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REVIEW – imm cologne 2024
Von einsam zu gemeinsam

Die imm cologne fand vom 14. bis zum 18. Januar 2024 in Köln statt, das erste Mal nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie wieder zum gewohnten Januartermin. Unser Review.
von Anna Moldenhauer | 18.01.2024

Viel hat sich seit der letzten regulären Ausgabe der imm cologne im Jahr 2020 verändert, viel wurde diskutiert über Sinn und Unsinn des Konzepts der Fachmesse, die Courage in Experimente zu investieren und die Notwendigkeit einer transparenten Kommunikation, die auch in Krisenzeiten Vertrauen schafft. "Connecting Communities" hieß das Leitthema der imm cologne in diesem Jahr – geplant war ein "interior business event", dass die zahlreichen MesseteilnehmerInnen der Branche verbinden soll, so Matthias Pollmann, Geschäftsbereichsleiter Messemanagement der imm cologne auf einer Pressekonferenz im Oktober 2023. Schaut man auf die blanken Zahlen, gab es 750 angemeldete Aussteller, darunter 640 internationale und 110 nationale Unternehmen. 2020 waren es noch 1.233 Aussteller, viele große Unternehmen fehlten in diesem Jahr, zahlreiche Flächen wurden infolgedessen nicht bespielt. Stattdessen bildeten sich neue, gleichberechtigte Showroom-Gemeinschaften, wie seitens der Marken Draenert, freistil Rolf Benz, Kettnaker, Object Carpet, Rolf Benz, Schönbuch und Walter Knoll. In der Designpost durfte zudem "Schnee by Studio Niruk" entdeckt werden, die erste Ausstellung des Formats "welcome design friends. Showtime" von Welcome Design PR. Das Team wählte hierfür weiße Objekte von AgenturkundInnen wie FreundInnen aus (Ege Carpets, Gabriel A/S, Gira, Kober Porzellan, Koeber Landschaftsarchitekten, Leolux, Nomad, Olivari, Pode, raasch, Richard Lampert, Niruk, Vario, Wood & Washi) und kuratierte diese zu einem Erlebnisraum. Studio Niruk stellte zudem in der Designpost ihren Kompositwerkstoff "Corcrete" aus, der dieses Jahr in Kooperation mit den Produzenten Hartis in den Markt eingeführt werden kann. Die Korkbeton-Platten eignen sich sowohl für den Möbelbau als auch zur Wand- oder Deckenverkleidung, sind leicht, wirken schalldämpfend und bieten eine haptisch angenehme Oberflächenwirkung.

Dallmer, Alape und Laufen schlossen sich für eine Ausstellung zum "Lebensraum Bad" in den Kölner Passagen im "Stoff-Pavillon Moeller" zusammen, einem denkmalgeschützten Gebäude des Architekten Wilhelm Riphahn aus den 1950er Jahren. Meiré und Meiré zeigte in Kooperation mit J*Gast, Plateau Candy und der Marke Typ eine Ausstellung in der Meiré und Meiré Factory. Diese bot sowohl Raum für neue Interpretationen bisheriger Entwürfe – sei es der in die Höhe gestapelte "D1" Stuhl in Neonrot von Bauhaus-Designer Erich Dieckmann oder Sofas mit neuen Bezügen der italienischen Architektin und Designerin Cini Boeri – wie sie mit Blick auf das revolutionäre Küchensystem "J*Gast" des gleichnamigen Kollektivs zukunftsweisende Projekte vorstellte. Teil des Events war zudem ein von Oliver Jahn geführter Talk, indem der Bogen von den Themen Handwerk, über Innovation und Nachhaltigkeit bis zur künstlichen Intelligenz gespannt wurde.

Sonderfläche Community Circle: Future Factory Furniture

Mehr Raum für neue Ideen

Die einst aufwändige Standarchitektur mit zahlreichen Stellwänden wich in den Messehallen der imm cologne zugunsten der Nachhaltigkeit luftigen Präsentationen mit Vorhängen; der zuvor stets gegenwärtige Teppich war aus den Gängen final verschwunden. Weniger war mehr, auch mit Blick auf die Hallenbeleuchtung, in der so manche Präsentation etwas duster wirkte. Umso erfreulicher allerdings, dass die Schau der zwölf SiegerInnen des Pure Talents Contest 2024 nun mitten in der Halle vier eine großzügige Fläche zur Verfügung hatten, um ihre innovativen Ideen vorzustellen. Wie das faltbare Dreisitzer-Sofa "Ballast" von Anton Defant, seine Diplomarbeit an der Universität für angewandte Kunst Wien oder das Projekt "Wasted Treasure" von Carolin Schelkle, Studentin an der ECAL, in der sie die Biomasse nutzt, die bei der Herstellung von Palmprodukten anfällt, um eine Alternative zu konventionellen Baumaterialien zu schaffen. Carla Farré González stellte ihre Bachelorarbeit aus der Elisava School für Design and Engineering vor: Ein System aus Aluminiumrohren und Kozo-Washi-Papier, das Innenbeleuchtung und Raumtrennung verbindet. Benedikt Stonawski und Hauke Unterburg von ante up schufen für die Schau die Rauminstallation "Undergrowth" aus Holz und recycelten Tetra Paks, die komplett in den jeweiligen Kreislauf zurückgeführt werden kann. Zudem konnten die BesucherInnen den "Tom Table Oak Wood" und den "Opponent Stool" des Duos erkunden.

Parallel durften die drei "Installation Circles" entdeckt werden, skulpturale Installationen, gestaltet von Studio Dessí, Raw-Edges Design Studio und Vantot, die auf runder Fläche jeweils ein Setting boten, das ganz im Sinne von Kreislaufsystemen und Ressourcenschonung stand. Marco Dessí nutzte so für "Welcome to stay" aufblasbare Elemente und geliehene Halbfabrikate, mit denen er eine temporäre Plattform kreierte, auf der die Stühle "Tecta D70" und "Thonet 520" sowie die "Cima"-Leuchten von Lodes und das Kunstobjekt "Sea of Storys" von Quirin Krumbholz Platz fanden. Raw Edges setzen für "Sense of Surface" auf digital bedruckte Vorhänge im mehrschichtigen Aufbau und Leuchtobjekte aus 3D-gedruckten Mesh, das als flache Struktur erst vor Ort geformt wird und somit sowohl Material spart wie den Transport erleichtert. Vantot schuf mit "Impact of Light" eine filigranes Rastersystem mit punktuellen Spots, das sowohl einen offenen Außen- und einen dunkleren Innenbereich bietet.

Freifrau: "Mia" von Ilja Huber
Luiz: "Bisou" von Peter Fehrentz
Parla: "Hew" von Matthew Goodrich und Hines Fischer

Rückzug in die Polster

Auf den Messeständen wurde es kuschelig: Das Bedürfnis nach Schutz und Trost in Krisenzeiten wurde in flügelförmigen Armlehnen übersetzt, die für die sitzende Person eine Umarmung andeuten. Die doppellagigen Rückenlehnen des modularen Sofas und des Sessels "Nesting" gestaltete Steven Dahlinger so flexibel, dass diese zu einer Abschirmung aufgeklappt werden können. Realisiert wurde das Projekt, das im Fach Industriedesign an der Angewandten in Wien unter der Leitung von Stefan Diez entstand, in Kooperation mit dem Möbelhersteller Wagner. Bei Leolux durfte man auf dem Sofa "Loya" von Studio trulytruly Platz nehmen, das wie aus einem Guss wirkt und von den Lehnen bis zur Sitzfläche komfortable Blöcke bietet. Selbst das Untergestell ist gepolstert und kann in einem anderen Material als der Rest des Sofas gewählt werden. Jehs+Laub entwarfen mit dem Sofa "Nook" (dt. Schlupfwinkel) für COR einen sprichwörtlichen Rückzugsort mit hohen Rücken und ansteigenden Armlehnen. Die softe Masse in großzügigen Dimensionen zeigte sich auch anhand dem "Elliot Lounge Chair" von Lucie Koldova für Team7 Möbel oder den drei Outdoor-Neuheiten der "Leyasol"-Kollektion von Hoffmann Kahleyss Design für Freifrau – von der Hollywoodschaukel bis zum Sun Lounger bietet diese eine extra weiche Polsterung.

Rolf Benz: "KIO" von Sebastian Herkner
Cor: "Echo" von Lukas Heintschel

Für Sofalandschaften war zudem Modularität gefragt, die Werner Aisslinger mit "Loop" für ipdesign/JAB beantwortete, inklusive dem passenden Sesselmodell. Matthew Goodrich und Hines Fischer setzen in ihrer Polstermöbelkollektion dem Stoff massive Holzecken entgegen, die dessen fließende Bewegung formal rahmen. Wer nicht nur im Sitzen, sondern auch im Schlaf vom Design sanft umfasst werden möchte, war beim Textillabel Luiz an der richtigen Adresse: Die feststehenden Paneele des neuen Bettes "Bisou" von Peter Fehrentz lassen sich mit zwei fixen oder klappbaren Seitenteilen ergänzen. Für Kopfteil und Bettrahmen kann aus über 130 Bezugstoffen gewählt werden. Auf der imm cologne saß man in der Regel tief, auf bodennahen Sofas wie dem Sofa-System "Mia" von Ilja Huber für Freifrau, und Sesseln wie Stühlen mit verkürzten Beinen. Passend zum "Low Dining" gab es niedrige Beistelltische, vorzugsweise mit ovalen oder runden Platten, die vermehrt aus Glas gefertigt werden. So stellte COR den Beistelltisch "Echo" von Lukas Heintschel vor, ein zylindrischer Sockel mit runder Tischplatte, die wahlweise aus beschichtetem Glas oder Parsol besteht, einem getönten Floatglas mit reflektierender Oberfläche. Für die Polsterung des Sockels kann zwischen Stoff und Leder gewählt werden. Dazu lässt sich die Tischplatte von diesem einfach abdrehen. Rolf Benz zeigte unter anderem den runden Couchtisch "KIO" von Sebastian Herkner, dessen Stahlfuß eine Glasoberfläche in Grau oder Bronze trägt.

Neue Ausstellungsfläche für Création Baumann in der Designpost von Studio Besau-Marguerre

Neutral bis giftig

Ein Retro-Wohlgefühl mit viel Volumen, das selten in der Pantone Trendfarbe 2024 "Peach Fuzz" präsentiert wurde, stattdessen vorzugsweise in neutralen Tönen von Ecru bis Hellgrau, erdigen Rot- und Grüntönen sowie knalligen Kontrasten in Acid Yellow oder Neonorange. Einen Farbrausch mit frei gehängtem Textil kreierte Studio Besau-Marguerre für die neue Ausstellungsfläche von Création Baumann in der Designpost: "Für die Ausstellungsfläche von Création Baumann wollten wir ein aufmerksamkeitsstarkes Erscheinungsbild generieren, das kein klassisches Showroomfeeling vermittelt. Wir zeigen Vorhänge als architektonisches, raumbildendes Element, das die ikonische Architektur der Designpost aufgreift und so auf subtile Weise auf die textile Kompetenz der Marke Création Baumann verweist", so Eva Marguerre. Bei Sahco wurde es indes wild – florale Muster trafen auf Animal Prints. Kvadrat setzte da mit "Rumor" von Bertjan Pot, das erste gestrickte Textil von Kvadrat Febrik, das aus über 70 Prozent recyceltem Polyester hergestellt wird, eher auf eine optische Tiefe mit wechselnder Farb- und Musterintensität. Spannende Strukturen mit Bouclé-Charakter waren auch bei Rohi mit "Cento" aus reiner Schurwolle zu sehen. Schönbuch tauchte derweil die hochglänzenden Fronten der Kollektion "Canvas" von Christian Haas in strahlendes Blau mit kontrastreichen Akzenten in Orange.

Sind bei den Polstermöbeln derzeit großzügige Maße gefragt, bieten die vorgestellten Stauraummöbel flexible Lösungen, wie die Schubfachkommoden "Relief" von Taf Studio für String Furniture, die einzeln wie im Verbund funktionieren und besonders tiefe Schubladen bieten. Da die GestalterInnen auch die Rückwand miteinbezogen haben, kann die Kollektion ebenso als Raumteiler dienen. Der Tisch "Extend" von Arco hat es in sich: Versteckt unter der Platte sitzt ein Auszug, der es ermöglicht, diese um einen ganzen Meter zu verlängern. Müller Möbel zeigte unter anderem platzsparende Homeoffice-Möbel wie den Wandsekretär "Flai" von kaschkasch oder "Flatmate" von Michael Hilgers in einer Sonderedition mit Oberflächen aus Linoleum sowie das Bett "Spaze" von kaschkasch, das Schubkästen mit Vollauszug bietet. "Tavi" von Interlübke lässt sich mit einer großen Auswahl an Drehtüren, Schubkästen und Klappen als Side-, High-, oder Lowboard sowie als Solitär konfigurieren, die Oberflächen können individuell gestaltet werden. Wie ästhetisch passgenaue Lösungen aus Massivholz sein können, unterstrich parallel die Massivholz-Manufaktur Tischlerei Sommer mit einer eindrucksvollen Präsentation von Sonderanfertigen, wie Arbeitsblöcken und Schrankmonolithen aus Eschenholz, in die ein Backofen integriert werden kann.

Für Thonet dachte Sebastian Herkner den Freischwinger "S 32" und die Variante "S 64" mit Armlehnen von Marcel Breuer weiter und kuratierte die Kollektion "Rethinking Classics: S 32/S 64 Dark Melange" mit dunkel changierendem Rohrgeflecht. Zudem durfte auf der Fläche des Traditionsunternehmens das Modell "118 Fine Dining" von Sebastian Herkner entdeckt werden: Auf einer Basis aus Buchenholz kann sowohl die Farbe wie die Sitzfläche an den jeweiligen Bedarf angepasst werden: Vom Sitzpolster über den Muldensitz bis zum klassischen Rohrgeflecht. Dem Handwerk gab auch Florian Hauswirth für Zeitraum eine Bühne und entwarf die Kollektion "Alpenraum" aus Holz: Hocker "Vna Stool", Barhocker "Vna Bar" und Tisch "Vna Dine". Inspiration bot die Stabelle "Vna Chair", dessen Lehne und Beine in die Sitzfläche gesteckt werden. Wagner Living zeigte in der Designpost ihre Kompetenz für das Gesamtkonzept mit wohnlichem Setting, inklusive dem innovativen "D2" System von Stefan Diez und einer großen Varianz an Sitzmöglichkeiten, die stilvoll die Rückengesundheit stärken. In Kooperation mit Thorsten Franck sowie dem Architekten und Designer Hadi Teherani ist aktuell beispielsweise der Aktivhocker "W3D" im 3D-Druck aus recyclebarem Bio-Kunststoff entstanden, dessen Form textilgleich anmutet und der nun mit dem passenden Tisch ergänzt wurde.

Marset: "Fragile" von Jaume Ramírez
Lodes: "Cono di Luce" von Ron Arad
Blomus: "Iris" von Sebastian Herkner

Überraschend viele Leuchten waren in diesem Jahr auf der imm cologne wie in der Designpost zu sehen, wie die Stehleuchte "Xio" von Dick Spierenburg für HollandLicht, eine flache Scheibe auf schlankem Fuß, die mit einem Überzug aus Textil mehr Tiefe erhält oder die neue Version der "Cono di Luce" von Ron Arad für Lodes als Tischleuchte. Sammode präsentierte neben der revidierten Edition von Pierre Guariche unter anderem Stehleuchten von Normal Studio, die dem industriellen Charakter der "Paname"-Kollektion eine neue Ebene schenken. Bei Blomus leuchtete die tragbare LED-Tischleuchte "Iris" von Sebastian Herkner, die mit robustem Glasschirm und einer Aluminiumbasis sowohl drinnen wie draußen verwendbar ist. Marset bot unter anderem die Leuchte "Fragile" aus Glas von Jaume Ramírez, dessen geometrische Formen ein harmonisches Zusammenspiel ergeben: Ein Kegel und eine Kugel sind die Basis für einen Zylinder, der das Umgebungslicht von unten abstrahlt.

Neben Lodes waren ebenso die Leuchtenhersteller Secto Design und Quasar neu in der Designpost. Dessen Bedeutung als Showroom und Plattform wurde in diesem Jahr noch einmal verstärkt: Die Unternehmen nunc, Sicinch, Nikari und Tubes bezogen neue Ausstellungsflächen, Weisshäupl und Wünder organisierten Pop-up Ausstellungen. Ebenso war der Dreiklang aus imm cologne, Designpost und Innenstadt neu erlebbar, sei es mit Blick auf die Gruppenausstellungen in den Passagen oder der Eröffnung des ersten Showrooms von Minotti in Köln. Das "Miteinander" bekam zum Jahresauftakt neuen Aufwind, der Fokus auf das Wesentliche einen höheren Stellenwert. Das unterstützte die imm cologne auch mit den "Circles" in den Hallen – Café, Bar, Loungebereich und Studio, die dem lockeren Austausch wie als Bühne für Talks dienten. Ein Produkthighlight in punkto Cafékultur durfte zudem in der Designpost erlebt werden: Ligre stellte die neue Siebträger-Maschine "Ligre youn" von Relvāokellermann vor, die in den Ausführungen black-mat, silver-beige gewählt werden kann und sowohl ästhetisch wie funktional außergewöhnlich ist: Klares Design, intuitive Bedienung, leise im Betrieb und eine Aufwärmzeit von nur sechs Minuten.

Ligre: "Ligre youn" von Relvāokellermann

Verhalten optimistisch

Mit "Connecting Communities" zum Jahresauftakt 2024 eine positive Atmosphäre zu schaffen – das ist dem Trio imm cologne, Designpost und Passagen gelungen. Die reduzierte Anzahl der teilnehmenden Unternehmen und die Fokussierung auf das Kollektiv brachte nicht nur die Sorge um einen drohenden Abgesang aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit mit sich, sondern auch Chancen: Für qualitative Gespräche, mehr Sichtbarkeit für junge Talente wie aufstrebende Hersteller, nachhaltige Präsentationen und einem gleichberechtigten Miteinander der etablierten Marken, die sich so gegenseitig stärken. Es könnte der Start eines zukunftsweisenden Konzeptes sein, das die Koelnmesse in den letzten Jahren vermissen ließ. Neue Wege müssen nicht perfekt sein, aber für das Vorankommen der Branche ist der Mut sie zu beschreiten unabdingbar.