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Kupfer im Spanngurt: Für die Entwicklung des Lichtsystems "Plusminus" (Vibia) holte sich Stefan Diez Unterstützung von Textildesignerin Karina Wirth.

REVIEW – SALONE DEL MOBILE 2019: EUROLUCE
Groß und Klein mit System

Euroluce: Im Lichtjahr 2019 wird alles höher, größer und schöner. Firmenstrukturen, funktionale und künstlerische Objekte. Aber auch eine Tendenz zum kleinen spielerischen Lichtobjekt wird erkennbar.
von Thomas Edelmann | 29.04.2019

Hier und da flackern noch die historischen Vorläufer, doch die "Light Emitting Diode" (LED) hat sich als Lichtquelle durchgesetzt. Wo besondere Qualität gefragt ist, wird sie technisch weiter verfeinert, etwa was die Farbwiedergabe angeht. Edisons Glühbirne hat weitgehend ausgedient, lediglich als formaler Anklang, als "Retro-Fit", taucht sie noch in manchen Leuchtkörpern auf. Alles erstrahlt im Glanz leuchtender Dioden, Möbel, Küchen, Treppenstufen, Gartenwege und -beete, Parks und städtische wie private Gebäudeilluminationen. Die Zahl der Lichtanwendungen nimmt rasant zu, auch wenn die einzelne Leuchte, der einzelne Lichtpunkt dabei weniger elektrische Energie verbraucht als zuvor. Als kürzlich die Beleuchtung des Mailänder Doms mit aktuellen Erco-LED-Strahlern erneuert wurde, ging es den Planern um größere Helligkeit, die sie mit mehr sparsamen Leuchten erreichen.

Auf der Euroluce macht sich ein neuer Maximalismus bemerkbar. Raumfüllende Konstruktionen und Installationen war man von Flos, Preciosa oder Lasvit bereits gewohnt. Zunehmend geht es auch um neue Konzernstrukturen. Sie treten der bislang kleinteiligen Szene entgegen, die sich in den letzten Jahren etabliert hat. Das derzeit spektakulärste Projekt ist die "Design Holding", die neben den Traditionsmarken Flos und Louis Poulsen die Möbelmarke B&B Italia umfasst.

Maßgeschneidert fürs Objekt: "Liana" von Lasvit-Kreativdirektor Maxim Velcovsky (rechts) und Sonderleuchte "Glacier" von Architekt William Pedersen (hinten, Mitte).

Das Ziel sei es, berichtet die italienische Wirtschaftszeitung "Il Sole 24 Ore" zum Messestart, die "kritische Masse" jener Unternehmen zu erhöhen, die zwar exzellent in der Produktion und weithin anerkannt sind, aufgrund geringer Größe jedoch kaum über das nötige Kapital verfügen, um international wettbewerbsfähig zu sein. Es schlägt die Stunde des Finanzkapitals. Die italienische Private Equity-Firma Investindustrial sicherte sich 2014 eine 80-Prozent-Mehrheit an Flos, erwarb 2015 B&B Italia, 2016 Küchenhersteller Arclinea und übernahm 2018 die dänische Traditionsmarke des Lichtsektors Louis Poulsen. Mithilfe der durchsetzungsstarken US-Private Equity-Firma Carlyle Group wird daraus nun die "Design Holding", an deren Spitze Piero Gandini steht, bislang Chef von Flos. Die beiden Investorengruppen halten je 50 Prozent des Konsortiums. Warum könnte das für Händler und Konsumenten wichtig werden? Aus den Einzelfirmen mit bislang zusammengenommen 500 Millionen Euro Umsatz soll ein international agierender Gewinnbringer werden. Name und Auftritt der Firma deuten darauf hin, dass Design auch künftig nicht als Beiwerk, sondern als Basis des Geschäftsmodell dienen soll. Carlyle allerdings steht für eine kompromisslose Renditeorientierung. Diesmal lautete das Motto der beteiligten Firmen bei Messe- und Showroom-Auftritt: Nicht kleckern, sondern klotzen. Synergien ergeben sich im Hintergrund, etwa durch Vereinheitlichung der Vertriebsstrukturen der beiden Leuchtenhersteller, die zu größerer Dynamik und einer Ausweitung der jeweiligen Märkte beitragen soll. Flos gehört seit längerem zu den Taktgebern der Euroluce, was Auftritt und Inszenierung angeht. Nun gilt das für die gesamte Gruppe. Der Salone del Mobile hatte gar mit dem "S.Project" eine neue Halle für jene 66 Firmen und Gruppen bereitgestellt, die nicht länger allein Möbel oder Leuchten anbieten, sondern umfassende Einrichtungswelten. Erfreulich am dort angesiedelten Stand der "Design Holding" ist, dass er nicht wie andere darauf abzielt Exklusivität als Prozess der Abweisung zu inszenieren. In einem trichterförmigen Gang wurden Besucher mit interaktiven Lichtspielen ins Standinnere, einem riesenhaften Innenhof geleitet, von welchem wiederum Raumhohe offene Türen mit hinterleuchteten Wänden in die Welten der einzelnen Marken führten.

"OE Quasi" von Olafur Eliasson für Louis Poulsen
"Wireline" von Formafantasma für Flos

Diesjähriger Höhepunkt des sorgfältig gepflegten Louis Poulsen-Programms ist "OE Quasi" von Olafur Eliasson, eine Pendelleuchte mit 90 Zentimeter Durchmesser, kleinere Versionen sollen folgen. Das 22 Kilogramm wiegende Gerät besteht aus einer Kombination zweier platonischer Körper, einem äußeren Ikosaeder aus Gussaluminium und einem inneren Kunststoffreflektor in Form eines Dodekaeders. Seit der Antike inspiriert diese Kombination idealer geometrischer Körper Philosophen, Mathematiker und Gestalter. Das LED-Licht von "OE Quasi" strahlt von Eckpunkten der äußeren Struktur nach innen und wird dort gebrochen und reflektiert. Helligkeit und Lichtwärme lassen sich variieren. Neben vielen interessanten Weiterentwicklungen, wird eine Leuchtenfamilie des dänischen Architekten Vilhelm Lauritzen von 1953 wiederaufgelegt. Die Form ist gefällig, Materialwahl (Milchglas und Messing) sowie die Lichtwirkung erscheinen traditionell und aktuell zugleich. Andernorts in Mailand, im Nilufar Depot, taucht die Leuchte als historisches Stück zum Galeriepreis wieder auf.

Licht verbindet geblasene Glaskörper: Im Mailänder Showroom von Flos präsentiert Konstantin Grcic das weiter entwickelte System "Noctambule".

Auf dem Flos-Stand nebenan ist wiederum eine Folge großer karg dekorierter Räume zu sehen, meist mit nur einem oder wenigen Produkten und Designernamen auf den Wänden, die aussehen wie in Stein gemeißelt. Mario Bellinis 50 Jahre altes Modell "Chiara" macht, neu aufgelegt, den Anfang. Der Standrundgang endet im abgedunkelten Outdoor-Bereich, wo Philippe Starcks Gartenleuchte "In Vitro" hervorsticht. Einst wurden Glasgehäuse für Außenleuchten geschaffen, um die Glühbirne darin zu schützen. Starcks Leuchtenserie hat die Grundform eines übergroßen Reagenzglases. Die Birne ist verschwunden, übrig bleibt Licht, eingefangen in einer gläsernen Hülle. Man mag das poetisch, surrealistisch oder dematerialisierend nennen. Im städtischen Showroom präsentiert Flos die weiterentwickelte Serie "Noctambule", eine Systemleuchte von Konstantin Grcic aus geblasenen, tagsüber unsichtbaren Glaskörpern, deren Licht dezent integriert, an Verbindungselementen austritt.

Für alle, die schon Manches haben: "Belt" von Rowan & Erwan Bouroullec, große Leuchtkörper aufgehängt an Ledergürteln
Einladung zur Verstellbarkeit: Am Textilkabel von "Plusminus" von Stefan Diez können unterschiedliche Leuchten montiert und bei Bedarf bewegt werden.

Für einen weiteren Trend der Messe sind bei Flos Anschauungsbeispiele zu sehen: "Belt" von Ronan & Erwan Bouroullec hätte man sich – weniger systemtauglich ausgearbeitet – auch bei Hermès vorstellen können. Denn das Äußere der Leuchte besteht aus braunen oder schwarzen Ledergürteln, die direkt oder indirekt strahlende Leuchtdioden aufnehmen. "Wireline" von Formafantasma nutzt bogenförmig von der Decke hängende pinkfarbene Gummibänder zur Befestigung und Stromverteilung. Das Thema der Bandstruktur leitet über zur innovativen spanischen Firma Vibia. Hier hat Stefan Diez sein neuestes Projekt "Plusminus" vorgestellt. Auf die Spann-Seilsysteme der Achtziger Jahre, deren bekanntestes "YaYaHo" von Ingo Maurer stammt, folgt bei ihm ein gewebtes Band mit integriertem Kupferband. Als Technologiepartnerin für das Produkt, das Vibia als "Work in progress" präsentiert, hat er mit der Textildesignerin Karina Wirth vom Textile Prototyping Lab kooperiert. Gegründet wurde dieses Experimentallabor für Textilinnovation unter anderem von der Weißensee Kunsthochschule Berlin und Fraunhofer IZM. Wirth schuf mit dem Textilband mit präzis eingewirktem Kupfer die Basis des Projekts. Hinzu kommen Strahler mit unterschiedlichen Linsen, sowie Lichtbänder zur Allgemein- und Punktbeleuchtung. Wie ein Spanngurt lässt sich das Band straff festziehen. Die Leuchten werden reversibel festgeklemmt, was beispielsweise für Büros, deren Nutzung sich gelegentlich verändert sowie für den Ladenbau interessante Anwendungsmöglichkeiten schafft. Überwiegend dekorative Verwendung ist ebenso möglich wie die funktionale Ausrichtung des Programms. Noch ist die Detailentwicklung von "Plusminus" nicht abgeschlossen.

Fürs Bad und den Esstisch: "Beep" von Ludovica + Roberto Palomba setzt, drehbar, asymmetrische Lichtakzente.
"Sun – Light of Love" von Toord Bontje strahlt aus der Mitte.

Firmen wie Foscarini folgen seit langem einer eigenen Spur, lassen sich von andernorts verkündeten Trends nicht beeinflussen. Das diesjährige Neuheitenprogramm lässt eine etwas stärker technisch orientierte Perspektive erkennen. Dekoratives Spektakel bietet "UpTown" von Ferruccio Laviani, eine veritable "Hochhaus"-Tisch- oder Stehleuchte aus verklebtem Glas, die farbiges Licht vom Sockel durch den Glaskörper nach oben projiziert. "Beep" von Ludovica und Roberto Palomba verbreitet atmosphärisches Streulicht und hat eine asymmetrisch angebrachte Lichtöffnung. Durch Drehung des Leuchtkörpers kann die Lichtwirkung – etwa im Bad – variiert werden und Beziehungen zu Wand, Decke und Boden herstellen, wie die Designer sagen. Die Pendelleuchte "Sun – Light of Love" stammt von Tord Boontje und besteht aus 390 flüssig beschichteten Metalllamellen in Weiß oder Gold. Das weiche diffuse Umgebungslicht, das über die Speichen verteilt wird, ist kombiniert mit einer nach unten strahlenden Akzentbeleuchtung.

Zylinder trifft Stoffpaneel: Stephen Burks entwarf mit "Trypta" für Luceplan die neueste akustisch wirksame Leuchte.
Vorbild strahlend-blauer Himmel: Aus einer unsichtbar verbauten, geheimnisvollen Box leitet Coelux tageslichtähnliche Helligkeit in dunkle, fensterlose Räume.

Die Pendelleuchte "Trypta" von Stephen Burks für Luceplan strahlt aus ihrem zylindrischen Rohr indirektes Licht nach oben sowie direktes nach unten ab. Statt expressiver Strahlen bietet sie Paneele, die dank Strickstoff akustisch wirksam sind. Die Bespannung ist flammhemmend. Die Paneele können in gleicher oder unterschiedlicher Größe sowie in der Höhe versetzt oder parallel konfiguriert werden. Für die Kombination aus Lichtwirkung und Geräuschdämmung liefert Luceplan seit 2012 multifunktionale Produkte. Abhilfe für ein Problem des zeitgenössischen Bauens nämlich, den Räumen in der Tiefe der Gebäude, die wenig oder gar kein Tageslicht erhalten, verspricht Physikprofessor Paolo Di Trapani, Arbeitsschwerpunkt Optik und Experimentalphysik mit seiner Firma Coelux. Nanotechnologie, einen hochauflösenden Projektor, LED-Lichtquellen und eine in die Raumdecke integrierte Box, die kosmische Tiefe und die Rayleigh-Streuung des natürlichen Tageslichts nachbildet, schaffen seine Produkte den Eindruck einer unendlichen Tiefenschärfe. Circa 100 Watt verbraucht eines seiner Einbauelemente. Sollte es möglich sein, Preis und Bauhöhe weiter zu reduzieren, könnte den Himmelspaneelen ein großer Markt offenstehen, vorzugsweise jener Büro- und Handelsflächen ohne Tageslichtzugang, deren Beleuchtung bislang wenig einladend wirkt.

Tragbarer Lichtsinn: Miniaturschirmleuchte "Koyoo" von Axel Schmid für Ingo Maurer
"manondovevamovedercipiù" von Viabizzuno

Technologisch vielleicht ein bisschen weniger anspruchsvoll, ästhetisch aber meist reizvoll ist eine neue Generation kleiner beweglicher Laternen, die auf der Euroluce und den Fuorisalone überall zu sehen sind: Objekte von besonderem Charme. Es gibt sie bei Tobias Grau ("Salt & Pepper"), Ingo Maurer ("Koyoo", entworfen von Axel Schmid), Michael Anassastasiades ("Primitive Structure"), bei Viabizzuno ("manondovevamovedercipiù"), ja sogar bei Hermès als freundliche Stehherumchens aus feinem Bambus, bespannt mit Japanpapier ("Coulisse" von Tomás Alonso). Stilistische Varianten des immerwährenden Spiels mit Licht, Schatten und Reflexion? Mag sein. Zugleich zeigen Leuchtenhersteller unterschiedlicher Ausrichtung, wie sich Digitalisierung und Design verbünden können, um ein Vorbild für Transformation und Erneuerung zu liefern. Manch andere Branchen sind noch längst nicht so weit.

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