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Prof. Dr. Michael Erlhoff

NACHRUF
Er beflügelte die Designdebatte

Zum Tod von Michael Erlhoff.
von Thomas Edelmann | 10.05.2021

Ein warmer Juliabend, 1987 in Berlin. Neun Männer sitzen auf einem Podium, Designer, ein Kunsthistoriker, ein Werkbund-Mann, Journalisten und auch die Ex-Ulmer Max Bill, Herbert Lindinger und Tomás Maldonado. Sie diskutieren zum Thema "Ulm – und was nun?". Am Nachmittag war die Retrospektive "Ulm… die Moral der Gegenstände" im Bauhausarchiv eröffnet worden. 19 Jahre nach der Schließung der HfG Ulm die erste zusammenhängende Schau, die die Geschichte der Gestaltungshochschule umfassend darstellte. Einer der neun war Michael Erlhoff. Seit Anfang des Jahres leitete er den Rat für Formgebung in Frankfurt. Nun wurde sein Film vorgeführt, der wie die Ausstellung "Ulm – die Moral der Gegenstände" hieß.

Können Gegenstände Moral besitzen? Lässt sich Moral entwerfen? Michael Erlhoff verglich nun die Absichten der Ulmer, die sie in Bezug auf ihre, "merkwürdigen Gegenstände" entwickelten, wie er das alles andere als abwertend nannte, mit Motiven der Romantiker. Nur bedingt war ich in der Lage zu folgen. Gerade begann ich anhand des vorzüglichen Katalogs der Ausstellung, den Erlhoff mit konzipiert hatte, langsam zu begreifen, was die HfG Ulm wohl gewesen sein könnte, was ihre Quellen und Antriebe waren und woran sie womöglich scheiterte. Und nun das: Romantik!

Die erste Irritation wich bald der Begeisterung. Nach Frankfurt, wo ich damals wohnte, zurückgekehrt, begegnete ich Erlhoff erneut, er lud meinen Kollegen Fabian Wurm und mich in den Rat ein. Mit einer eigenen Veranstaltungsreihe versuchte er dort andere Aspekte der HfG-Story deutlich werden zu lassen. Vorträge und eine HfG-"Synchronopse", die Ereignisse an der Hochschule mit zeitgleichem Geschehen in Politik und Kultur parallel visuell darstellte, waren in den Rats-Räumlichkeiten zu erleben. Aber auch gemeinsame Auftritte von Michael Erlhoff und seiner Freundin Uta Brandes. Thematischer Ernst und unterhaltsame Gesten prägten das Geschehen. Etwa wenn Erlhoff Stegreif-Vorträge zu Begriffen hielt, die Uta zuvor dem Publikum moderierend entlockte. Schlagfertigkeit und ein außergewöhnlich weit gestecktes Referenzfeld, das Kunst, Literatur, Werbung, Technik und Gesellschaft mit einbezog, wirkten vergnüglich und anregend, über den jeweiligen Abend hinaus.

Und doch reagierten manche Besucher mit einer Irritation und Abwehrhaltung, was zu freundlichem Disput wie zu Ignoranz führen konnte. Nach einigen Gesprächen fragte uns Michael Erlhoff, ob wir die Redaktion seiner gerade gegründeten Zeitschrift "Design Report" übernehmen wollten. Das sei, da sie nur alle zwei Monate erscheine, nicht viel Arbeit. Die Stimmung, die im Rat für Formgebung vorherrschte, war die eines Start-ups, nur dass niemand hier Venture-Kapital investierte. Die äußerst knappe Finanzierung erfolgte durch Wirtschaftsministerien von Land und Bund sowie durch internationale Projekte, die Michael Erlhoff konzipierte. Unvergessen sind die Gespräche an Nick Roerichts Stehtischen mit Michael Erlhoff, Uta Brandes, den MitstreiterInnen im Rat und mit vielen interessanten BesucherInnen, die dorthin kamen.

Dieser Ort war damals eine Mischung aus Literaturhaus, Club für DesignerInnen, Treffpunkt für WerberInnen. Erlhoff gelang es, Menschen unterschiedlicher Disziplinen zu begeistern. In der neu eröffneten "Schirn" konfrontierte er auf Drehbühnen namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ebensolchen Wirtschaftsleuten, um über Unternehmens- und Stammeskultur zu diskutierten. Im Nachhinein muss man wohl sagen, das war offen und ertragreich. Knapp drei Jahre arbeiteten wir hier mit Michael Erlhoff zusammen, in der Erinnerung erscheint es mir heute als eine Ewigkeit. Frankfurt avancierte zur postmodernen Metropole schlechthin. Für einen erweiterten Designbegriff, der nicht Glätte und ästhetische Überhöhung feierte, sondern auf kritische Selbstbefragung und neue Formen der Sozialität abzielte, war die Stadt bald nicht mehr der richtige Ort.

Beispielhaft für seine damaligen Schwierigkeiten war die von Michael Erlhoff initiierte Neuausrichtung des Designpreises Gute Form, den er zum Bundespreis Produktdesign machte. Seine Idee, mehrere Juries einzuladen – DesignerInnen, PsychologInnen, VerbraucherschützerInnen und NutzerInnen der Gegenstände – die jeweils ihre eigenständigen Resultate vorstellen sollten, wurde abgeblockt.

Ich aber bin noch immer dankbar: Uns Design Report-Redakteuren eröffnete Michael Erlhoff Freiräume. Er begleitete uns, während wir unseren Beruf erfanden. Was das auch an Verantwortung bedeutete, begriffen wir nach kurzer Zeit. Zugleich rieben wir uns auf, versuchten mit äußerst knappen Mitteln weit mehr zu machen als bloß das Hausblatt des Rat für Formgebung. Die Produktionsabläufe und Zeit, die wir brauchten, erscheinen mir im Rückblick abenteuerlich.

1990 verließ Michael Erlhoff den Rat, um in Köln den Studiengang Design und die KISD - Köln International School of Design zu gründen. Mit entsprechenden Studienangeboten in Köln versuchte Erlhoff eines seiner weitergehenden Ziele zu fundieren: Über Design publizieren in jenen verbreiteten Medien, für die er selbst gern gesehener Kommentator und Gesprächspartner war. Die Zeitschrift Design Report war eine seiner vielen Erfindungen, die mehrfach verändert zunächst weiterlebte und 2019 zum vorerst letzten Mal erschien. Die deutschsprachige Designpublizistik (und vermutlich nicht nur die) hat Michael Erlhoff maßgeblich beflügelt. Unmöglich hier die Namen all jener AutorInnen zur erwähnen, die er zu kritischem Schreiben über Design anregte, ganz gleich, ob sie im Journalismus, dem Marketing oder der Forschung aktiv sind. Die LeserInnen des Stylepark Magazins kennen ihn unter anderem als Autor seiner Kolumne - "Erlhoffs Nachtprogramm".

Michael Erlhoff war ein Lehrer, der rasch zum Freund, Gastgeber und freundlichen Kritiker werden konnte, ein Gegenbild jenes typischen deutschen Professors, der aufs Nachbeten bewährter Ideen abzielte. Er liebte den Widerspruch, den Streit in der Sache. Erst recht, wenn er gut artikuliert war.

Adieu & Danke, Michael!

Prof. Dr. Michael Erlhoff