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Rhetorische Frage: Hier weiß einer definitv, worauf es bei Mega-Events wie dem Salone del Mobile ankommt.

SALONE DEL MOBILE 2017
Salone, kritisch betrachtet 04: Funny und Glossy

Nein, früher war nicht mehr Lametta, lustig ging’s auch heuer zu. Und auch wenn früher nur Metalle funkelten, während Holz sich bescheiden gab, so glänzt der Lack erst jetzt so richtig.
von Thomas Wagner | 18.04.2017

Lustig geht eigentlich immer. Pfiffige, manchmal auch heiter-ironische Überraschungseffekte, welcher Art sie auch sein mögen, sind in Mailand durchaus gern gesehen und werden mit Erfolg eingesetzt, um in der vor Reizen flirrenden Manege voller Angebote für Aufmerksamkeit zu sorgen. Praktiziert wird das vor allem von jüngeren, weniger etablierten Unternehmen, die sich nicht um ihre Seriosität scheren und keine Rücksicht auf die Zielgruppe der Gutbürgerlichen nehmen müssen, die auf entsprechenden Statusgewinn aus ist.

Bei Moooi beherrscht man den Balanceakt zwischen extravagant und funny, lustvoll anders und annehmbar ohne Frage am besten, ob ein Chesterfield-Sofa hochkant zum abschirmenden Lounge-Möbel gemacht wird, Origami-Vögelchen leuchtend auf die Stange gesetzt werden oder mit dem „o-rocker“ eine geschlossene Variante des Rhönrads zum Chillen bereitsteht. Ins Riesenhafte vergrößerte Bilder von Insekten und üppig gemusterte Teppiche tun ein Übriges, um eine Atmosphäre zu schaffen, die das Lustige mit dem Besonderen verschmelzen lässt.

Jaime Hayon ist ebenfalls immer wieder ein Kandidat, wenn es um effektvolle, mit einem Augenzwinkern absolvierte Auftritte geht, was er mit seiner nun auch in Mailand gezeigten Installation „Stone Age Folk“ samt clownesken Einlegearbeiten für Caesarstone unter Beweis gestellt hat.

Rhönrad trifft Fruchtschnitte: Bei Moooi beherrscht man das Spiel mit Humor und Extravaganz.

Maarten Baass, der respektlose Gesell

Bleibt noch einer, der allzu viel Respekt schon immer für schädlich gehalten hat und der sich in diesem Jahr gemeinsam mit Lensvelt – die, wie man schon des Öfteren in Mailand erleben konnte, ebenfalls keine Kinder von Traurigkeit sind – etwas ganz Besonderes hat einfallen lassen: Maarten Baas. Gern gibt er das verspielte Enfant Terrible, das in einem Akt der Selbstbefreiung und der Ent-Perfektionierung schon mal Designklassiker abfackelt oder dem allzu Glatten mit seinen „Clay“-Möbeln aus lackiertem Industrieton Geformtes wie von Kinderhand entgegenstellt.

Aktuell hat er etwas abseits des mächtigen Messestroms in eines der alten Lagergewölbe unter den Gleisen des Hauptbahnhofs im Rahmen von Ventura Centrale eine Installation gezaubert, die schon durch ihren Titel bekräftigt, dass wir es hier mit einem zu tun haben, der weiß, worum es geht: „May I Have Your Attention Please?“ Also murmelt, wispert und tönt es, kaum hat man die kühle Betonhöhle betreten, rundum aus einem Wald aus Flüstertüten, Hornlautsprechern und Geräuschtrichtern, dass es eine Freude ist.

Ein vielstimmiges Orchester aus lauter Individuen: Schalltrichter und Stühle bildeten das Environment von Maarten Baas und Lensvelt.

Maarten Baas hatte von jeher ein Faible für zirzensische Effekte, was manchmal leicht ins allzu Überdrehte abzugleiten drohte. Diesmal aber ist es ihm gelungen, die Attitude des dauerjugendlichen Revoluzzers zu zügeln und sie gegen einen Inszenierungsrahmen einzutauschen, der seinen Neuheiten für Lensvelt ­– dem Maarten Baas Stuhl 101 und dem Maarten Baas Tisch – entspricht. Der Stuhl nämlich schließt tatsächlich nahtlos an seine bisherige Linie an, im Umfeld serieller Massenproduktion der Individualität eine Chance zu geben, was er nun mittels unterschiedlich geschnittener Rückenlehnen und bunter Bezüge erreicht. Das an sich schlichte Design atmet den Geist der Fifties und Sixties, macht das Gewöhnliche aber durch eine comic-hafte Frische spielend wett, wenn einen die Stühle aus ihren beiden Knopfaugen wie freundliche Aliens anblicken. Die je nach Form und Farbe immer etwas anders dreinschauenden Stühle bilden also einen ebenso vielstimmigen Chor wie die Flüstertüten. Das wirkt erfrischend zwischen all dem Seriösen, ist einfach „funny“ – und perfekt für eine Company, die gern mit „Non Design“ kokettiert und alternativ eine „Boring Collection“ fürs Büro im Programm hat.

Ganz anders, und eigentlich wie immer, spielt Edra die Karte einer ironisch-heiteren Wohnkultur, die zuweilen hart am Kitsch vorbeischrammt – diesmal mit „Pack und Chiara“ von Francesco Binfarè, einem ausladenden Sofa, auf dem sich – als Lehne – wahlweise und je nach Farbe ein stilisierter und garantiert harmloser Eis- oder Schwarzbär räkelt, und mit einem sehr dekadent glänzenden Sessel mit einer drehbaren Schale aus von Hand geformtem Polykarbonat von Jacopo Foggini, wahlweise in Gold, Bernstein, Kermes Rot und Aquamarinblau. Glanz muss offenbar in jede Hütte.

An ihren Lehnen sollt ihr sie erkennen: Der "Maarten Baas Stuhl 101" für Lensvelt paradierte in vielen Varianten.

Es muss glänzen

Mit dem Glanz ist es freilich so eine Sache. Was sinnliche Lippenstiftlippen angeht, so sind derzeit hauptsächlich kräftige, matte Farbtöne angesagt, das bestätigen jedenfalls schöne junge Frauen, die es wissen müssen. Lipgloss hingegen, sagen sie, wirke eher etwas billig und werde zumeist von jungen Mädchen bevorzugt. Dass seit Baudelaire Mode und Moderne untrennbar miteinander verflochten sind, hat auch die Möbelbranche längst begriffen.

Bei Kartell beherrscht man das Spiel mit wechselnden Stilen und Kollektionen schon seit Jahren besonders gut. Dass man die Messepräsentation in diesem Jahr unter das etwas umständliche Motto „ContamiNation“ stellt, wirkt dabei etwas bemüht, zumal, wenn man im Begriff der „métissage“ – was sich neutral mit „Mischung“ übersetzen lässt – die Essenz des heutigen Designs zu erblicken glaubt und diesen dann mit allem und jedem verbindet, was sich auf dem multikulturellen Feld des Designs so abspielt.

Überrascht erblickte man am Stand dann nicht nur die gewohnte Fülle an Neuheiten, sondern auch viele hochglänzende – glossy – Oberflächen. Sicher, das gab es schon, aber vielleicht waren sie einem zuvor einfach nicht aufgefallen. Jedenfalls spielten sie nun recht auffallend ihr verführerisches Spiel mit dem Licht, zeigten Glanzpunkt und schimmernde Lichtreflexe – ob auf Philippe Starcks Sessel „Cara Mosshart“, auf dessen Tisch „Ray Orrgray“ oder auf den „Be bop“-Stühlen von Ludovica und Roberto Palomba. Man merke: Die Politur macht’s – und erzeugt eine ganz eigene Poetik der Oberfläche. Ob man das mag oder wie Lipgloss für eine Variante für junge Mädchen hält, muss jeder für sich entscheiden. Zumindest bei Brühl & Sippold triff man mit „grace glossy“ ebenfalls auf einen, nun filigran-konstruktiv aufgebauten, Sessel, dessen Sitz und Lehne in glänzend lackiertem Holz ausgeführt sind.

Ob es Zufall ist oder ob sich hier ein Trend in Sachen Lack ankündigt, ist schwer zu sagen. Es fällt aber auf, dass bei Hermès, wo man das ultimative Handwerk pflegt, mit einem Mal japanische Lackarbeiten auftauchen – in Gestalt zweifarbiger runder oder mit Zaumzeug versehener achteckiger Dosen und feiner „Change Trays“ von Pierre Charpin.

Bringen Glanz in jede Hütte: Am Stand von Kartell gab es viele Stühle und Sessel in hochglänzendem Lackfinish.
Er möchte kein Eisbär sein im kalten Polar, sondern im warmen Wohnzimmer: "Pack und Chiara“ heißt das neue Sofa von Francesco Binfarè für Edra, wahlweise mit Eis- oder mit Schwarzbär als Lehne.
Von Japan lernen: Hermès präsentierte in der Pelota-Halle nicht nur edles Ledernes, sondern auch aufwendige Lackarbeiten.

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