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Konstantin Grcic bei der Präsentation seiner "Chess"-Kollektion für Magis.

SALONE DEL MOBILE 2018
Ich ziehe mich nicht aufs Altenteil zurück

Konstantin Grcic präsentierte in Mailand seine Möbelkollektion "Chess" bei Magis, ein Sofa bei Established & Sons, einen Stuhl bei Plank und vieles mehr. Uta Abendroth hat mit ihm über Inspiration, Materialien und den Umzug seines Studios gesprochen.
25.04.2018

Der Branchentalk im Vorfeld des Salone versprach viele neue Produkte aus der Feder von Konstantin Grcic, aber auch Veränderungen im Hinblick auf sein Studio. Gleich am Montag fand die Präsentation der Möbelkollektion "Chess" in der Brera statt. Nach der Kollektion "Brut" aus Gusseisen machte sich Grcic mit Magis nun daran, das Potential von Stahlblech zu erkunden.

Uta Abendroth: "Chess" wirkt gleichermaßen neu und vertraut, eine angenehm unaufgeregte Neuheit. Wie ist die Kollektion entstanden?

Konstantin Grcic: "Chess" ist ein Projekt, das sich aus einer Art Dreieckskonstellation entwickelt hat, und zwar Magis, Fami und meinem Studio. Die Geschichte ist typisch für Italien: Eugenio Perazza lernt den Chef von Fami in einem Restaurant kennen und sofort entsteht eine persönliche Beziehung. Die geografische Nähe der beiden Unternehmen bedeutet, dass man da mal eben hinfahren und sich treffen kann. An diesem Punkt sind wir dazu gekommen und – das war ganz wichtig – haben die Fabrik kennengelernt. Wir waren mehrmals da um zu verstehen, was die machen: Fami stellt Blechschränke für Werkstätten her, die sehr spezialisiert sind, ideale Möbel für die Industrie.

Wie ging es dann weiter?

Konstantin Grcic: Die Idee unseres Projektes war, diese Schränke durch bestimmte Interventionen in einen anderen Kontext zu bringen, etwa den Wohnbereich oder das Büro. Weil aber dieser Prozess bei Fami so spezialisiert und dadurch sehr effizient ist, waren die Möglichkeiten für uns, Dinge zu ändern, relativ gering. Die große Herausforderung lag darin, diesen Prozess genau zu verstehen und dann zu wissen, wo man ansetzen kann.

"Chess" entsteht in einer Zusammenarbeit zwischen Magis und dem Metallschrank-Spezialisten Fami.

Die Maße waren also schon vorgegeben?

Konstantin Grcic: Ja, da konnten wir nichts ändern. Die Schränke sind ja aus Blech, die werden gebogen und gefaltet, schließlich wie Papierschachteln zusammengesetzt und verschweißt. Diese Schweißanlangen sind raumfüllend, die kann man nicht mal eben umbauen, weil wir den Schrank zehn Zentimeter oder auch nur zwei Zentimeter breiter machen wollen. Also mussten wir die bestehenden Formate beibehalten. Allerdings produziert Fami eine unglaubliche Bandbreite von diesen Schränken und unsere Aufgabe bestand dann darin, die Formate herauszusuchen, die interessant sind oder relevant für die Situationen, die wir uns konkret vorgestellt haben. Also: Wie groß muss ein Küchenschrank sein? Oder eignet sich so ein Schrank für ein Schlafzimmer? Wenn ja, wie groß muss er sein? Wir haben das alles durchgespielt, sehr klar, bildhaft und real. Jetzt stehen acht Formate zur Wahl, mit Schubladen oder Schiebetüren.

Und wo gab es dann Möglichkeiten einzugreifen?

Konstantin Grcic: Die eigentlichen Schränke sind unheimlich komplex, mit Lochungen etc. Das kann man alles weglassen. Bei der Magis-Kommode kann man mit Magneten ganz einfache Trenner reinstellen, das ist was ganz anderes als das, was jemand braucht, der in so einem Möbel seine Schrauben oder Werkzeuge aufbewahrt. Solche Dinge haben wir verändert. Das Offensichtlichste ist natürlich der Holzgriff, den wir hinzugefügt haben. Da kommt ein ganz anderes Material ins Spiel, was ganz stark aus der Wohnwelt kommt und hilft, dieses Projekt zu domestizieren. Holz ist ein warmes Material, es ist haptisch ganz anders und bildet einen Kontrast zum Blech. Außerdem haben wir die Schränke durch einfache Sockel erhöht, das ist untypisch in deren Typologie. Es sind alles keine spektakulären, sondern sehr einfache Eingriffe. Aber die erfordern viel Analyse, Studium und Ausprobieren. Das klingt nach einer trockenen Arbeit, ist aber sehr spannend. Vielleicht hauptsächlich deshalb, weil es gleich sehr konkret ist, man arbeitet mit einer Materie, die es schon gibt und man greift gleich in den bestehenden Prozess ein. Es war sicher hilfreich, dass Fami eine italienische Firma ist, wo die Mentalität sehr offen ist und alle Mitarbeiter sehr enthusiastisch waren zu sehen, was passiert, wenn wir ihr Produkt in die Hand nehmen. Am engsten haben wir mit den Technikern zusammengearbeitet und ich verspüre wirklich ein Glücksgefühl, wenn ich an so einem Projekt arbeite und direktes Feedback bekomme von den Menschen, die da involviert sind. Wir haben nichts Neues erfunden, "Chess" basiert auf einer sehr einfachen Idee, aber das Resultat ist ein sehr gutes Produkt.

Die Schubladen von "Chess" stoppen an einem bestimmten Punkt, ziehen sich nicht automatisch allein hinein.

Konstantin Grcic: Ja, über die Schubladen haben wir lange diskutiert. Das "Selbst-Hineinziehen" ist ja inzwischen ein Standard, den man erwartet. Aber in dem Zusammenhang, wie Fami Auszüge verwendet, da wird dieser Komfort nicht gebraucht. Die Schubladen können eine Last von 300 Kilogramm tragen, das kann keine andere Schublade. Wenn wir von deren Auszügen weggegangen wären, um den Komfort zu gewinnen, hätten wir an einer anderen Stelle einen Kompromiss machen müssen. Das wären in diesem Fall die Kosten gewesen.

"Chess" wird in acht Varianten und zwei Farben angeboten.

Und wie steht es mit den Farben?

Konstantin Grcic: Da haben wir uns auch erstmal auf zwei Farben beschränkt, weil es sonst wieder teurer geworden wäre. Fami ist nicht so flexibel in der Produktion, um zu konfektionieren, einen "Chess"-Schrank in blau zu machen, dann einen in gelb und einen in rosa. Für uns bestand die interessante Herausforderung darin, aus einer ganzen Palette zwei Farben herauszusuchen.

Wie ist es dann zu Weiß und Rot gekommen?

Konstantin Grcic: Eine dunkle, eine helle, eine Farbe-Farbe, eine Nicht-Farbe, eine wärmere Farbe, eine kühlere Farbe… Rot assoziiert man vielleicht – das klingt jetzt schrecklich banal, wenn ich es sage – eher mit einem Holzton, Weiß kommt vielleicht eher aus der Küche, dem Bad oder dem Büro. In der Zukunft sind natürlich andere Farben nicht ausgeschlossen…

"Barbican" für Established & Sons ist eine Reminiszenz an die Architektur des Brutalismus.

Established & Sons hat ein neues Sofa von Ihnen im Programm: "Barbican".

Konstantin Grcic: Ja, dabei sollte es zunächst um die Überarbeitung oder Erweiterung eines Sofas sein, was wir früher mal gemacht haben. "Cape" war ja recht einfach mit dieser Decke drüber. Wir haben diskutiert, ob man dieses sehr lineare Sofa erweitern kann in andere Formationen, ein L oder eine Insel. So haben wir angefangen, aber dann relativ schnell gemerkt, man kann das alles machen, aber es wurde extrem kompliziert, aufwendig und teuer. Und dann haben wir irgendwann stopp gesagt, wir lassen "Cape" "Cape" sein und entwickeln ein neues System mit diesem Anspruch, dass man Elemente schafft, aus denen man Formationen bauen kann. Das, was Established & Sons hier zeigt, sind nur zwei von fünf oder sechs unterschiedlichen Elementen, aus denen man Dinge bauen kann.

Wie ist "Barbican" konzipiert?

Konstantin Grcic: Bei "Barbican" haben wir eine Basis geschaffen, eine Geometrie, und hinzu kam dann die Sitzauflage in Form einer dünnen Matratze plus das Kissen. Die Idee, die muss ich jetzt verkürzen, denn die Prozesse sind immer viel komplizierter und man dreht viele Umwege, um zu einem Ergebnis zu kommen… Wir haben also die Basis, ein Standard mit einem bestimmten Stoff, der immer gleich ist und wie ein Pullover darüber gezogen wird. Was bei einem Polstermöbel das Spiel ist, die veränderlichen Szenarien, das sind der Stoff und die Farben. Das meiste Volumen ist Standard und nur das, womit man wirklich in Kontakt ist, also die Sitzauflage und das Kissen, diese kleinen Dinge haben wir aus einem aufwändigeren Material gemacht. Die Kissen sind alle beidseitig, man hat also nicht nur einen Stoff und eine Farbe, sondern zwei Stoffe und zwei Farben. Diese Elemente erlauben tatsächlich ein Spiel, gewisse Farben hat man eher im Frühling oder im Winter, man kann das Sofa in sehr unterschiedlichen Ausführungen erscheinen lassen.

Ist das nicht zu marketingmäßig gedacht?

Konstantin Grcic: Das lässt mich gerade aufhorchen… Tatsächlich haben wir überhaupt nicht marketingmäßig gedacht. Irgendwie sind wir in der Entwicklung dahingekommen, das hat für uns Sinn gemacht oder das Projekt geöffnet. Das Spielerische, was da drinsteckt, hat uns gefallen. Und das finde ich eine Möglichkeit für ein Sofa, das muss ja auch nicht jedem gefallen. Das Interessante an dem „Fundament“ plus Auflagen schafft einen ganz anderen Komfort, die Kissen sind mobil, man kann sie sich hinrücken, das ist eine sehr gute und einfache Form, das Möbel veränderbar zu machen. Und dann kam einfach diese Idee, mit dem Stoff der Kissen zu spielen. Meine Idee davon war sogar noch viel wilder. Das ist nichts, was ich normalerweise machen würde. Aber genau das ist das Gute an so einem Projekt, dass man auf einen Pfad kommt, der einen aus dem eigenen Territorium wegbringt, wo man sich auskennt und sicher fühlt. Das macht Spaß, aber wir haben es dann wieder gedrosselt.

Noch eine Grcic-Premiere auf dem Salone del Mobile: Der Stuhl "Cup" für Plank.

Wieder ein ganz anderes Objekt ist der Stuhl "Cup" für Plank.

Konstantin Grcic: Ja, das geht es wieder um ein ganz anderes Material, eine ganz andere Technologie. Der Transfer ist spannend: Da gibt es diesen Koffer, ein faszinierendes Produkt. Ist das, was der leistet übertragbar auf etwas, was wir im Möbelbereich brauchen? Es handelt sich um ein sehr leichtes Material, was extrem resistent ist und eine große Flexibilität hat. Der Stuhl "Cup" wirkt sehr technisch, ist aber sehr bequem. Was mich bei den Koffern fasziniert, ist, dass der Reisverschluss direkt in die Plastikschale eingenäht wird, die Nähmaschinennadel geht durch die Kunststoffschale hindurch. So, dachte ich, würden wir das Polster auch in den Stuhl einsetzen. Aber am Ende haben wir das eliminiert, weil es sehr teuer war und gar nicht so unbedingt notwendig. Dann gibt es beim Koffer immer das Rollenelement oder den Griff, alles extrem präzise. Wir haben Teile entwickelt, die die Sitzschale mit dem Metall verbinden. Ich finde, das gibt es gar nicht so oft, eine konkrete Inspiration oder eine Referenz, die sich so auf ein Produkt übertragen lässt. Aber in diesem Fall hat das funktioniert, das Resultat ist ein Stuhl, der in der Herstellung sehr smart ist, dazu komfortabel und leicht.

Lassen Sie uns noch über Ihr Studio sprechen, da stehen Veränderungen an?

Konstantin Grcic: Ja, das Studio verändert sich. In München löse ich alles auf, in der ersten Maiwoche findet der Umzug nach Berlin statt. Das bedeutet wirklich einen Neustart. Nicht im Sinne von "ganz bei Null anfangen", aber in Sachen Struktur fange ich neu an. Es wird zunächst nur eine neue Mitarbeiterin geben, die aus dem Management kommt und mit der ich die neue Struktur aufbauen will. Für mich bietet der Umzug die Gelegenheit zur Erneuerung. Ich erfinde mich nicht neu als Designer, aber für mich stellt sich die Frage, ob ich nicht in mancherlei Hinsicht in der Zukunft anders arbeiten könnte. Bisher haben sich die Dinge immer eher ergeben. Jetzt will ich mit der Erfahrung von so vielen Jahren aus dem Trott heraustreten und das Studio neu aufbauen. Das braucht sicher Zeit. Aber die Zeit habe ich und das wird wachsen, was genau, weiß ich noch gar nicht. Ich liebe die Arbeit mit der Industrie, die will ich behalten, aber vielleicht kann ich mir Freiräume schaffen für andere Projekte, zum Beispiel Ausstellungsgestaltung. Ich will das jetzt auch gar nicht mit irgendwelchen Floskeln definieren, ich weiß es wirklich nicht. Aber die eine Sache möchte ich klarstellen: Ich gehe nicht in Frührente oder ziehe mich aufs Altenteil zurück. Ich habe totale Lust weiterzuarbeiten und durch den Umzug ergibt sich sicher eine Chance, die einzigartig ist an so einem diesem Punkt in meiner Karriere. Die Zäsur ist eine Möglichkeit, Dinge neu zu denken.

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