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Der "super-flexible space" von Konstantin Grcic am Stand von Vitra.

Orgatec 2018
Das neue Informell

Arbeiten wir zukünftig noch am Schreibtisch? Eines von vielen Themen auf der Orgatec 2018 in Köln. Unser Messereview.
von Fabian Peters | 01.11.2018

Welche Vorstellungen von der Gegenwart und Zukunft des Arbeitens prägten die Orgatec, die weltweit wohl wichtigste Messe für Büroausstattung und -einrichtung, im Jahr 2018? Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, lohnt es sich, einen Blick auf zwei der gelungensten Stände in Köln zu werfen – die der Firmen Gumpo und Thonet. Für den bayerischen Hersteller Gumpo haben RelvãoKellermann nicht nur gerade die Produktpalette und das Corporate Design überarbeitet, sie haben auch einen Messestand entworfen, der den perfekten Rahmen für die neuen Erzeugnisse bietet. Der Clou ihrer strahlend weißen, grafisch aufgefassten Architektur ist die Beleuchtung. In dünne Überzüge gehüllte, lichtstarke Fotolampen erzeugen ein ganz weiches, angenehmes und blendfreies Licht. Bemerkenswert ist der Stand noch aus einem anderen Grund: Hier fehlen all die Cocooning-Sofas und Lounge-Sessel, ohne die heute kaum noch ein Büromöbelanbieter – erst recht kein designaffiner – auszukommen glaubt. Stattdessen: Schreibtische, Konferenztische, Pulte, Stellwände. Und eine Standarchitektur, die eher an Einzelbüros als an Großraumlandschaften denken lässt.

Einen Gegenentwurf liefert der Stand von Thonet, für dessen Entwurf das Designatelier Ply verantwortlich zeichnet. Ganz in hellem Metallsilber gehalten, mit Böden aus Zinkstahlplatten, liefert er eine gelungene Interpretation des Industrial-Chics, ohne dabei in kitschige Industrieromantik abzugleiten. Unterteilt wird die Fläche durch semitransparente Vorhänge aus Drahtgeflecht, die den offenen Eindruck des Standes eher stärken als stören. Die gesamte Inszenierung weckt hier Assoziationen an ein loftartiges Großraumbüro, wie es heute allenthalben als Idealbild eines kreativen Arbeitsumfeldes in den Medien erscheint. "Büros sind die neuen Kaffeehäuser" heißt die in großen Lettern auf die Wand aufgebrachte Losung bei Thonet. Will sagen: Die Mischung aus Arbeiten und Entspannen, Beobachten und sich Vertiefen, die zum Mythos des Wiener Kaffeehauses gehört, findet sich heute im Büro. Hier kommt man, ganz informell, ganz unhierarchisch zusammen, tauscht sich aus oder arbeitet alleine.

RelvãoKellermann gliederten den Stand der Firma Gumpo in verschiedene Raumeinheiten - hier eine Konferenzsituation.

Der tote Schreibtisch

Die Idee, des informellen Arbeitens ist gewiss keine völlig neue auf der Orgatec. Aber sie wird in diesem Jahr mit besonderer Prägnanz vorgetragen. Wenn man benennen sollte, welcher zentrale Gedanke von dieser Messe ausgeht, dann gewiss, dass die Frage nach der Zukunft des Büros, wie wir es kennen, mittlerweile an mehreren Stellen laut gestellt wird. Am eindrücklichsten diskutiert der größte Aussteller der Messe, Vitra, die Formen zukünftigen Arbeitens. Mit "Soft Work", einem Sofa von Edward Barber und Jay Osgerby präsentiert Vitra ein Sofasystem, das von den Designern speziell für informelles Arbeiten entwickelt wurde. Sitzhaltung, Sitzhöhe, die Möglichkeit, Steckdosen und Tische zu integrieren – all das soll erlauben, an Orten wie Hotellobbys, Flughäfen oder Worklounges komfortabel zu arbeiten, anstatt nur "zwischen Tür und Angel" einige E-Mails zu schreiben. Hier soll also nicht das Büro zum Kaffeehaus werden sondern das Kaffeehaus zum Büro. "Soft Work" ist in den Augen von Barber & Osgerby ein vollwertiger Arbeitsplatz. Folgerichtig glauben sie auch an den Einzug ihres Möbels in reguläre Büros, propagieren schon einmal das "Deskless Office" und erklären den konventionellen Schreibtisch für tot. 

Vitra hat es nicht bei diesem einen Konzept für die Zukunft der Arbeit belassen. An dem von Jonathan Olivares und Pernilla Ohrstedt kuratierten Stand, präsentieren auch Sevil Peach und Konstantin Grcic ihre Ideen zu diesem Thema. Insbesondere Grcics "super-flexible space" zeigt eine interessante Alternative zu den Sofalandschaften auf, die bislang sinnbildlich für das "Neue Büro" stehen. Sein Szenario gleicht mehr einem Klassenraum als einem Wohnzimmer. Alles ist leicht, alles ist beweglich. Eine Turnhalle sei sein Vorbild gewesen, so Grcic, in der immer wieder andere Sportarten betrieben werden können. "Stool-Tool", sein vielfältig verwendbarer Hocker, findet in diesem Konzept ebenso Platz wie sein neuer, kleiner und ökonomischer Drehstuhl "Rookie", der hier Premiere feiert. Tatsächlich ist die Orientierung an Schulräumen eine bestechende Idee. An kaum einem anderen Ort werden Arbeitssituationen so oft geändert, muss das Mobiliar Einzelarbeit und Vortragssituation, Kleingruppenprojekt, Konferenz und Vollversammlung ohne großen Aufwand ermöglichen. Die Suche nach der Zukunft des Büros beginnt also vielleicht im Klassenzimmer.

Metalloberflächen waren ein wichtiges Gestaltungselement des Standes von Thonet, den Ply Studio entworfen hat.

Die Entdeckung des informellen Arbeitens beinhaltet auch noch einen weiteren Aspekt: Längst weiß die Arbeitsmedizin, dass stundenlanges Sitzen weder der Gesundheit noch der Arbeitsqualität zuträglich sind. Statt die Arbeitenden mit ihrem höhenverstellbaren Schreibtisch Fahrstuhl spielen zu lassen, ist man bei Wilkhahn auf eine bessere Idee gekommen: Ein regelmäßig umherlaufender Bürobeschäftigter hätte doch die Gelegenheit, sich mit Kollegen auszutauschen und zu vernetzen und so zu Innovationen im Unternehmen beizutragen. Für diese Art von Gesprächen erkennt das Unternehmen den Bedarf an informellen Sitz- und Aufenthaltsplätzen – und hat in Kooperation mit den Designern RSW den "Sitzbock" und das Wandrelief "Landing" entwickelt, die genau für solche zufälligen und kurzen Zusammenkünfte gedacht sind.

Geradezu antithetisch zu solchen Bürolösungen verhält sich der ausladende Schreibtisch "Tama" von Eoos von Walter Knoll, ein 30.000 Euro-Möbel, das der These vom möglichen Verschwinden des Schreibtisches hohnzusprechen scheint. Trotz Formen à la Zaha Hadid verkörpert "Tama" allerdings eine zutiefst konservative Idee vom Schreibtisch, der weniger Arbeitsplatz denn Herrschaftssymbol ist – ein Statussymbol im Chefbüro des schwäbischen Mittelständlers. Wie das leitende Managements zukünftig arbeiten wird, lässt sich weit eher an einem Entwurf wie "Signum", einem Schreibtischsystem, das Unifor in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Design- und Architekturfirma Gensler entwickelt hat. Es bietet hochwertige Verarbeitung und Ausstattung, Holzfurnier und gediegene Anmutung – ist aber ein Anbauschreibtisch für den platzsparenden Einsatz im Großraumbüro. Es werden Arbeitsplätze wie diese sein, mit denen zukünftig auch die leitenden Angestellten in Open Space Offices einziehen werden.  

Das Sofasystem "Soft Work", ein Entwurf von Barber & Osgerby für Vitra, soll entspanntes Arbeiten ermöglichen.

Cocooning für Alle

Überhaupt scheint das Großraumbüro mittlerweile als alternativlos akzeptiert zu sein. Viele neue Produkte haben deshalb die Aufgabe, die nicht wegdiskutierbaren Nachteile dieses Konzeptes zu bekämpfen – etwa die allerorten angebotenen Telefonzellen und Besprechungskabinen. Auch der Markt für Akustiklösungen boomt nach wie vor. Gleiches gilt für Cocooning-Sofas als Rückzugsorte. Sie gehören mittlerweile zum Standardsortiment bei fast allen Polstermöbelherstellern. Nun ist auch Fritz Hansen auf den Zug aufgesprungen und liefert mit "Plenum" von Jaime Hayon eine originelle Alternative zu den bestehenden Produkten. Zunehmend werden auch abschirmte Einzelarbeitsplätze auf den Markt gebracht. Ein besonders opulentes Modell bietet Poltrona Frau an. Der "Cove Lounge Chair", ein kreissegmentförmiger Entwurf von Foster + Partners, ist rundherum mit edlem Leder bezogen.  

Als echter Trendsetter erweist sich inzwischen das im Frühjahr von Arper vorgestellte modulare Polstermöbelprogramm "Kiik" von Ichiro Iwasaki. Auf der Orgatec stellen nun eine ganze Reihe von Herstellern ähnliche Anbausysteme zwischen gepolsterter Bank und Sofa vor, die in Wartebereichen, Büros, Lobbys und Lounges vielfältige Aufgaben erfüllen können. Durch ihre Höhe sind sie, ähnlich wie Vitras "Soft Work" von Barber & Osgerby, auch zum Arbeiten geeignet. Ein besonders vielseitiges System präsentiert in dieser Hinsicht Wilkhahn mit "Insit" von Wolfgang Mezger

Nachdem in den vergangenen Jahren mit dem Trend zum wohnlichen Büro eine Vielzahl von klassischen Wohnmöbelherstellern in den Bürobereich gedrängt sind, haben in diesem Jahr nun auch zahlreiche Outdoormöbelhersteller ihre Zelte auf der Orgatec aufgeschlagen, genannt seien nur Fermob und Gloster. Offenbar geht man hier davon aus, dass die Außenbereiche als potentielle Arbeitsplätze zunehmend an Bedeutung gewinnen. Man darf gespannt sein welcher Zweig der Möbelbranche als nächstes die Orgatec für sich entdeckt. Manche Hallen gleichen bereits jetzt verblüffend der Schwestermesse imm cologne.