erstaunlich vielgestaltiges Erbe, das zeigen nicht allein die Pavillons von Frankreich, Großbritannien, Japan, Russland und Amerika. Auch die Ränder – etwa Afrika und der Norden Kanadas – werden ausgeleuchtet. Hauptübel der Epoche wie Imperialismus, Nationalismus, Extremismus, ja ein Fundamentalismus, der die Wirklichkeit sozial ebenso wie ästhetisch durchdrungen und sich diese zuweilen gewaltsam unterworfen hat, kommen ebenso zur Sprache wie die Hoffnungen und Segnungen beim Aufbruch in eine neue Zeit.

Eine Ausstellung über Bauteile: "Elements of Architecture". Foto © Thomas Wagner

II. Elements of Architecture

Allein mit der Fokussierung auf die Elemente des Bauens und deren Geschichte wäre das kaum gelungen. Denn so akribisch Koolhaas im Zentralpavillon auf dem Giardini-Gelände auch Wissens- und Staunenswertes zu Dach und Wand, Tür und Treppe, Balkon, Boden und Korridor ausbreitet, so wenig scheint all das die Frage zu berühren, was Architektur heute ist und was sie unter den heutigen Bedingungen sein kann. Zumindest auf den ersten Blick. So sehr die von zahlreichen Teams und Forschergruppen erarbeitete Fülle an historischen Entwicklungen einzelner „Bauteile“ auch staunen macht, Koolhaas agiert hier selbst als Modernist, der über die Vielfalt der Teile deren Kontext – auch den politischen – vernachlässigt. In diesem intellektuell aufpolierten Baumarkt voller „Micronarratives“ fügt sich nichts zu einem Ganzen. Koolhaas wäre freilich nicht der intellektuelle Spieler, der er ist, wäre ihm dies nicht bewusst. Der Trick besteht somit darin, aufzuzeigen, dass die Fundierung der Gegenwart in einzelnen Bauteilen und mehr als 2500 Jahren Architekturgeschichte weit hinter die Moderne zurückreicht, was diese relativiert und wie selbstverständlich in die Reihe der Epochen einbezieht. Auch hier wird, wie schon in den Nationenpavillons deutlich: Es gibt nicht nur eine, sondern viele Architekturgeschichten, und wer sich daran macht, sie im Detail zu erzählen, bewegt sich jenseits modernistischer Ideologien.

Vielleicht kommt es einem deshalb immer wieder so vor, als feiere der Skeptiker Koolhaas im Blick zurück einen langen Abschied. Abschied vom Bauwerk als Ganzem, Abschied auch vom Architekten als Baumeister, der über die Elemente gebietet und entscheidet, die er verwenden möchte. Abschied von einem starken Subjekt, das all die Teile und Elemente zu einem großen Werk zu vereinen vermag. So fällt die Lehre am Ende melancholisch aus: Nachdem die Moderne all dem Valet gesagt hat, kann man nur noch nüchtern feststellen, dass es hochspezialisierte technische Systeme und komplexe Diskurse sind, die heute festlegen, was in der Architektur möglich ist und was nicht. Bei aller Raffinesse scheint Koolhaas, fasziniert von der Kraft und den Möglichkeiten zunehmend standardisierter Systeme des Bauens, aber eines vergessen zu haben: die Macht der Ökonomie und der Vorschriften, das Kalkül der Investoren und die Fesseln der Normierungen. Ist die Architektur heute womöglich gleich doppelt gefangen – in einem Netz aus historischen Bezügen und technisch hochentwickelten Systemen, deren stärkste Verbindungsseile in der Moderne geflochten wurden? Vom lokalen über das nationale zum internationalen und globalen Bauen und vom singulären Bauwerk zur standardisierten Wohnmaschine – verläuft so die – abschüssige? – Bahn, die aus der Moderne in unsere Gegenwart führt? Wie immer man solche Frage auch beantworten mag, Rem Koolhaas ist es gelungen, deren Dringlichkeit hervorzuheben.

In „Monditalia“ wird das Gastgeberland der Biennale selbst in den Fokus gerückt. Foto © Francesco Galli, Courtesy la Biennale di Venezia

III. Monditalia

Dass mit „Monditalia“ das Gastgeberland der Biennale selbst in den Fokus gerückt und zum Exempel erhoben wird, hat seine zwei Seiten. So sehr der Versuch zu begrüßen ist, so unscharf und verwaschen gerät am Ende das Bild. Einerseits werden in Forschungsprojekten architekturpolitische Abgründe sichtbar gemacht, andererseits wird in Filmausschnitten und Tanzperformances ein Land voller Widersprüche vorgeführt. Weshalb man sich schon bald fragt: Gleicht die Welt tatsächlich Italien? Oder folgt der Gang der Dinge eher der Bewegung, die eine Leuchtschrift am Hinterausgang des Russischen Pavillons nahelegt: „Russia’s Past Our Present“?

Insgesamt bleibt festzuhalten: Rem Koolhaas ist eine außergewöhnliche Biennale gelungen. Man mag es Schicksal, Fügung oder Zufall nennen, fest steht: Koolhaas’ kluges „Setting“ ist entscheidend dafür, dass mehr entsteht als die Summe vieler disparater Teile. Fast wie beim Bau eines gelungenen Gebäudes. Vor allem im Kaleidoskop der Nationenpavillons verliert die architektonische Moderne ihren monolithischen Charakter und wird in ihren vielen Facetten und Ambivalenzen begreifbar. Entfalten kann sich das realistische Bild einer Epoche, die mehr zu bieten hat als betonierte Einöde, einer Epoche, mit der wir intellektuell noch lange nicht fertig sind. Im historischen Mikrokosmos der „Elements of Architecture“ wird ihre Bedeutung einerseits relativiert. Andererseits offenbart sich in der Tendenz zur Differenzierung und Standardisierung einzelner Bauteile, wo es anzusetzen gilt, damit eine Architektur nach der Moderne nicht zum Knecht technologischer Innovationen mutiert. Will man die Zukunft gewinnen, wird es nicht ausreichen, mit der Koolhaas eigenen Nonchalance und Melancholie festzuhalten, wie reich die Geschichte der Architektur in jedem ihrer Elemente an Nuancen und Atmosphären, Aromen und Düften, Hoffnungen und Enttäuschungen ist. Dazu wird es nötig sein, auch jene Frage zu stellen, die der niederländische Meisterdenker seltsamerweise ausgeklammert hat: Die Frage nach Macht und Politik.


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