top
Versuch's mal hochkant: In der Zona Tortona, wo Moooi seine Extravaganzen vorführt, verschmelzen Witz und Opulenz zu einer ironisch grundierten Bürgerlichkeit.

SALONE DEL MOBILE 2017
Salone, kritisch betrachtet 02: Der Wunsch nach Luxus und Gediegenheit

Die aktuelle Bürgerlichkeit liebt es opulent und exklusiv. Doch auch in weit weniger hochgestellten Möbelregionen wird gerne aufgewertet.
von Thomas Wagner | 12.04.2017

Natürlich sind Salone und Fuorisalone eine große Blase, in der eines nicht vorkommt: Mangel. Hier muss einfach alles schäumen und prickeln wie der allgegenwärtige Prosecco. Der nüchterne Kunde indes betritt heute in zweierlei Gestalt den Schauplatz seiner wohnlichen Wohlfühlinseln: als Privatmann und als temporärer Bewohner öffentlicher Orte wie Lobbys, Lounges, Restaurants, Bars, Hotels – und sogar des Büros. Das mag selbstverständlich klingen, zeitigt aber längst schon Konsequenzen für die Angebotspalette, da immer mehr Hersteller Möbel anbieten, die für möglichst viele Zwecke geeignet und in vielen Bereichen einsetzbar sind.

Ausgenommen von solch marktbedingten Demokratisierungsversuchen bleiben allein die neo-feudalen Einrichtungsgesten, all das in Kupfer oder Messing gegossene und auf Marmor servierte Verlangen nach Luxus, all die in edles Leder gehüllten und auf Sofas in Chesterfield-Steppung geträumten Wünsche nach Aufwertung und Exklusivität. Mögen manche auch das Ende des Strebens nach Opulenz kommen sehen, das bereits in den vergangenen Jahren viele Interieurs geprägt und sich hauptsächlich in edlen Materialien gezeigt hat – im Universum der neuen großen und kleinen Bürgerlichkeit bleibt sie ebenso präsent wie prägend. Man muss sich nur in den edlen Arrangements von Molteni bis Potrona Frau umsehen, um zu verstehen, wie innig Sein und Schein sich hier zu einem Amalgam des Edlen und Besonderen verbinden – schließlich lässt sich mit nichts mehr Gewinn erwirtschaften als mit Illusionen und Luxus.

Die Spielarten von Luxus und Exklusivität erweisen sich bei genauerem Hinsehen freilich als weit weniger homogen als man denken möchte, und sie sind, da es im Ganzen um Aufwertungsstrategien geht, keineswegs nur oben auf der Skala der gegenwärtigen Bürgerlichkeit anzutreffen, was immer man sich genau darunter vorzustellen hat. Die Strategien reichen von eher konventionellen Möbeln aus besonderes qualitätsbetonten Materialen in exklusiver Verarbeitung bis zu überraschenden Verbindungen zwischen „High and Low“.

Gediegen muss es sein: Bei Poltrona Frau konnte man beobachten, wie man sich einrichtet, wenn das Wohnzimmer nicht groß genug und die Möbel nicht opulent genug sein können.

Im nach oberen offenen Bereich der Skala reicht das Angebot von der Wahl zwischen Lederbezügen verschiedener Qualität (was heutzutage fast jeder Hersteller anbietet) über die mittels Materialien und Verarbeitung erfolgende Nobilitierung an sich gewöhnlicher Tische oder Sessel bis hinauf zu den handwerklich exquisiten Accessoires von Hermès, die all jene bevorzugen, die noch immer fest im Sattel sitzen – oder die es gerne glauben möchten und es gerade deshalb zeigen müssen. Dazwischen angesiedelt sind die vielen Sofa-Landschaften, die nie groß genug sein können, nie üppig genug mit Kissen ausgestattet sind und dabei immer variabel und mit Tischen kombinierbar bleiben sollen. Was Walter Knoll schon lange in diversen Modellen und hoher Qualität anbietet, findet sich nun auch bei Vitra als „Grand Sofà“, gestaltet von Antonio Citterio als – fast möchte man sagen, was sonst – „eine Art ,Insel’ für persönliche Tätigkeiten“.

Andererseits beginnt das Spiel mit der Aufwertung ganz profan und ohne die gewohnten Attituden und Materialien des Luxus bereits bei Tom Dixon und seiner Kooperation mit Ikea, aus welcher der oft jugendliche Kunde nun eben auch als Ansprüche stellender König hervorgeht, der wenigstens über die Anzahl der Rückenlehnen und den Stoff der Sitzbezüge befinden darf. Der Fairness halber muss gesagt werden, dass Tom Dixon – darin sehr britisch – in seinen Kollektionen schon viele Jahre an einer demokratisierten Ästhetik der Exklusivität feilt, mit der sich viele identifizieren können, denen die Derivate von Bauhaus oder dänischer Moderne nicht genügend Bar- oder Clubatmosphäre verströmen. Mit seinem Ikea-Projekt hat es Dixon nun ohne Zweifel geschafft, die aktuelle Beteiligungskultur geschickt mit einer Aufwertungsstrategie zu verbinden. Indem 75 Studierende einbezogen und ihre Ideen ausgewertet wurden, was ein Bett alles sein könnte, entstand mehr als ein werbewirksames Experiment, wie man es unter dem Label „Pimp my Ikea bed“ zunächst hätte vermuten können. An dem Bettsofa mit Aluminiumrahmen, das unter dem Namen „Delaktig“ – was nichts anderes heißt als „Beteiligt“ – in Mailand mit großen Aufwand im wunderbar historischen Teatro Manzoni vorgestellt wurde und im kommenden Jahr in Produktion geht, lässt sich nicht viel aussetzen, zumal es genau jene Aufwertungsmechanismen offenbart, die sich ins Werk setzen lassen, wenn man Beteiligungskultur und Stardesigner kurzschließt.

Auf großer Bühne: Aufwertung ist überall angesagt, auch wenn Tom Dixon für Ikea ein Sofabett pimpt.

Doch kehren wir zurück in höhere Sphären, in denen Sofas zu Logen im großen Welttheater werden, Sessel zu Wohlfühlinseln im weiten Meer des Scheins und Teppiche zu herrlich floral-gemusterten Eskapaden. Niemand vermag das besser zu inszenieren als Marcel Wanders und Moooi – mal übertrieben opulent und mittels riesenhaften Bildern von Insekten, mal ironisch, wenn ein Chesterfield-Sofa hochkant gestellt zum Lounge-Sessel mutiert – und im Sinne eines Luxus nach Yachtclub Art, wenn Luca Nichetto die gepolsterte Sitzschale seines „Canal Chairs“ nicht nur mit maritimen Farbkombinationen schmückt, sondern auch mit seinem eigenen Wappen. Luxus und Lagune haben in Venedig eben schon immer zusammengehört.

Am Ende stellt man noch etwas trunken fest: Auf dem Feld der vielschichtigen Bürgerlichkeit, wie sie in den Verwöhnräumen der Komfortreibhäuser der Ersten Welt anzutreffen ist, bleibt in Sachen Luxus und Gediegenheit noch vieles denkbar. Die Aufwertung des Alltäglichen hat erst begonnen, auch wenn deshalb nicht jedes Wohnzimmer unbedingt wie ein englischer Herrenclub, ein Gestüt oder wie der Salonwagen des Orient-Express aussehen muss. Alternativen gibt es immer. In einem unbeobachteten Augenblick kann es freilich passieren, dass einem angesichts der Überfülle eine Gedichtzeile von Wolf Wondratschek in den Sinn kommt, in der es im Rhythmus sanft plätschernder Wellen heißt: „Die Welt ist wie ein Schiff, das irgendwann im schönsten Sonnenschein bei leichten Wellengang auf einem Riff zerschellt und langsam auseinanderfällt“.

Samtige Spätmoderne: Am Stand von Potrona Frau
Veredelte Post-Moderne: Ein Arrangement von Tom Dixon
Macht auf jeder Yacht eine gute Figur, zumal wenn man mit ihr nach Venedig fahren kann: Luca Nichettos "Canal Chair" für Moooi gibt es auch mit Wappen.
Steigbügelhalter: Bei Hermès geht nichts ohne Leder.
Das Edle ist des Guten Feind: Unter all seinen exquisten Stücken zeigte Hermès in der Pelota-Halle auch diesen Schminkplatz.
Neo-feudal: Trotz Revolution ist keine Nation so höfisch geblieben wie die französische. Philippe Starck huldigt dem mit der Leuchte "Versailles" für Flos und Baccarat.
Neue Mythologie: Fabio Novembre versteckt Venus, die Göttin der erotischen Liebe und der Schönheit, nach einer Skulptur von Canova bei Driade im Regal.
Das Sofa als neu-bürgerliche Lebensform: "Grand Sofà" von Antonio Citterio am Stand von Vitra. Foto Eduardo Perez © Vitra International AG
Für die Puppenstube: Luxus geht auch ganz kein.

Produkte