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Der Stand des sogenannten Cor Labs, für das RelvãoKellermann, Pauline Deltour, Uwe Fischer und Aust & Amelung Entwürfe geliefert haben.

IMM COLOGNE 2018
Kommst Du mit in den Alltag?

Das fragte die Band Blumfeld schon 1999. Und es könnte auch das Motto der imm cologne 2018 sein: Fröhliche Normalität statt aufgeregter Sensationsmacherei. Unser Messerückblick
von Fabian Peters | 23.01.2018

Seit Jahren gehört es zum festen Bestandteil der PR-Lyrik im Möbel- und Design-Business, zu betonen, wie gut sich doch das jeweilige Produkt in das Alltagsleben einpasst, wie gut es doch unkomplizierter Bestandteil der tagtäglichen Routine werden könnte. Fast scheint es, als hätten Hersteller und Messegesellschaft heimlich auch die imm cologne 2018 unter ein solches Motto gestellt. Unverkennbar ist jedenfalls, dass eine gewisse Entschleunigung und Normalität eingekehrt ist, dass nach Jahren der Neuausrichtung eher Beständigkeit und evolutionäre Weiterentwicklung im Mittelpunkt stehen – Alltag im besten Sinne.

Design für Architekten

Für die Messe selbst bedeutet das: Der Pure-Bereich, das Areal der design-orientierten Hersteller in den Hallen 2, 3 und 11, ist inzwischen fest etabliert. Sonderschauen wie "Das Haus" und die "Featured Editions" sind eingeführte und beliebte Bestandteile des Programms. Man hat den Pure-Bereich in diesem Jahr nun noch um "Pure Architects" in der Halle 4.2 ergänzt und will damit das Thema Haustechnik stärker abdecken. Dafür konnten eine Reihe namhafter Hersteller wie Jung, Gira, Laufen oder Vola überzeugt werden, in diese Halle umzuziehen oder sogar erstmalig an der imm teilzunehmen. Allerdings ist die Fläche zurzeit offenbar noch zu groß, als dass die bekannten Player dominieren. Für den Besuchter bedeutet das, sich nach dem Betreten des Halle zunächst einen Weg durch kleine Messeständen mit teils abseitigen Produkten zu bahnen. Wohl dem, der weiß, was ihn am entgegengesetzten Ende erwartet. Das große "Smart Home"-Mock-up, eine Attraktion der Halle, wurde ebenfalls etwas versteckt in einer Ecke aufgebaut und könnte zukünftig noch etwas attraktiver und zugänglicher für die Messebesucher gestaltet werden.

Lichtregen im Spa-Bereich des "Hauses" von Lucie Koldova.

Lichtregen ohne Dach

Das zweite Modellhaus der imm, "Das Haus" nämlich, mit dem alljährlich ein Designer einen ganz persönlichen Ausblick auf die Zukunft des Wohnens wagt, verantwortet in diesem Jahr die Tschechin Lucie Koldova. Sie hat sich hierfür intensiv mit dem Schwerpunktthema "Licht" auseinandergesetzt und eine Vielzahl unterschiedlicher neuer Beleuchtungselemente entworfen. Zumeist sind dies Glaslampen, schließlich resultiert Koldovas guten Ruf in wesentlichen Teilen aus ihrer Arbeit für die böhmische Glasbläserei Brokis. Sie arbeitet aber auch etwa mit großflächigen Leuchtwänden. Nicht ganz einfach hatte es die Designerin durch die Tatsache, dass ihr "Haus" aus Sicherheitsgründen ohne Decke bleiben musste – die Hallenbeleuchtung als zusätzliche Lichtquelle war permanent vorhanden. Dadurch ließen sich die unterschiedlichen Lichtstimmungen, die Koldova für ihre Räume geplant hatte, nur schwer realisieren. Einen schönen Effekt erzielte die Designerin mit den mittels Lichtsteuerung auf- und abblendenden bunten Lichtkugeln im Spa-Raum, die ein wenig an perlende Regentropfen erinnern. Einem der Wohnräume verleihen Glasgloben, die rote und graue Leuchtkörper umschließen, ein wenig Seventies-Flair. An einigen Stellen allerdings hat Koldova des Guten zu viel gewollt. Dort hebt sie den Eindruck durch verschiedene, gegeneinander arbeitende Lichtquellen auf, anstatt sich auf die Wirkung eines guten Entwurfs zu verlassen. Und auch die Möblierung, die mehrheitlich nicht von Lucie Koldova selbst stammt, ist nicht immer glücklich ausgewählt.

Postmodernes gab es nur bei Draenert in der Jubiläumsrückschau zum 50. Firmenjubiläum: Sekretär F1 von 1985 und Stuhl F3 von 1986.

Same Same But Different

Auf der Ausstellerseite bestimmte Kontinuität das Bild. Das impliziert allerdings, dass man bei der Entwicklung der Kollektionen Vorsicht und Augenmaß walten lässt und das Risiko nicht eben sucht. Man setzt vorerst größtenteils auf bereits bewährte Formen, so dass einschneidende Veränderungen sich erst sehr behutsam ankündigen. Wer etwa erwartet hat, dass die Mid-century-Welle abebbt und beispielsweise einer Rückkunft der Postmoderne Platz macht, sieht sich getäuscht. Hier zeigen sich allenfalls ganz zarte Anzeichen.

Auch farblich bleibt das bereits bei der vergangenen imm dominante Spektrum der Rosa- und Pudertöne allgegenwärtig, gern in Verbindung mit Kontrasten in Terrakotta oder Ochsenblut. Allerdings treten zahlreiche Grünschattierungen und verstärkt auch Brauntöne auf. Wer im Übrigen befürchtet hatte, dass die imm 2018 in einem Meer von Samt ertrinken würde, sieht sich eines Besseren belehrt. Stattdessen sind Bouclé- und auch Kreppstoffe wieder auf dem Vormarsch. Auch die "Messing-Manie" scheint ihren Zenit überschritten zu haben – Chrom und Edelstahl nehmen ihre angestammten Plätze zunehmend wieder ein.

Zeigt kein Bein: Das neue "Moss"-Sofa von Jehs + Laub für Cor.

Grafisch, beinlos und oval

In der Formensprache ist der Trend zu grafischen, geometrischen Entwürfen gerade im jüngeren Design ungebrochen. Vielleicht sind die Auswirkungen der sozialen Medien ablesbar, lassen sich doch diese häufig ausgesprochen fotogenen Entwürfe perfekt im Internet verbreiten. Anderes wird eher nur in Ansätzen sichtbar. So scheint vorerst die Zeit wieder abgelaufen, in der neue Polstermöbel zwingend auf deutlich sichtbaren Füßen zu stehen hatten. Bei Neuvorstellungen wie etwa dem Sofa "Moss" von Jehs + Laub für Cor reicht der Korpus wieder bis wenige Zentimeter über den Boden herunter. Auch die lange, rechteckige Tafel, für viele Jahre die mehr oder minder alleingültige Form des größeren Esstisches, erfährt langsam Konkurrenz durch neue Tische in Ovalformen, wie etwa dem "Moualla Table" von Neptun Ozis für Walter Knoll. Fast bei allen größeren Herstellern im "Pure"-Areal stehen zudem in diesem Jahr großformatige Couchtische als Neuheiten auf den Messeständen – hier wird offenbar ein sehr großes Abstellbedürfnis beim Konsumenten vermutet.

Sebastian Herkner mit Varianten seines Stuhls "118" auf dem Thonet-Stand.

Die Sebastian-Herkner-Festspiele

Was für die Formen und Farben gilt, gilt gleichermaßen für die Designer: An bewährten Kräften wir festgehalten. Weiterhin ein Mann der Stunde ist fraglos Sebastian Herkner, der gleich bei sechs namenhaften Herstellern, nämlich Thonet, Wittmann, Schramm, Pulpo, The Rug Company und Schönbuch mit Premieren vertreten ist. Am konzentriertesten erscheint Herkner dabei in den Arbeiten für Thonet und Schönbuch. Sein Stuhl "118" ist eine unaufgeregte und gleichzeitig präzise Übersetzung klassischer Thonet-Elemente in einen sehr zeitgemäßen Entwurf, bei der er sein Talent, gefällig ohne substanzlos zu sein, erneut voll ausspielt. Ähnliches gilt für den Barwagen "Grace", den er für Schönbuch gestaltet hat und bei dem er die simplen geometrischen Formen in einen sehr sorgsam austarierten Zusammenhang gestellt hat.

Das "Norm Tray" von Norm Architects für Authentics kann an die Wand gehängt werden.

Altmeister und Hit-Garanten

Einer der erfreulichsten Ereignisse der imm 2018 war die Präsentation der Entwürfe des sogenannten "Cor Labs", der neuen Linie des Traditionsmarke Cor. Mit einer Reihe neuer Produkte, die von den vier Designern und Designstudios RelvãoKellermann, Pauline Deltour, Uwe Fischer und Aust & Amelung entwickelt wurden, möchte der Polstermöbelspezialist am Trend zum wohnlichen Büro partizipieren. Die vorgestellten Möbel sind durch die Bank weg als gelungen zu bezeichnen und lassen auch sofort an eine Verwendung im Wohnbereich denken. Pauline Deltours Hocker und Pouf "Drop" etwa kann man sich problemlos gleichermaßen in öffentlichen Räumen wie im Wohnzimmer vorstellen. Auch ihr Sofa "Floater", dass in seiner hohen Polsterumfassung auch kleine Regalelemente aufnehmen kann, ist viel zu gut, um es nicht auch in Privaträumen zu verwenden. Das gilt in gleicher Weise ebenso für all die anderen Produkte der Kollektion.

Unter den kleineren Herstellern, die in diesem Jahr ebenfalls mit Geschick ihr Portfolio erweitern, stechen Authentics (neuerdings unter der kreativen Federführung von Studio Besau Marguerre), New Tendency, Schönbuch und Echtstahl heraus, letztere mit schönen klaren Designs von Mark Braun. Auch Tecta aus Lauenförde liefert weiterhin zuverlässig positive Messeüberraschungen – nach dem originellen Klapptisch "Lot" von Wolfgang Hartauer im vergangenen Jahr nun den raffiniert konstruierten Klappstuhl D7K von Klemens Grund. Optisch von seinem starren Pendent D7 kaum zu unterscheiden, eröffnet er die Möglichkeit, nicht ständig gebrauchte Sitzgelegenheiten platzsparend zu verstauen.

Entschleuniger par excellence: Das schwingende Sofa "Swing", das Raw Edges zum 25. Firmenjubiläum von Richard Lampert entworfen hat.

Geburtstagsgeschenke

Drei Jubilare sollen am Schluss nicht vergessen werden. Vitra feiert den 50. Geburtstag des Panton Chairs mit den Modellen "Glow" und "Chrome", zwei Varianten – die eine leuchtend, die andere spiegelnd – , die dem Geist des Klassikers in besonderer Weise gerecht werden. Den fünfzigsten Geburtstag begeht auch die ikonische Tischlampe "Snoopy" der Castiglioni-Brüder. Pünktlich zu diesem Jahrestag ist die Lampe eines der meistgesehenen Objekte auf der Messe und wurde auf den Ständen gleich mehrerer Hersteller zur Dekoration herangezogen. Und schließlich der Möbelhersteller Richard Lampert: Er hat sich und andere zum 25. Firmengeburtstag mit dem schwingenden Sofa "Swing" beglückt, dessen sanfte Bewegungen selbst im dichtesten Messetrubel in tranceartige Zustände versetzten kann.