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SALONE DEL MOBILE 2018
Ein Hauch von neuer Sachlichkeit

Quo vadis, Möbeldesign? Das verrät der diesjährige Salone del Mobile erst in Ansätzen. Eine Analyse in unserem Messerückblick.
von Fabian Peters | 10.05.2018

Geld und Geschmack gehen leider bekanntlich längst nicht immer Hand in Hand. Wobei fehlender Stil ja dem Erfolg keineswegs abträglich sein muss. Das augenfälligste Beispiel stellt in dieser Hinsicht wohl der zurzeit mächtigste Mann der Welt da, dessen Wohlstand nicht zuletzt auf diversen neureich prunkenden Wolkenkratzern in Manhattan beruht. Und dessen gewaltiges Apartment im Trump Tower mit seinem Marmor-, Gold- und Stilmöbel-Geprotze an die Camorra-Residenzen der Fernsehserie "Gomorrha" erinnert. Ist es da eine überraschende Koinzidenz, dass in den letzten Jahren auch die Möbelindustrie wieder verstärkt eine neue Prächtigkeit ausgerufen hat und mit schwerem Mobiliar in gewaltigen Dimensionen auf Kundenfang ging?

Anders als der amerikanische Präsident, dessen Schicksal weiterhin ungewiss ist, scheint das in Samt und Messing schwelgende Neo-Fin de Siècle aber seinen Zenit definitiv überschritten zu haben – auch wenn Jaime Hayon mit der Chaiselongue, die seine "Vuelta"-Serie bei Wittmann ergänzt, noch einmal ein besonders Glanzlicht zu setzen vermag. Doch wohin geht die Reise? Diese Frage scheint derzeit alles andere als beantwortet. Vielmehr meint man bei den Herstellern eine gewisse Ratlosigkeit zu beobachten – vielleicht auch ein wenig Mutlosigkeit. Keiner mag als erster einen Pfad einschlagen, der sich wohlmöglich als Sackgasse entpuppt. Dennoch ist man offenbar fast allerorten zu der Einschätzung gelangt, das die Lösung nicht darin liegen kann, noch weiter die Samt- und Messing-Welle zu reiten. Dieses einstweilige Trendvakuum könnte sich unter Designgesichtspunkten als Glücksfall erweisen, denn eine ganze Reihe von Herstellern und Designern haben sich einer klassischen Tugend besonnen: Sie versuchen innovatives Industriedesign zu entwickeln und anstatt Materialien oder Formerfindungen wieder Funktion und technische Weiterentwicklung in den Mittelpunkt zu stellen. Offenbar stellt man sich wieder verstärkt in jene Traditionslinie des Designs, die im Deutschen Werkbund und im Bauhaus ihren Ausgangspunkt hat.

Der von UNStudio gestaltete Stand von USM
Den Messestand von Knoll entwarfen die Architekten von OMA mit Anleihen an Marcel Breuers Whitney Museum.

Gegen-Stände

Diese Tendenz zeigte sich besonders augenfällig an einigen Standarchitekturen in den Messehallen. In der Halle 20 zeichneten zwei der bedeutendsten Architekturbüros der Gegenwart für die Stände von KnollInternational und USM verantwortlich. Die ephemeren Architekturen von OMA aus Rotterdam (Knoll) und UNStudio aus Amsterdam (USM) forderten zum direkten Vergleich geradezu heraus. Bemerkenswert: Beide Entwürfe versuchten den Brückenschlag zwischen der streng modernistisch-funktionalistischen Tradition beider Unternehmen und state-of-the-art-Warenpräsentation. Die Ergebnisse hätten dennoch unterschiedlicher kaum ausfallen können: UNStudio nutzte das ikonische USM Haller Modulbausystem, um daraus eine Standarchitektur zu schaffen, die durch die Vielzahl an chromglänzenden Verstrebungen geradezu Op-Art-ähnliche Effekte erzeugt. Sperriger präsentierte sich dagegen der OMA-Entwurf für Knoll, der der Architektur des New Bauhaus Referenz erwies – angefangen bei dem völlig offenen Grundriss über die kassettierte Decke bis hin zur Wandverkleidung aus Tropenholz. OMA zitierte diese in den 1950er und 1960er Jahren entworfenen Elemente als vorbildliche Lösungen – etwa Marcel Breuers Rasterdecke für das New Yorker Whitney Museum – und demonstrierte mit dem Stand ihre fortdauernde Gültigkeit. Die niederländischen Architekten paarten sie mit Paravents aus transparentem Well-PVC, die an eigene Arbeiten anknüpften.

Beton und Keramik an der Außenseite des Laufen-Standes von afgh Architekten

In der Halle 24 hatte der Keramikspezialist Laufen einen Stand nach Entwurf der Schweizer Architekten afgh/ Andreas Fuhrimann Gabrielle Hächler errichtet, der in seiner Liebe zum Sichtbeton fest in der modernen Schweizer Architektur wurzelte. An zwei der Außenseiten präsentierten industrielle Hochregalelemente Gussformen klassischer und aktueller Produkte des Traditionsunternehmens, an den beiden anderen waren weiße Keramikprodukte auf den nackten Betonwänden als verspielte Reliefs angeordnet. Im Inneren kontrastierte der Beton mit in kräftigen Farben gehaltenen Raumzellen, in denen die verschiedenen Produktreihen gezeigt wurden. Allein der etwas alberne Kloschüssel-Brunnen im Zentrum des Standes wäre verzichtbar gewesen.

"Tape" von Benjamin Hubert für Moroso
Neu bei Established & Sons: "Barbican" von Konstantin Grcic

Downsizing

Auch drei neue modulare Sofas, die auf dem Salone vorgestellt wurden, stehen für diese Rückbesinnung auf die Gestaltungstradition der mitteleuropäischen Moderne. Sie alle sind durchdachte Sitzmöbel, die durch ihr Konzept versuchen, dem bestehenden Angebot sinnvolle Alternativen hinzuzufügen. Entworfen haben die Sofasysteme drei der profiliertesten zeitgenössischen Designer: Benjamin Hubert von Layer, Konstantin Grcic und Alfredo Häberli.

Hubert, einer der auffälligsten Figuren in der Generation der Unter-40-jährigen, hat mit "Tape" für Moroso gleich zweierlei geschafft. Er hat zum einen eine ausgesprochen ansehnliche Kollektion aus gut proportionierten Polsterelementen geschaffen, die als unterschiedlich große Sitz-, Liege- und Lehnenmodule frei aneinandergeordnet werden können. Zum anderen hat er ein nachhaltiges Produkt entwickelt: Diese Eigenschaft hat unmittelbar mit dem auffälligsten stilistischen Merkmal von "Tape" zu tun – den Verbindungen aus Polyurethanstreifen, mit denen verschiedene Stoffstücke zu einem Bezug zusammengeklebt werden – eine Technik, die sonst etwa bei wasserdichter Allwetterkleidung Verwendung findet. Das hat ästhetisch durch den Farb- und Materialkontrast seinen Reiz, erlaubt aber vor allem, wesentlich kleinere Textilabschnitte zu verwenden als bei herkömmlichen Polsterbezügen, die ansonsten Ausschuss wären. Der Prototyp, der auf der Messe gezeigt wurde, war allerdings nicht besonders sauber verarbeitet, was hoffentlich bis zum Produktionsstart noch verbessert wird.

Alfredo Häberlis modulares "Dado"-Sofa für Andreu World

"Barbican" von Altmeister Konstantin Grcic für Established & Sons verweist nicht nur dem Namen nach auf die Architektur des Brutalismus: das Sitzmöbel, das entweder einteilig als Récamière oder zweiteilig als Ecksofa aufgestellt werden kann, bezieht sich auch gestalterisch auf die skulpturhafte Betonarchitektur der 1960er und 1970er Jahre. Nebst der kompakten, blockhaften Form geschieht das durch den obligatorischen Bezug in einem melierten Grauton. Wählbar ist nur die Farbe der niedrigen Polsterauflage auf der Sitzfläche und der Rückenkissen. Sie können kontrastierend eingesetzt werden, ohne jedoch dabei die Gesamtfarbigkeit zu beherrschen. Für Andreu World aus Valencia schließlich hat Alfredo Häberli das modulare Sofa "Dado" gestaltet, ein sehr rechtwinkliger, sehr ruhiger Entwurf, dessen Raffinement sich im Detail verbirgt: Die Nähte der Polster sind doppelt gearbeitet und mit einen Kontraststoff hinterfüttert, der aufblitzt wenn sich der Bezugsstoff bei Benutzung verzieht.

Der "Aluminium Chair" von Mark Newson für Knoll
Neu in Kunststoff: Jasper Morrisons "1-inch Chair". Im Hintergrund die 2017 präsentierte Urversion aus Aluminium

Auch bei einigen Stuhl-Neuentwicklungen finden sich Entwürfe, die von einer Herangehensweise zeugen, die der Tradition des Industriedesigns verpflichtet ist. Zu nennen ist hier an vorderster Stelle Marc Newsons "Aluminium Chair" für Knoll, der sich sehr pointiert mit dem Typus des Freischwingers auseinandersetzt – auch wenn das Ergebnis Freischwinger-untypisch schwergewichtig ausfällt. Letztes Jahr stellte Emeco den "1-inch Chair" von Jasper Morrison vor. Bewusst hatte Morrison die Materialstärke des Aluminiumstuhls minimiert, wodurch dieser jedoch schwierig und teuer zu produzieren ist. Jetzt präsentierte Emeco eine Kunststoffversion des Stuhles, die unter 200 Euro kosten soll. Und das Beste daran ist: Das neue Material steht dem Entwurf fast besser zu Gesicht als der Aluminiumrahmen. Denn der farbige Kunststoff verleiht dem Design nun eine Einheitlichkeit, die der Metallversion ein wenig fehlte.

"Free" heißt das freistehende Regalsystem, das Jakob Wagner für Montana gestaltet hat.

Wegräumer

Vor einigen Jahren stellte Interlübke ein Setzkasten-artiges Regalmöbel für den Wohnbereich vor: Gegenstände sollten dort ausgestellt, nicht weggeräumt werden. Ein innovatives Produkt, wie man dachte, weil ja zukünftig Ebooks Bücherregale überflüssig machen würden. Auch anderenorts schien man so zu denken. Eine Fehleinschätzung, wie sich inzwischen zeigt. Regale und Regalsysteme boomen wieder, wie der diesjährige Salone eindrucksvoll unter Beweis stellt. Insbesondere Metallregale erfreuen sich im Jahr 2018 größter Beliebtheit bei den Herstellern. Hier hat offenbar Stefan Diez mit seinem "New Order"-System für Hay das Feld bereitet. Das freistehende Regalsystem "Free" etwa, das Jakob Wagner für den dänischen Hersteller Montana entwickelt hat, ist ebenfalls eine in vielen Farben erhältliche Metallkonstruktion. Die abgerundeten Ecken und die schmalen Säulen, die die Borde miteinander verbinden, verleihen dem Entwurf Leichtigkeit. Mit stoffbezogenen Tableaus können zudem einzelne Regalfächer an einer Seite verschlossen werden.

Jun Yasumoto hat für die neue Marke Fucina das Regal "Piani" entworfen.
Konstantin Grcic hat in Zusammenarbeit mit Magis einen Werkstattschrank zum Wohn- und Büromöbel weiterentwickelt.

Eine völlig andere, wenn auch mindestens ebenso filigrane Interpretation des Themas liefert Piero Lissoni mit "Red Baron" für Knoll. Für die Konstruktion aus Stahl und eloxiertem Aluminium lieferten historische Dreidecker-Flugzeuge dem Designer die Inspiration. Die Materialität verleiht dem Regal eine Gediegenheit, die durch Einfassungen aus Holz Kastanienholz oder eine Vitrinenverglasung noch stärker zur Geltung gebracht werden kann. Die skulpturalen Qualitäten des Materials Metall hat Jun Yasumoto mit seiner Regalfamilie "Piani" besonders eindrucksvoll herausgearbeitet. Ein wenig fühlt man sich bei dem Entwurf an Konstantin Grcic 15 Jahre alten "Pallas"-Tisch erinnert. Grcic selbst zeigt auf der Messe ebenfalls ein Aufbewahrungssystem aus Metall. Seine "Chess"-Schränke, die er gemeinsam mit Magis entwickelt hat, beruhen auf einem seriell produzierten Werkstattmöbelsystem, das für den Wohn- und Bürobereich mit Holzelementen quasi "getunt" wird.

"Red Baron" von Piero Lissoni für Knoll
Eine Reedition von Zanotta: Der Stuhl "Fenis" von Carlo Mollino aus dem Jahr 1959

Rückkehrer

Das Thema Reeditionen blieb auch auf diesem Salone aktuell.Molteni legte mit Gio Pontis Tisch D.859.1 den nächsten Möbelentwurf des Jahrhundertdesigners neu auf. Der monumentalen Tafel fehlt vielleicht die Prägnanz des Sessels D.156.3, den man im letzten Jahr vorgestellt hat, ist aber gerade deshalb vielleicht auch marktgängiger. Besonders fleißig in puncto Reedition war Zanotta, wo man diverse Stücke anlässlich des 100. Geburtstages von Achille Castiglioni wieder ins Programm nahm – allen voran seinen wunderbaren Pflanzenständer "Albero". Ebenfalls neu aufgelegt wurden zwei Entwürfe von Carlo Mollino – "Carlino", ein entzückendes kleines Pult aus den 1930er Jahren und "Fenis", eine Stuhlskulptur von 1959.

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