top
Prototyp des "Kinuta N-LC01" von Karimoku Case Study, Design: Norm Architects

3daysofdesign 2019 – Review
Neu verbunden

Was haben Skandinavien und Japan gemeinsam? Und warum sorgt ein Stuhl aus dem Meer für großes Aufsehen? Das sind die Themen der diesjährigen 3daysofdesign.
von Anna Moldenhauer | 29.05.2019

Hätten die 3daysofdesign in Kopenhagen ein Überthema, dann wäre es in diesem Jahr wohl die Nachhaltigkeit. Kaum ein Hersteller, der sich nicht die Bemühungen auf die Fahnen schrieb, Öko-Zertifizierungen zu erlangen und den eigenen CO2-Fußabdruck mittels lokaler Produktion so klein wie möglich zu halten. Neben dem Fokus auf eine umsichtige Herstellung zeichnet sich zudem ein Umdenken ab, welche Materialien zum Recycling geeignet wären. Hoch im Kurs: Lösungsansätze für die Massen an Plastikmüll, mit denen wir die Umwelt immens belasten. Mater bedient sich so ausgedienter Fischernetze, lässt sie reinigen und aus dem Kunststoff Pellets herstellen. Anschließend kann, wie bei Thermoplasten gewohnt, mit dem Schmelzvorgang des Rohmaterials und dem Möbelbau begonnen werden. Beim Design greifen sie dafür auf das Archiv zurück: Joergen und Nana Ditzel entwarfen die schwungvolle Kombo aus Tisch und Stuhl mit Kufengestellen in den Fünfzigerjahren. Damals dienten allerdings noch Lamellen aus Holzfurnier für Sitzfläche und Tischplatte, heute werden pro sogenannten "Ocean Chair" 960 Gramm Plastikmüll wiederverwertet. Jede Komponente kann in ihrer reinsten Form in den Recyclingprozess zurückgeführt werden. Darüber hinaus stellte Mater auf den 3daysofdesign zum ersten Mal die Kollektion "He & She" vor, für deren Freischwingerstühle neben zertifiziertem Eichenholz das Strohgeflecht dank seiner schnellen Reproduzierbarkeit wiederentdeckt wurde.

"Ocean Chair" von Mater, Design von Joergen und Nana Ditzel

Snøhetta geht ähnliche Wege und präsentierte gemeinsam mit dem Möbelhersteller Nordic Comfort Products bereits Anfang des Jahres den Stuhl "S-1500". Auch hier diente das Kunststoffmaterial von alten Fischernetzen als Basis, das Gestell besteht aus recyceltem Stahl. Ebenso eine moderne Reedition, wurde der Grundentwurf in den Sechzigerjahren von Bent Winge erdacht. Dunkelgrün schimmern die Kunststoffflächen der Stühle und sind dank der zufälligen Zusammensetzungen der kleinen Pellets jeweils ein Unikat. Und damit nicht genug: Da die Rohstoffgewinnung der Produkte äußerst energiesparend verläuft, ist der CO2 Verbrauch während der Herstellung beider Designs äußerst gering. Auch Jacob Munch und Henrik Bruun von der Marke Bruunmunch schauen bei der Auswahl der Materialien bevorzugt auf das, was bereits verarbeitet wurde: Platten aus italienischem Marmor, Granit, Quarz und Keramik zum Beispiel, die beim Zuschnitt für Küchenarbeitsplatten übrigbleiben. Normalerweise würden diese aufwendig entsorgt oder fein zermahlen im Belag von Fahrbahnen ein unwürdiges Ende finden. Jacob Munch and Henrik Bruun nutzen die hochwertigen Reste stattdessen für ihre Beistelltische namens "STONEupcycle". "Nachhaltige Möbel sind ein Muss", so Henrik Taudorf Lorensen, CEO von Takt. Das junge Unternehmen setzt auf zertifiziertes Holz, auf die Auszeichnung des Umweltzeichens EU-Ecolabel und verschickt das Mobiliar auseinandergebaut in flachen Boxen, um CO2-Emissionen einzusparen.

"Gesture Chair" von Warm Nordic, Design von Hans Olsen
"Tinct Collection" von Justyna Poplawaska
"Arazzi" von Matteo Brioni, Design: Studio Irvine
"STONEupcycle" von Bruunmunch

Auch im Bereich der Textilien gewinnt recycelter Kunststoff an Bedeutung. Warm Nordic feiert das hundertjährige Jubiläum von Hans Olsen mit einer neuen Kollektion, die drei Originalentwürfe des Designers aus den Fünzigerjahren wieder auflegt: den "Gesture Chair", den "Fried Egg" und "Mr Olsen Sofa und Lounge Chair". Für den Sprung in die Gegenwart finden FSC-zertifiziertes Holz und der Stoff "Merit" des Maharam Design Studios für Kvadrat zusammen. Recycelte Wolle und Polyester ergeben so ein farbintensives Gewebe, das auch haptisch angenehm ist. Die Kunststofffasern stammen aus Plastikmüll, der – statt auf der Deponie zu landen – aufgearbeitet und zu Garn versponnen wurde. Den Sinn des Besuchers für nachhaltige Textilien zu schärfen, macht sich ebenso Qwstion zur Aufgabe. Bereits auf dem Salone del Mobile in diesem Jahr konnten sie mit "Bananatex" begeistern, dem ersten technischen Gewebe weltweit aus Fasern der Bananenpflanzen, die biologisch kultiviert werden. Lebenspraktische Hilfe gab es zudem von Really und Mads Norgaard: Unter dem Titel "3 Days of Repair and Beyond" boten diese während der 3daysofdesign einen Ausbesserungsservice für getragene Kleidung an und nahmen Altkleider entgegen, um sie in der eigenen Produktion weiterzuverarbeiten.

Ton als natürliches Material erkundete der italienische Architekt Matteo Brioni im Rahmen der "Dawn Exhibition" für die Verwendung in der Innenarchitektur: von der Wandfarbe über die Verputzung von Oberflächen bis zum Fußbodenbelag und skulpturalem Körper. Die kristalline Struktur des ökologisches Finishes bietet zudem dank der mineralischen Komponenten einen besonderen Effekt im Tageslicht, der nur schwer mit künstlich hergestellten Farben zu erreichen ist. Die polnische Designerin Justyna Poplawaska nutzt währenddessen kleingemahlenes recyceltes Glas für aquarellgleiche Farbwirbel, die gebunden in Kunstharz für die Oberflächen von Beistelltischen und Paravents eingesetzt werden. Das Besondere: Die kleinen Glaspellets werden in biobasiertes Expoxidharz gemischt, einem flüssigen Kunststoff, der weit weniger Chemikalien aufweist als das gängige Harz. 

"Antwerp Dining Table" von Noorstad, Design: Skyum Høgfeldt

Japannordic

Man ist sich in Kopenhagen einig: Der Schritt zurück zu natürlichen oder zumindest recycelbaren Materialien ist ein Muss. Mit diesem Mindset und dem "Soft Minimalism", der puren skandinavischen Ästhetik, gewinnen die nordischen Kreativen einen Verbündeten im Geiste: Japan. Die bereits seit einiger Zeit bemerkte Bewegung zum "Japanordic Design" wird zunehmend perfektioniert – statt der schlichten Kombination von Einrichtungsgegenständen der beiden Länder vereinen sich die Strömungen nun in neuen Designs. Gemeinsam mit Norm Architects und Ashizawa Design präsentierte Karimoku, der größte japanische Holzmöbelhersteller, die neue Marke "Karimoku Case Study". Die erste Kollektion umfasst zehn Möbelstücke, die in der Kinfolk Gallery besichtigt werden konnten. "High touch, high tech", sprich Handwerk und ausgefeilte Technik, so das Motto von Hiroshi Kato, Vizepräsident von Karimoku Furniture. Mit den Möbeln kommt in der Case Study gleich das komplette Raumkonzept, inklusive Farben und Accessoires, denn der architektonische Anspruch von Norm Architects bezieht den Raum beim Entwurf mit ein. Vom Stuhl, über das Regal bis zum Sofa überzeugen die Ergebnisse mit hoher Qualität und Sinn für das Detail. "Produkte, bei denen man nichts mehr dazufügen oder weglassen muss, um sie besser zu machen", so Norm Architects. Mit der "Karimoku Case Study" erzeugt das Team eine ruhige und helle Atmosphäre, in der man sich über die Möbel mit der Natur verbunden fühlt. Der Ähnlichkeit der skandinavischen und japanischen Designästhetik wird im Verbund von Karimoku eine neue Eleganz hinzuaddiert. Die klare Geometrie der skandinavischen Form erhält im Zuge der japanischen Detailverliebtheit eine weiche, fast warme Note.

Einen ähnlichen Charakter zeigt der "Antwerp Dining Table" von Noorstad oder die "Japanese Stool Collection" von Kristina Dam Studio. Damit die Klarheit der Flächen nicht von den Dingen des Alltags zu sehr beeinträchtigt wird, dürfen die Kleinigkeiten in flachen Boxen ein Zuhause finden, die zum Beispiel von August Sandgren in ausgesuchtes Leder oder Textil eingeschlagen werden.

"TO2 Soft Chair" von Takt, Design: Thomas Bentzen

Blick nach vorn

Auf der Suche nach Produktneuheiten konnte bei Fritz Hansen die neue Pendelleuchte "Clam" vom Designduo Ahm & Lund entdeckt werden, die inspiriert von einer Muschel ihre Lichtquelle solange verbirgt, bis man die beiden Glasteile des Leuchtenkörpers sanft auseinanderschiebt. Ebenso ab 2020 erhältlich, ist die Outdoorkollektion "Lounge Table" und "Lounge Chair" von BIG – Bjarke Ingels Group aus Metallkufen und Holzpaneelen für Skagerak, welche ohne sichtbare Schrauben auskommt. Dinesen bot in Kooperation mit der Künstlerin Sissel Tolaas eine sensorische Entdeckungsreise auf der Basis von Duftmolekülen aus unterschiedlichen Bereichen der Produktion. Ergebnis der fast zweijährigen Recherche ist die Essenz von Dinesen in Öl, "DD-2". Montana zeigte in Zusammenarbeit mit Farbalchemistin Margrethe Odgaard eine neue Palette aus dreißig neuen Lackierfarben, zehn bereits bestehenden Grau-, Weiß- und Schwarztönen als Basis sowie zwei Furnieren, die alle mit dem offiziellen EU-Umweltzeichen ausgezeichnet wurden und ab Herbst 2019 erhältlich sind. Carl Hansen & Søn legt mit dem eleganten Coupé Sofa von Frits Henningsen einen Entwurf von 1936 wieder auf. Und Petersen Tegl hat mit einem brandneuen Showroom in der Nähe des Hafens zum ersten Mal fest Position in Kopenhagen bezogen. 

"Clam" von Fritz Hansen, Design: Ahm & Lund

Dass die internationale Bedeutung der 3daysofdesign unverkennbar gestiegen ist, konnte man allein an der hohen Besucherzahl in den Ausstellungsräumen beobachten. Das Konzept geht auf, in einem kompakten Programm mit entspannter, sehr positiver Atmosphäre sowohl erfahrene Hersteller wie Kvadrat, Fritz Hansen oder Please Wait to be Seated mit Newcomern wie Takt, Seven Subjects oder Qwestion zusammenzubringen. Selbst wenn man bereits das ein oder andere Produkt auf dem diesjährigen Salone del Mobile in Augenschein genommen hatte, lohnte sich stets der Blick hinter die Kulissen, wie in die Holz- und Metallwerkstätten der KBH Københavns Møbelsnedkeri. Dazu kam ein vielfältiges Rahmenprogramm mit Expertentalks – zum Beispiel mit Architekt Bjarke Ingels von BIG und Simon Frommenwiler von HHF Architekten im Rahmen des "Puzzle House", oder gemeinsam mit Benjamin Paulin und Space Copenhagen zu ihrer Kooperation mit Gubi. Kunstinstallationen wie "Costal Waters" von Laufen und liebevoll arrangierte Details rundeten das kreative Angebot auch in diesem Jahr ideal ab.

Interaktive Installation "Puzzle House" von Bjarke Ingels/ BIG und Simon Frommenwiler/ HHF Architekten im Garten der schweizerischen Botschaft in Kopenhagen.